Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.Mit den Barrikaden und obligaten Schüssen hat Breslau den Ruf politischer Wich¬ Daß wir belagert sind, erfuhren wir zuerst durch einen Anschlag des k. Gouverne- Die Baulust ist dieses Jahr wohl an den Barrikaden hängen geblieben, denn man Mit den Barrikaden und obligaten Schüssen hat Breslau den Ruf politischer Wich¬ Daß wir belagert sind, erfuhren wir zuerst durch einen Anschlag des k. Gouverne- Die Baulust ist dieses Jahr wohl an den Barrikaden hängen geblieben, denn man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278981"/> <p xml:id="ID_1520"> Mit den Barrikaden und obligaten Schüssen hat Breslau den Ruf politischer Wich¬<lb/> tigfeit errungen, und ist in eine neue Phase, in die des Belagerungszustandes getreten.<lb/> In Folge dessen bemerkt man jetzt ein bedeutendes Uebergehen aus der rothen Farbe in<lb/> die schwarz-weiße, eine fast unheimliche Stille an der Kornecke und ein vollständiges<lb/> Verschwinden aller Literatur und Kunst an den Straßenecken, so wie auch aller Kala¬<lb/> breser, langen Bärte und nachlässigen Toiletten. Breslau hat seine, amerikanischen<lb/> Farmern gleichenden Heroen verabschiedet, und gibt sich Mühe, wieder „sein" zu wer¬<lb/> den. Verliert es bei dem Tausche?</p><lb/> <p xml:id="ID_1521"> Daß wir belagert sind, erfuhren wir zuerst durch einen Anschlag des k. Gouverne-<lb/> ments und durch das kriegerische Ansehen, welches die Stadt gewann. Heute werden wir<lb/> höchstens uoch durch die vermehrten Wachen und die halbgcspauuten Hähne der Soldaten<lb/> daran erinnert, bewegen uns jedoch im Uebrigen so frei und ungezwungen, wie man<lb/> es nur verlangen kann. Selbst die politische Presse hat keine Einschränkung erfahren,<lb/> und wenn eins unserer radikalen, aber eben nicht consequenten Organe die Flügel etwas<lb/> eingezogen hat, so hat es dadurch einen Act der Klugheit begangen, der es vor dem<lb/> Untergang rettete. Andere satyrisch oder humoristisch sein sollende Blätter, wie „Pulses,"<lb/> „Geißel" und das ästhetische „Wurst wieder Wurst" haben ihr kurzes Leben ausge¬<lb/> haucht, wobei Europa nach meiner Ansicht nichts verloren hat. Doch wer verloren<lb/> hat, das sind die fliegenden Buchhändler, der kleine Pulses an der Spitze. Die schönen<lb/> Tage des Ausschrciens der Extra- und sonstigen Blätter sind vorüber; lautlose Stille<lb/> herrscht im Lager der Verbreiter der Tagesliteratur. Wohl bieten sie noch ihr „Abend¬<lb/> blatt" an, doch die Kommentare dazu haben aufgehört. Neulich wollte einer dieser<lb/> Industriellen einen kühnen Griff thun, und hatte schon sein: „Ein Extrablatt der"<lb/> über den Lippen, als ein Gensd'arm mit donnerndem: „Wart', ich werd' ihm helfen"<lb/> auf ihn zutrat und den Extrablättlcr versprengte. Zu den Errungenschaften der neue¬<lb/> sten Zeit wird wohl anch gehören, daß diese angehenden Kaufleute dahin zurückkehren,<lb/> wohin sie gehören, d. h. in die Schule und unter die Zucht der Eltern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1522" next="#ID_1523"> Die Baulust ist dieses Jahr wohl an den Barrikaden hängen geblieben, denn man<lb/> fleht fast keine neuen Häuser entstehen. Im Grunde genommen ist dies kein Verlust,<lb/> denn es stehen trotz der ermäßigten Miethen ohnehin viel Wohnungen leer; zu bedauern<lb/> sind mir die armen Leute, die dadurch ohne Verdienst bleiben. Theilweise könnte dem<lb/> wohl durch städtische Bauten abgeholfen werden, und es wäre besonders nichts weniger<lb/> als Luxus, wenn der mephitische Graben der Gartenstraße aus Breslaus Mauern ver¬<lb/> schwände und sein Fluidum in einen verschlossenen Kanal ergösse. Doch scheinen dies,<lb/> vor der Hand wenigstens, fromme Wünsche zu bleiben. Woran wird's wieder liegen?<lb/> An dem, wovon viele mehr verlangen, als sie haben. Nichts desto weniger wird jetzt<lb/> eine Straße gepflastert, die zu den abgelegensten in der ganzen Stadt gehört und sich<lb/> es wohl nicht im Entferntesten träumen ließ, dieser Ehre so bald theilhaftig zu wer¬<lb/> den. Unsere Schweidnitzer Vorstadt ist unstreitig der nobelste Theil — das Faubourg<lb/> Se. Germain von Breslau, aber wohlverstanden, nur bei Tage oder Mondschein. Zu<lb/> jeder andern Zeit ist sie ein Tartarus von Dunkelheit, und nach längerem Regen ein<lb/> Abklatsch der pontinischen Sümpfe. Sie ist demnach, freilich sehr wider Willen der<lb/> Einwohner, nicht lichtfreundlich, hat aber dafür den Vorzug von einigen öffentlichen<lb/> Gärten, welche auch in der Neuzeit sich die alte Anhänglichkeit bewahrt haben, und<lb/> durch Anschläge, die man bequem ohne Brille lesen kann, den vergnügungssüchtigen<lb/> Breslauer zu sich locken. Wer sich einen deutlichen Begriff von einer Wallfahrt machen<lb/> will, der postire sich den Nachmittag eines heitern Sonntags an ein Fenster der neuen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Mit den Barrikaden und obligaten Schüssen hat Breslau den Ruf politischer Wich¬
tigfeit errungen, und ist in eine neue Phase, in die des Belagerungszustandes getreten.
In Folge dessen bemerkt man jetzt ein bedeutendes Uebergehen aus der rothen Farbe in
die schwarz-weiße, eine fast unheimliche Stille an der Kornecke und ein vollständiges
Verschwinden aller Literatur und Kunst an den Straßenecken, so wie auch aller Kala¬
breser, langen Bärte und nachlässigen Toiletten. Breslau hat seine, amerikanischen
Farmern gleichenden Heroen verabschiedet, und gibt sich Mühe, wieder „sein" zu wer¬
den. Verliert es bei dem Tausche?
Daß wir belagert sind, erfuhren wir zuerst durch einen Anschlag des k. Gouverne-
ments und durch das kriegerische Ansehen, welches die Stadt gewann. Heute werden wir
höchstens uoch durch die vermehrten Wachen und die halbgcspauuten Hähne der Soldaten
daran erinnert, bewegen uns jedoch im Uebrigen so frei und ungezwungen, wie man
es nur verlangen kann. Selbst die politische Presse hat keine Einschränkung erfahren,
und wenn eins unserer radikalen, aber eben nicht consequenten Organe die Flügel etwas
eingezogen hat, so hat es dadurch einen Act der Klugheit begangen, der es vor dem
Untergang rettete. Andere satyrisch oder humoristisch sein sollende Blätter, wie „Pulses,"
„Geißel" und das ästhetische „Wurst wieder Wurst" haben ihr kurzes Leben ausge¬
haucht, wobei Europa nach meiner Ansicht nichts verloren hat. Doch wer verloren
hat, das sind die fliegenden Buchhändler, der kleine Pulses an der Spitze. Die schönen
Tage des Ausschrciens der Extra- und sonstigen Blätter sind vorüber; lautlose Stille
herrscht im Lager der Verbreiter der Tagesliteratur. Wohl bieten sie noch ihr „Abend¬
blatt" an, doch die Kommentare dazu haben aufgehört. Neulich wollte einer dieser
Industriellen einen kühnen Griff thun, und hatte schon sein: „Ein Extrablatt der"
über den Lippen, als ein Gensd'arm mit donnerndem: „Wart', ich werd' ihm helfen"
auf ihn zutrat und den Extrablättlcr versprengte. Zu den Errungenschaften der neue¬
sten Zeit wird wohl anch gehören, daß diese angehenden Kaufleute dahin zurückkehren,
wohin sie gehören, d. h. in die Schule und unter die Zucht der Eltern.
Die Baulust ist dieses Jahr wohl an den Barrikaden hängen geblieben, denn man
fleht fast keine neuen Häuser entstehen. Im Grunde genommen ist dies kein Verlust,
denn es stehen trotz der ermäßigten Miethen ohnehin viel Wohnungen leer; zu bedauern
sind mir die armen Leute, die dadurch ohne Verdienst bleiben. Theilweise könnte dem
wohl durch städtische Bauten abgeholfen werden, und es wäre besonders nichts weniger
als Luxus, wenn der mephitische Graben der Gartenstraße aus Breslaus Mauern ver¬
schwände und sein Fluidum in einen verschlossenen Kanal ergösse. Doch scheinen dies,
vor der Hand wenigstens, fromme Wünsche zu bleiben. Woran wird's wieder liegen?
An dem, wovon viele mehr verlangen, als sie haben. Nichts desto weniger wird jetzt
eine Straße gepflastert, die zu den abgelegensten in der ganzen Stadt gehört und sich
es wohl nicht im Entferntesten träumen ließ, dieser Ehre so bald theilhaftig zu wer¬
den. Unsere Schweidnitzer Vorstadt ist unstreitig der nobelste Theil — das Faubourg
Se. Germain von Breslau, aber wohlverstanden, nur bei Tage oder Mondschein. Zu
jeder andern Zeit ist sie ein Tartarus von Dunkelheit, und nach längerem Regen ein
Abklatsch der pontinischen Sümpfe. Sie ist demnach, freilich sehr wider Willen der
Einwohner, nicht lichtfreundlich, hat aber dafür den Vorzug von einigen öffentlichen
Gärten, welche auch in der Neuzeit sich die alte Anhänglichkeit bewahrt haben, und
durch Anschläge, die man bequem ohne Brille lesen kann, den vergnügungssüchtigen
Breslauer zu sich locken. Wer sich einen deutlichen Begriff von einer Wallfahrt machen
will, der postire sich den Nachmittag eines heitern Sonntags an ein Fenster der neuen
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