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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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lichen Angstschweiß von der Stirne getrocknet, und wieder die kalte Miene der
vormärzlichen Verachtung angenommen hat. "Ich kaun es Ihnen versichern," so
sagte mir vor kurzem ein adeliges Fräulein, "baß der Advokat P..... (ein be¬
kanntes Mitglied der Rechten im aufgelösten Reichstage) alle Clienten, die er unter
dem Adel besaß, verloren hat, keiner der Kavaliere, die ihm früher so gewogen
waren, spricht weiter mit ihm!"

Die Ruhe, die der Edelmann für das Privilegium des Müssiggcmgs, für
das inhaltslose Spiel seines Daseins verlangt, beansprucht wieder der Bourgois
für den ungestörten Verlauf seiner alltäglichen Geschäfte. In beiden Fällen ist
das Leben ein ungeschichtliches Idyll, mag es nnn in hohem Poussin'schen Styl,
oder in vaterländisch-trivialer Weise durchlebt werden. Die große Arbeit der
Geschichte greift verwirrend in das System der kleinen Arbeiten ein; sie nimmt
die Massen in Anspruch, und verkümmert dem Einzelnen das isolirte Recht seineu
eignen Weg zu gehen. Nicht nur dem Archimedes oder dem vereinsamten For¬
scher, auch dem Gevatter Schuster, Schneider und Handschuhmacher überrascht der
ernste Geist der Zeit in seiner Werkstätte und zerstört ihm seine Figuren. Der
Bvnrgois kennt mir den Quietismus s-ins ulunso; er ist froh, daß er jetzt nicht
alle Augenblicke ans Fenster treten muß, um zu sehen, was es draußen gibt.
"Wer nur den lieben Gott läßt wallen" dies ist sein Grundsatz in Sachen der
Politik. Wo seine Werkstätte oder Schreibstube aufhört, da fängt für ihn die
göttliche Vorsehung an. Für die Allgemeinheit schlägt ihm kein Herz, denn sie
ist ein Begriff, und dieser kann für den Gedankenlosen nicht existiren. Die Re¬
volution ist ihm eine Gotteslästerung, das Selbstvertrauen der Masse aus die
eingeborne Kraft entspringt aus einem Mangel an Vertrauen zu Gott, und zu
seineu gekrönten Stellvertretern auf Erden. Zum größten Unglück hat der Bour¬
geois den bösen Feind im eigenen Hause; es ist das Corps der Lehrlinge, bei
dem der historische Sinn sehr ausgebildet ist, weil es ja die Muflkcapelle der Re¬
volution bildet. Aber auch diesen Gegner hält der Belagerungszustand in Zaum.

Am meisten genirt mich der Bourgois, wenn er neben seinem gewöhnlichen
Gewerbe uoch eine edle Liebhaberei hat, und z. B. Musik treibt. In diesem
Falle erhält sein Quietismus einen aristokratischen Anstrich, einen Zug von No¬
blesse, die mit seinem übrigen Wesen nicht zusammenstimmt. Er will dann in
der ganzen Welt die Stille des Concertsaalcs wiederfinden, und möchte sein Phe!
den unbescheidener Männern der Bewegung zurufen, damit Thalberg immerfort
gefühlvolle Adagio's spielen könne. Ich kenne hier in Prag einen musicirenden
Kaufmann, bei dem ich mich uach einem jeden wichtigen Ereignis) nach seinem Be¬
finden erkundige. So fragte ich ihn uach dem 4. März: Nun, wie geht es
Ihnen jetzt, Herr G.? "Seit gestern gut," antwortete er, "jetzt werden die Course
wieder steigen." Die gleiche Frage richtete ich an ihn nach der Verkündigung
des Belagerungszustandes. "Ich bin ganz zufrieden" war die Antwort; "jetzt kann


lichen Angstschweiß von der Stirne getrocknet, und wieder die kalte Miene der
vormärzlichen Verachtung angenommen hat. „Ich kaun es Ihnen versichern," so
sagte mir vor kurzem ein adeliges Fräulein, „baß der Advokat P..... (ein be¬
kanntes Mitglied der Rechten im aufgelösten Reichstage) alle Clienten, die er unter
dem Adel besaß, verloren hat, keiner der Kavaliere, die ihm früher so gewogen
waren, spricht weiter mit ihm!"

Die Ruhe, die der Edelmann für das Privilegium des Müssiggcmgs, für
das inhaltslose Spiel seines Daseins verlangt, beansprucht wieder der Bourgois
für den ungestörten Verlauf seiner alltäglichen Geschäfte. In beiden Fällen ist
das Leben ein ungeschichtliches Idyll, mag es nnn in hohem Poussin'schen Styl,
oder in vaterländisch-trivialer Weise durchlebt werden. Die große Arbeit der
Geschichte greift verwirrend in das System der kleinen Arbeiten ein; sie nimmt
die Massen in Anspruch, und verkümmert dem Einzelnen das isolirte Recht seineu
eignen Weg zu gehen. Nicht nur dem Archimedes oder dem vereinsamten For¬
scher, auch dem Gevatter Schuster, Schneider und Handschuhmacher überrascht der
ernste Geist der Zeit in seiner Werkstätte und zerstört ihm seine Figuren. Der
Bvnrgois kennt mir den Quietismus s-ins ulunso; er ist froh, daß er jetzt nicht
alle Augenblicke ans Fenster treten muß, um zu sehen, was es draußen gibt.
„Wer nur den lieben Gott läßt wallen" dies ist sein Grundsatz in Sachen der
Politik. Wo seine Werkstätte oder Schreibstube aufhört, da fängt für ihn die
göttliche Vorsehung an. Für die Allgemeinheit schlägt ihm kein Herz, denn sie
ist ein Begriff, und dieser kann für den Gedankenlosen nicht existiren. Die Re¬
volution ist ihm eine Gotteslästerung, das Selbstvertrauen der Masse aus die
eingeborne Kraft entspringt aus einem Mangel an Vertrauen zu Gott, und zu
seineu gekrönten Stellvertretern auf Erden. Zum größten Unglück hat der Bour¬
geois den bösen Feind im eigenen Hause; es ist das Corps der Lehrlinge, bei
dem der historische Sinn sehr ausgebildet ist, weil es ja die Muflkcapelle der Re¬
volution bildet. Aber auch diesen Gegner hält der Belagerungszustand in Zaum.

Am meisten genirt mich der Bourgois, wenn er neben seinem gewöhnlichen
Gewerbe uoch eine edle Liebhaberei hat, und z. B. Musik treibt. In diesem
Falle erhält sein Quietismus einen aristokratischen Anstrich, einen Zug von No¬
blesse, die mit seinem übrigen Wesen nicht zusammenstimmt. Er will dann in
der ganzen Welt die Stille des Concertsaalcs wiederfinden, und möchte sein Phe!
den unbescheidener Männern der Bewegung zurufen, damit Thalberg immerfort
gefühlvolle Adagio's spielen könne. Ich kenne hier in Prag einen musicirenden
Kaufmann, bei dem ich mich uach einem jeden wichtigen Ereignis) nach seinem Be¬
finden erkundige. So fragte ich ihn uach dem 4. März: Nun, wie geht es
Ihnen jetzt, Herr G.? „Seit gestern gut," antwortete er, „jetzt werden die Course
wieder steigen." Die gleiche Frage richtete ich an ihn nach der Verkündigung
des Belagerungszustandes. „Ich bin ganz zufrieden" war die Antwort; „jetzt kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/466>, abgerufen am 15.01.2025.