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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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können wir sagen, daß wir alle unsere Hände im Werk gehabt haben. Uns allen
stieg die Glut des Zorns ins Gesicht, als mit dem Hochmntl) einer physischen
Uebermacht unsern Vertretern der Fehdehandschuh vor die Füße geworfen wurde.

Aber diese Glut -- war sie nicht zugleich die Nöthe der Scham? Wie war
es möglich, daß der Nation auf eine so dreiste Weise Trotz geboten wurde, wenn
sie es nicht selber mitverschuldet hatte? Wir dürfen uns vor dem Geständniß
dieser Schuld nicht schämen, wenn uns nur ein, freilich bittrer, Rückblick auf
unsere Vergangenheit vor neuem Fehlen bewahrt. Warum erhob sich uicht in dem
Augenblick, als die preußische Regierung der Paulskirche ihr dreistes "Niemals!"
entgegenschleuderte, die gesammte Nation einmüthig, ihr Palladium zu verthei¬
digen ?

'Weil dies Palladium, weil diese Verfassung, obgleich das Werk der Nation,
dennoch den Willen keines Theils derselben vollständig ausdrückte; weil es auf Vor¬
aussetzungen aufgebaut war, die mit seinem Resultat in Widerspruch standen; weil
nur die Ehre dafür sprach, während der Verstand stumm blieb. Es erhoben sich
nur diejenigen für die Verfassung, nachdem sie abgelehnt war, welche bis dahin
ihre heftigsten Geguer gewesen waren.

Im Inhalt der Verfassung lag die Möglichkeit ihres Falls. Theoretisch
ging sie aus von der Einheit Deutschlands, und sollte als ein Rechtszwang gegen
alle Renitenten gehandhabt werden; praktisch schloß sie einen Theil Deutschlands
aus, welcher durch seine Theilnahme wesentlich dazu beigetragen hatte, daß sie so
geworden war, wie sie geworden war. Sie wagte Oestreich nicht direkt auszu¬
schließen, weil sie es rechtlich nicht konnte, weil sie von den Oestreichs" mitbe-
rathen war; sie schloß es aber indirekt aus und ließ daher zu Oestreich ein ebenso
unwahres als unsittliches Verhältniß besteh". Theoretisch ging sie von der
Allmacht der Reichsgewalt a"s und von der Nichtigkeit aller einzelnen Staaten;
praktisch konnte sie die Souveränität derselbe", die nicht blos im dynastische"
Interesse lag, sondern auch im Particularismus der Volksstämme, nicht brechen;
sie ließ also zwischen der Reichsgewalt und den einzelne" Staate" el" ebenso un-
wahrcö als unsittliches Verhältniß bestehn. Theoretisch führte sie die Herr-
schaft der Volkssouveränität ein und gab dem Reich eine" ideale" Mittelpunkt;
praktisch legte sie auf der einen Seite die Gewalt in die Hände des Königs
von Preuße", des mächtigsten Kriegssürstc" vo" Deutschland, während sie ans der
ander" durch ihr Wahlgesetz el"e Demokratie heraufbeschwor, vo" der ma" nach
aller Wahrscheinlichkeit berechnen mußte, daß sie in ihren Forderungen so aus¬
schweifend und zügellos als möglich sei" würde. Nach der neuen Verfassung war
der ans seine Hausmacht gestützte Kaiser und die in der Nationalversammlung ver¬
einigte Demokratie in einer unhaltbaren, feindlichen Stellung, und nach der einen
oder der ander" Seite hin mußte der Ausschlag fallen. Sowohl die Linke
als die Rechte hüteten sich sehr wohl, den Inhalt der Verfassung


können wir sagen, daß wir alle unsere Hände im Werk gehabt haben. Uns allen
stieg die Glut des Zorns ins Gesicht, als mit dem Hochmntl) einer physischen
Uebermacht unsern Vertretern der Fehdehandschuh vor die Füße geworfen wurde.

Aber diese Glut — war sie nicht zugleich die Nöthe der Scham? Wie war
es möglich, daß der Nation auf eine so dreiste Weise Trotz geboten wurde, wenn
sie es nicht selber mitverschuldet hatte? Wir dürfen uns vor dem Geständniß
dieser Schuld nicht schämen, wenn uns nur ein, freilich bittrer, Rückblick auf
unsere Vergangenheit vor neuem Fehlen bewahrt. Warum erhob sich uicht in dem
Augenblick, als die preußische Regierung der Paulskirche ihr dreistes „Niemals!"
entgegenschleuderte, die gesammte Nation einmüthig, ihr Palladium zu verthei¬
digen ?

'Weil dies Palladium, weil diese Verfassung, obgleich das Werk der Nation,
dennoch den Willen keines Theils derselben vollständig ausdrückte; weil es auf Vor¬
aussetzungen aufgebaut war, die mit seinem Resultat in Widerspruch standen; weil
nur die Ehre dafür sprach, während der Verstand stumm blieb. Es erhoben sich
nur diejenigen für die Verfassung, nachdem sie abgelehnt war, welche bis dahin
ihre heftigsten Geguer gewesen waren.

Im Inhalt der Verfassung lag die Möglichkeit ihres Falls. Theoretisch
ging sie aus von der Einheit Deutschlands, und sollte als ein Rechtszwang gegen
alle Renitenten gehandhabt werden; praktisch schloß sie einen Theil Deutschlands
aus, welcher durch seine Theilnahme wesentlich dazu beigetragen hatte, daß sie so
geworden war, wie sie geworden war. Sie wagte Oestreich nicht direkt auszu¬
schließen, weil sie es rechtlich nicht konnte, weil sie von den Oestreichs» mitbe-
rathen war; sie schloß es aber indirekt aus und ließ daher zu Oestreich ein ebenso
unwahres als unsittliches Verhältniß besteh». Theoretisch ging sie von der
Allmacht der Reichsgewalt a»s und von der Nichtigkeit aller einzelnen Staaten;
praktisch konnte sie die Souveränität derselbe», die nicht blos im dynastische»
Interesse lag, sondern auch im Particularismus der Volksstämme, nicht brechen;
sie ließ also zwischen der Reichsgewalt und den einzelne» Staate» el» ebenso un-
wahrcö als unsittliches Verhältniß bestehn. Theoretisch führte sie die Herr-
schaft der Volkssouveränität ein und gab dem Reich eine» ideale» Mittelpunkt;
praktisch legte sie auf der einen Seite die Gewalt in die Hände des Königs
von Preuße», des mächtigsten Kriegssürstc» vo» Deutschland, während sie ans der
ander» durch ihr Wahlgesetz el»e Demokratie heraufbeschwor, vo» der ma» nach
aller Wahrscheinlichkeit berechnen mußte, daß sie in ihren Forderungen so aus¬
schweifend und zügellos als möglich sei» würde. Nach der neuen Verfassung war
der ans seine Hausmacht gestützte Kaiser und die in der Nationalversammlung ver¬
einigte Demokratie in einer unhaltbaren, feindlichen Stellung, und nach der einen
oder der ander» Seite hin mußte der Ausschlag fallen. Sowohl die Linke
als die Rechte hüteten sich sehr wohl, den Inhalt der Verfassung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/476>, abgerufen am 15.01.2025.