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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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geleert werden, damit es dann auf der Weltbühne Gespenster gebe. Der welt¬
geschichtliche Glaube kennt keine Auferstehung der Todten; sie sollen nur aufersteh"
I.V. M der frischen grünen Saat, die über ihren Gräbern gedeiht.




Pariser Genrebilder.



Der Anblick der Seinestadt in den letzten Tagen vor den Wahlen zur Na¬
tionalversammlung ist ein höchst eigenthümlicher, und der Fremde, namentlich der
Deutsche, fühlt sich vollständig in eine neue Welt verseht, in welcher leine Sinne
ihm den Gehorsam zu versagen drohen. Von dem Lärm und der Agitation in
den Gassen, auf den Boulevards und Plätzen können Sie sich unmöglich eine
Vorstellung machen. Alle Mauern sind von oben bis unten mit ungeheure" Affi-
chen beklebt, welche in emphatischen Worten den oder jenen Candidaten vorschlage";
überall stehe" lebhast gesticnlirende Gruppen von Neugierigen vor diesen Anzeigen,
und die Stimmenwerber schlüpfen bald da, bald dort durch die Menschenmenge,
um ihr Gewerbe anzubringen. Jede Partei sucht die raffinirtesten Künste hervor,
UM ihren Gegnern so sehr als möglich Terrain abzugewinnen. In den beiden
letzten Tagen vor den Wahlen ist es wirklich, um toll zu werden. Via" kaun
seine Schritte nirgends hin wende", ohne daß Einem Hunderte von Wahlzetleln
in die Hand gepreßt werden, Zettel von allen Farben, rothe, weiße, blane,
grüne, je nach den politischen Abzeichen der Parteien. Man mag machen,
was man will -- es ist unmöglich, sich des Empfangs solcher Zettel zu erwehren,
und ich kann Sie versichern, daß am Sonnabend vor den Wahlen meine Tasaen
damit ganz vollgepfropft gewesen sind. D'ehe Vertheilung gibt inzwischen Anlaß
zu einer ganz besonderen Industrie -- die schlauen Evicicr's machen sich dieselbe
zu Nutz, um sich auf wohlfeilste Art mit dem beuöihigten Papier zu versehen.
Sie schicken ihre Lehrburschen fort, um in allen Straßen Wahlzettel einzusam¬
meln -- und so kommt es, daß man vier Wochen lang in ganz Paris keinen
Häring, kein Loth Schnupftabak kaufen kann, dessen Enveloppe nicht ein ""llvtin
<lo volo wäre. Auch Mr. Lesevbre hat eine reiche Ernte von Wahlzetteln gehal¬
ten, einzig und allein , um mit denselben, in zweckmäßigen Schattirungen, ein
kleines Gemach zu tapeziren, an welcher Tapete er nunmehr seine kindische Freude
h"t- Ich glaube übrigens kaum, daß in Deutschland jemals der Sinn für das
öffentliche Wohl so ausgebildet werden wird, wie dies hier in Paris jetzt schon
der Fall ist, wie sich das insbesondere durch die allgemeine Betheiligung an dem
Wahlgeschäft documentirt. Man muß gber auch sehen, wie sehr die politische


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geleert werden, damit es dann auf der Weltbühne Gespenster gebe. Der welt¬
geschichtliche Glaube kennt keine Auferstehung der Todten; sie sollen nur aufersteh»
I.V. M der frischen grünen Saat, die über ihren Gräbern gedeiht.




Pariser Genrebilder.



Der Anblick der Seinestadt in den letzten Tagen vor den Wahlen zur Na¬
tionalversammlung ist ein höchst eigenthümlicher, und der Fremde, namentlich der
Deutsche, fühlt sich vollständig in eine neue Welt verseht, in welcher leine Sinne
ihm den Gehorsam zu versagen drohen. Von dem Lärm und der Agitation in
den Gassen, auf den Boulevards und Plätzen können Sie sich unmöglich eine
Vorstellung machen. Alle Mauern sind von oben bis unten mit ungeheure» Affi-
chen beklebt, welche in emphatischen Worten den oder jenen Candidaten vorschlage»;
überall stehe» lebhast gesticnlirende Gruppen von Neugierigen vor diesen Anzeigen,
und die Stimmenwerber schlüpfen bald da, bald dort durch die Menschenmenge,
um ihr Gewerbe anzubringen. Jede Partei sucht die raffinirtesten Künste hervor,
UM ihren Gegnern so sehr als möglich Terrain abzugewinnen. In den beiden
letzten Tagen vor den Wahlen ist es wirklich, um toll zu werden. Via» kaun
seine Schritte nirgends hin wende», ohne daß Einem Hunderte von Wahlzetleln
in die Hand gepreßt werden, Zettel von allen Farben, rothe, weiße, blane,
grüne, je nach den politischen Abzeichen der Parteien. Man mag machen,
was man will — es ist unmöglich, sich des Empfangs solcher Zettel zu erwehren,
und ich kann Sie versichern, daß am Sonnabend vor den Wahlen meine Tasaen
damit ganz vollgepfropft gewesen sind. D'ehe Vertheilung gibt inzwischen Anlaß
zu einer ganz besonderen Industrie — die schlauen Evicicr's machen sich dieselbe
zu Nutz, um sich auf wohlfeilste Art mit dem beuöihigten Papier zu versehen.
Sie schicken ihre Lehrburschen fort, um in allen Straßen Wahlzettel einzusam¬
meln — und so kommt es, daß man vier Wochen lang in ganz Paris keinen
Häring, kein Loth Schnupftabak kaufen kann, dessen Enveloppe nicht ein «»llvtin
<lo volo wäre. Auch Mr. Lesevbre hat eine reiche Ernte von Wahlzetteln gehal¬
ten, einzig und allein , um mit denselben, in zweckmäßigen Schattirungen, ein
kleines Gemach zu tapeziren, an welcher Tapete er nunmehr seine kindische Freude
h»t- Ich glaube übrigens kaum, daß in Deutschland jemals der Sinn für das
öffentliche Wohl so ausgebildet werden wird, wie dies hier in Paris jetzt schon
der Fall ist, wie sich das insbesondere durch die allgemeine Betheiligung an dem
Wahlgeschäft documentirt. Man muß gber auch sehen, wie sehr die politische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/427>, abgerufen am 15.01.2025.