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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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im Namen der Gesammtheit auf, und fordert in ihrer schon letzthin besprochenen
Petition für alle Völker Oestreichs die vom Reichstage entworfene Verfcissuugsur-
knnde. Sie hält sich nicht mehr für berufen, gegenüber der Allgemeinheit jener
weltbeglückenden Phrase, welche die Wiener Demokraten im Munde führte", die
Partikularität des Czechenthums zur Geltung zu bringen; sondern sie dachte viel¬
mehr, jetzt sei die demokratische Mission für ganz Oestreich aus dem belagerten
Wien nach Prag, übergegangen, welches noch unter allen Städten der Monarchie
sich am Freiesten bewegen könne und daher von dieser Freiheit auch einen förder-
samen Gebrauch für das Ganze machen müsse. Die Petition der sIuv-uiLki- I^>ii konnte,
da sie in dieser Fassung eine günstige Erledigung nicht erwarten ließ, zugleich den
Sporn zur revolutionären Selbsthilfe des Volkes enthalten, und war, wenn sie
überhaupt einen Zweck haben sollte, auch auf diese letztere Wirkung berechnet.
Der entschiedene Ton, in welchem sie abgefaßt war, deutete mit Bestimmtheit
darauf hiu, daß man sich in den abschlägigen Bescheid, auf den man ohnehin
rechnete, nicht mit stiller Resignation ergeben wolle. Vielmehr sollte diese Peti¬
tion ein Ultimatum des Volkes an die Krone und zugleich das Programm einer
künftigen Erhebung sein. Indem die Mitglieder der slovnnskä lipä und ihrer
Filialen, wie begreiflich auf dem Lande Unterschriften für diese Petition sammel¬
ten, fanden sie auch Gelegenheit, auf das Volk vorbereitet einzuwirken, und der¬
jenigen Gemeinden sich zu versichern, anf die man im entscheidenden Falle rechnen
könnte. Ueber den Zeitpunkt einer Volkserhebung wird man sich noch kaum ge¬
einigt haben; möglich ist es aber immer, daß man im Henrigen Mai auf das
Octroi vom 4. März 1849 eine Antwort des "souveränen" Volkes in Prag er¬
folgen lassen wollte, so wie das Volk ans das Octroi vom 28. April 1848 im
vorjährigen Mai in Wien geantwortet hatte. Dies läßt sich aber mit Bestimmt¬
heit behaupten, daß die Bewegung, wenn sie wirklich zum Ausbruche gekommen
wäre, kein anderes Motto, als die Anerkennung der vom Reichstag entworfenen
Constitutionsurkunde gehabt haben würde. Da die Kraft des Wiener Volkes ge¬
brochen war, so dachte man daran, in Prag jene große, altöstreichische Bastille
zu stürmen, in der die Volkögeister gefangen gehalten wurden und an ihrer Stelle
den Grundstein zu jenem Pantheon zu legen, von dem der Reichstag bereits den
Riß entworfen.

Diesem möglichen Fall wurde nun durch den Belagerungszustand vorgebeugt,
der zur allgemeinen Ueberraschung am 10. Mai über Prag verhängt wurde. Die
sogleich vorgenommenen Verhaftungen betrafen solche Personen, welche bereits an
dem Juni-Aufstande betheiligt gewesen; jedoch scheine", da einige schon wieder
entlassen wurden, die Untersuchungen kein erhebliches Resultat haben zu wollen.
Kaum hatte Khevenhüller in seiner Proclamation uns bekannt gegeben, "daß durch
übereinstimmende Anzeigen und erhobene Thatsachen die revolutionären Pläne
einer verbrecherischen Fraktion festgestellt seien," so war an demselben Tage die


im Namen der Gesammtheit auf, und fordert in ihrer schon letzthin besprochenen
Petition für alle Völker Oestreichs die vom Reichstage entworfene Verfcissuugsur-
knnde. Sie hält sich nicht mehr für berufen, gegenüber der Allgemeinheit jener
weltbeglückenden Phrase, welche die Wiener Demokraten im Munde führte», die
Partikularität des Czechenthums zur Geltung zu bringen; sondern sie dachte viel¬
mehr, jetzt sei die demokratische Mission für ganz Oestreich aus dem belagerten
Wien nach Prag, übergegangen, welches noch unter allen Städten der Monarchie
sich am Freiesten bewegen könne und daher von dieser Freiheit auch einen förder-
samen Gebrauch für das Ganze machen müsse. Die Petition der sIuv-uiLki- I^>ii konnte,
da sie in dieser Fassung eine günstige Erledigung nicht erwarten ließ, zugleich den
Sporn zur revolutionären Selbsthilfe des Volkes enthalten, und war, wenn sie
überhaupt einen Zweck haben sollte, auch auf diese letztere Wirkung berechnet.
Der entschiedene Ton, in welchem sie abgefaßt war, deutete mit Bestimmtheit
darauf hiu, daß man sich in den abschlägigen Bescheid, auf den man ohnehin
rechnete, nicht mit stiller Resignation ergeben wolle. Vielmehr sollte diese Peti¬
tion ein Ultimatum des Volkes an die Krone und zugleich das Programm einer
künftigen Erhebung sein. Indem die Mitglieder der slovnnskä lipä und ihrer
Filialen, wie begreiflich auf dem Lande Unterschriften für diese Petition sammel¬
ten, fanden sie auch Gelegenheit, auf das Volk vorbereitet einzuwirken, und der¬
jenigen Gemeinden sich zu versichern, anf die man im entscheidenden Falle rechnen
könnte. Ueber den Zeitpunkt einer Volkserhebung wird man sich noch kaum ge¬
einigt haben; möglich ist es aber immer, daß man im Henrigen Mai auf das
Octroi vom 4. März 1849 eine Antwort des „souveränen" Volkes in Prag er¬
folgen lassen wollte, so wie das Volk ans das Octroi vom 28. April 1848 im
vorjährigen Mai in Wien geantwortet hatte. Dies läßt sich aber mit Bestimmt¬
heit behaupten, daß die Bewegung, wenn sie wirklich zum Ausbruche gekommen
wäre, kein anderes Motto, als die Anerkennung der vom Reichstag entworfenen
Constitutionsurkunde gehabt haben würde. Da die Kraft des Wiener Volkes ge¬
brochen war, so dachte man daran, in Prag jene große, altöstreichische Bastille
zu stürmen, in der die Volkögeister gefangen gehalten wurden und an ihrer Stelle
den Grundstein zu jenem Pantheon zu legen, von dem der Reichstag bereits den
Riß entworfen.

Diesem möglichen Fall wurde nun durch den Belagerungszustand vorgebeugt,
der zur allgemeinen Ueberraschung am 10. Mai über Prag verhängt wurde. Die
sogleich vorgenommenen Verhaftungen betrafen solche Personen, welche bereits an
dem Juni-Aufstande betheiligt gewesen; jedoch scheine», da einige schon wieder
entlassen wurden, die Untersuchungen kein erhebliches Resultat haben zu wollen.
Kaum hatte Khevenhüller in seiner Proclamation uns bekannt gegeben, „daß durch
übereinstimmende Anzeigen und erhobene Thatsachen die revolutionären Pläne
einer verbrecherischen Fraktion festgestellt seien," so war an demselben Tage die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/463>, abgerufen am 15.01.2025.