Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.In der Wirklichkeit gibt's keine Kaiserkrone von Oestreich. Sie ist der ab¬ Auf dem Graben stand ein Bataillon Grenadiere und gab die üblichen Sal¬ Wer mir vor einem Jahre von dem kriegerischen Geiste der Wiener gespro¬ Unsere weiland Nationalgardisten zupfen einander voll Schadenfreude rechts 58*
In der Wirklichkeit gibt's keine Kaiserkrone von Oestreich. Sie ist der ab¬ Auf dem Graben stand ein Bataillon Grenadiere und gab die üblichen Sal¬ Wer mir vor einem Jahre von dem kriegerischen Geiste der Wiener gespro¬ Unsere weiland Nationalgardisten zupfen einander voll Schadenfreude rechts 58*
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In der Wirklichkeit gibt's keine Kaiserkrone von Oestreich. Sie ist der ab¬
strakte Gedanke der verschiedenen Königskronen, welche die Monarchie repräsenti-
ren, und davon soll jede mit Bajonnetten ewig bewacht, mit Waffengewalt wie¬
der und wieder erobert werden. Lieber aber wollt' ich — ein armer Abenteu¬
rer — eine Expedition gegen China unternehmen und mich in der Voraus¬
setzung des Gelingens Kaiser Tschnkin schelten lassen, als den Kaiser von
Oestreich spielen, bevor ich nicht Italien, Galizien und Ungarn fest in der Tasche
habe, hineingezwängt durch die innere Nothwendigkeit des Zusammenwirkens.
Es lebe Kaiser Tschnkin und das einige chinesisch-japanisch-mongolische Reich! —
Auf dem Graben stand ein Bataillon Grenadiere und gab die üblichen Sal¬
ven. Ein paar Dutzend vereinzelte Schusse im Stadtgraben abgerechnet, die ih¬
ren Widerhall bis an die äußersten Enden der civilisirten Welt fanden, hatten
wir seit vielen Monaten kein Gewehrfeuer gehört. Manchem that's wohl und
Manchem weh. Am Stephansplatz knallte seit Menschengedenken an diesem Tage
die Bürgergarde mit ihren Büchsen so gut es eben gehn wollte. Heuer war's
dort still. Die alte Bürgermiliz war von der naseweisen Nationalgarde in's
Schlepptau genommen worden, und so sind beide in den Katarakten des Belage¬
rungszustandes jämmerlich zu Grunde gegangen. Ob der Phönix mit schwarz-
gelben, schwarzrothgoldnem oder gar russischgrünem Gefieder la est Cocarden,
aus dem Grabe auferstehn wird, wissen die Götter. Heute mußten die ehrsamen
Spießbürger sich bequemen, mit den gottlosen Proletariern und ihrer Teufels¬
brut hinter den Spalieren Platz zu nehmen, und die Fußtritte der k. k. Sol¬
daten über sich ergehn lassen. Das vergessen die Wiener dem Hofe nie, und wenn
Bach-Schwarzenberg einmal in Anklagezustand versetzt werden sollten, muß dies der
erste Paragraph der Klageakte werden. Mein Schneider stimmt dann für den Tod.
Wer mir vor einem Jahre von dem kriegerischen Geiste der Wiener gespro¬
chen, den würde ich für den zweiten Narren Deutschlands erklärt haben — der
König von Preußen war schon damals der erste — und jetzt! Nicht einmal auf
die Feigheit der Städtcbiuger können sich die Fürsten mehr verlassen, nachdem die
Wiener dem Windischgrätz und die Römer dem Oudinot Respect eingeflößt haben.
Erst hente, als ich mich hinter den Spalieren herumtrieb, konnte ich neuerdings
gewahren, daß die Wiener von einem gewissen militärischen Geiste wie besessen
sind, trotzdem daß sie bis jetzt so übel dabei davongekommen waren. Würde doch
von jedem einzelnen Soldaten herumgeschnnppert, und alles beguckt und gemustert
und bekrittelt! Die Kritik fiel sehr ungünstig für's Militär aus, und das war
natürlich, denn die ganze Garnison besteht aus Rekruten. Die Offiziere sind auch
meist Neulinge, unbärtige Muttersöhnchen, denen jetzt Raum gegönnt ist, die
kleinen Tyrannen zu spielen und in ihren Mußestunden die Theorie des Constabler-
thums zu studiren.
Unsere weiland Nationalgardisten zupfen einander voll Schadenfreude rechts
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