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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Ueber die Ansicht der Regierung von dem bestehenden Recht sind wir im
Klaren. Wir kommen auf die zweite Frage: wie denkt sie sich die zukünftigen
Rechtsverhältnisse, welche durch die Gründung des neuen Bundesstaats sich bilden
sollen?

Der principielle Unterschied des preußischen Entwurfs von dem Frankfurter
springt in die Augen, und wir müssen sogleich hinzusetzen, der erste kommt der
Ansicht, welche wir selbst über die Entwickelung der deutschen Verhältnisse vom
Anfang der Revolution an ausgesprochen haben, viel näher als der zweite, und
wir würden ihm auch jetzt noch den Vorzug geben, müßten wir nicht aus seinem
Ursprung mit Gewißheit schließen, daß fortwährende Verletzungen desselben von
Seiren der Regierungen "die nothwendige Folge seiner materiellen Wesenlvsigkeit"
wären. Dies zu begründen, müssen wir einen Augenblick in die Geschichte des
vergangenen Jahres zurückgehen.

Diejenige Partei, welche sich nach der Märzrevolution , bei der vollständigen
Ohnmacht der deutschen Regierungen, der Bewegung bemächtigte, setzte sich zum
Ziel die Herstellung des deutschen Reichs. Der deutsche Bund sollte durch eine
aus der Volksvertretung hervorgegangene und ihr verantwortliche Centralgewalt
ersetzt, und zu Gunsten dieser Centralgewalt die einzelnen deutschen Staaten,
namentlich die beiden mächtigsten, Oestreich und Preußen, mediatisirt werden.
Aus diesem Streben ging die provisorische Gewalt des Reichsverwesers hervor.

Wir gehörten zu der sehr geringen Zahl derjenigen, welche dielen ganzen
Weg für einen falschen ansahen. Gar zu stark versteckte sich hinter der Maske
der Centralisation der bloße Haß gegen den berechtigten -- großstaatischen Par-
ticularismus von Seiten des unberechtigten, kleinstaatischen. Wir konnten mit
derjenigen Partei nicht gehen, welche zu Gunsten des Einheitsstaats ernstlich alle
Fürsten verjagen wollte, weil diese keinen andern Hinterhalt hatte, als die zügel¬
losen Massen; wir konnten aber noch viel weniger die Illusionen derjenigen Partei
theilen, welche naiv genug war, die Oberherrschaft einer constitutionellen Reichs-
gewalt und zugleich das Fortbestehen zweier Großstaaten für möglich zu halten.
Wir waren der festen Ueberzeugung, daß Deutschland unfähig sei, sich durch einen
innerlichen Proceß zu einem Einheitsstaat zu gestalten. Trotz der Schwäche, in
welche Oestreich und Preußen damals versunken schien, glaubten wir doch an die
Fortdauer ihres welthistorischen Berufs und knüpften die Idee einer deutschen
Macht an die Entwickelung dieser beiden Kriegerstaaten.

Oestreich schrieben wir den Beruf zu, seine außerdeutschen Provinzen und
dem deutschen Geist zu durchdringen und zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen.
Preußen, in die Bahn von 1808 zurückgeführt, sollte die Hegemonie in dem übri¬
gen Deutschland führen. Beide Staate" sollten in ein enges, völkerrechtliches
Bündniß zu einander treten.

Wir dachten uns eine gleichmäßige constitutionelle Verfassung in sämmtlichen


Ueber die Ansicht der Regierung von dem bestehenden Recht sind wir im
Klaren. Wir kommen auf die zweite Frage: wie denkt sie sich die zukünftigen
Rechtsverhältnisse, welche durch die Gründung des neuen Bundesstaats sich bilden
sollen?

Der principielle Unterschied des preußischen Entwurfs von dem Frankfurter
springt in die Augen, und wir müssen sogleich hinzusetzen, der erste kommt der
Ansicht, welche wir selbst über die Entwickelung der deutschen Verhältnisse vom
Anfang der Revolution an ausgesprochen haben, viel näher als der zweite, und
wir würden ihm auch jetzt noch den Vorzug geben, müßten wir nicht aus seinem
Ursprung mit Gewißheit schließen, daß fortwährende Verletzungen desselben von
Seiren der Regierungen „die nothwendige Folge seiner materiellen Wesenlvsigkeit"
wären. Dies zu begründen, müssen wir einen Augenblick in die Geschichte des
vergangenen Jahres zurückgehen.

Diejenige Partei, welche sich nach der Märzrevolution , bei der vollständigen
Ohnmacht der deutschen Regierungen, der Bewegung bemächtigte, setzte sich zum
Ziel die Herstellung des deutschen Reichs. Der deutsche Bund sollte durch eine
aus der Volksvertretung hervorgegangene und ihr verantwortliche Centralgewalt
ersetzt, und zu Gunsten dieser Centralgewalt die einzelnen deutschen Staaten,
namentlich die beiden mächtigsten, Oestreich und Preußen, mediatisirt werden.
Aus diesem Streben ging die provisorische Gewalt des Reichsverwesers hervor.

Wir gehörten zu der sehr geringen Zahl derjenigen, welche dielen ganzen
Weg für einen falschen ansahen. Gar zu stark versteckte sich hinter der Maske
der Centralisation der bloße Haß gegen den berechtigten — großstaatischen Par-
ticularismus von Seiten des unberechtigten, kleinstaatischen. Wir konnten mit
derjenigen Partei nicht gehen, welche zu Gunsten des Einheitsstaats ernstlich alle
Fürsten verjagen wollte, weil diese keinen andern Hinterhalt hatte, als die zügel¬
losen Massen; wir konnten aber noch viel weniger die Illusionen derjenigen Partei
theilen, welche naiv genug war, die Oberherrschaft einer constitutionellen Reichs-
gewalt und zugleich das Fortbestehen zweier Großstaaten für möglich zu halten.
Wir waren der festen Ueberzeugung, daß Deutschland unfähig sei, sich durch einen
innerlichen Proceß zu einem Einheitsstaat zu gestalten. Trotz der Schwäche, in
welche Oestreich und Preußen damals versunken schien, glaubten wir doch an die
Fortdauer ihres welthistorischen Berufs und knüpften die Idee einer deutschen
Macht an die Entwickelung dieser beiden Kriegerstaaten.

Oestreich schrieben wir den Beruf zu, seine außerdeutschen Provinzen und
dem deutschen Geist zu durchdringen und zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen.
Preußen, in die Bahn von 1808 zurückgeführt, sollte die Hegemonie in dem übri¬
gen Deutschland führen. Beide Staate» sollten in ein enges, völkerrechtliches
Bündniß zu einander treten.

Wir dachten uns eine gleichmäßige constitutionelle Verfassung in sämmtlichen


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[0400] Ueber die Ansicht der Regierung von dem bestehenden Recht sind wir im Klaren. Wir kommen auf die zweite Frage: wie denkt sie sich die zukünftigen Rechtsverhältnisse, welche durch die Gründung des neuen Bundesstaats sich bilden sollen? Der principielle Unterschied des preußischen Entwurfs von dem Frankfurter springt in die Augen, und wir müssen sogleich hinzusetzen, der erste kommt der Ansicht, welche wir selbst über die Entwickelung der deutschen Verhältnisse vom Anfang der Revolution an ausgesprochen haben, viel näher als der zweite, und wir würden ihm auch jetzt noch den Vorzug geben, müßten wir nicht aus seinem Ursprung mit Gewißheit schließen, daß fortwährende Verletzungen desselben von Seiren der Regierungen „die nothwendige Folge seiner materiellen Wesenlvsigkeit" wären. Dies zu begründen, müssen wir einen Augenblick in die Geschichte des vergangenen Jahres zurückgehen. Diejenige Partei, welche sich nach der Märzrevolution , bei der vollständigen Ohnmacht der deutschen Regierungen, der Bewegung bemächtigte, setzte sich zum Ziel die Herstellung des deutschen Reichs. Der deutsche Bund sollte durch eine aus der Volksvertretung hervorgegangene und ihr verantwortliche Centralgewalt ersetzt, und zu Gunsten dieser Centralgewalt die einzelnen deutschen Staaten, namentlich die beiden mächtigsten, Oestreich und Preußen, mediatisirt werden. Aus diesem Streben ging die provisorische Gewalt des Reichsverwesers hervor. Wir gehörten zu der sehr geringen Zahl derjenigen, welche dielen ganzen Weg für einen falschen ansahen. Gar zu stark versteckte sich hinter der Maske der Centralisation der bloße Haß gegen den berechtigten — großstaatischen Par- ticularismus von Seiten des unberechtigten, kleinstaatischen. Wir konnten mit derjenigen Partei nicht gehen, welche zu Gunsten des Einheitsstaats ernstlich alle Fürsten verjagen wollte, weil diese keinen andern Hinterhalt hatte, als die zügel¬ losen Massen; wir konnten aber noch viel weniger die Illusionen derjenigen Partei theilen, welche naiv genug war, die Oberherrschaft einer constitutionellen Reichs- gewalt und zugleich das Fortbestehen zweier Großstaaten für möglich zu halten. Wir waren der festen Ueberzeugung, daß Deutschland unfähig sei, sich durch einen innerlichen Proceß zu einem Einheitsstaat zu gestalten. Trotz der Schwäche, in welche Oestreich und Preußen damals versunken schien, glaubten wir doch an die Fortdauer ihres welthistorischen Berufs und knüpften die Idee einer deutschen Macht an die Entwickelung dieser beiden Kriegerstaaten. Oestreich schrieben wir den Beruf zu, seine außerdeutschen Provinzen und dem deutschen Geist zu durchdringen und zu einem Einheitsstaat zu verschmelzen. Preußen, in die Bahn von 1808 zurückgeführt, sollte die Hegemonie in dem übri¬ gen Deutschland führen. Beide Staate» sollten in ein enges, völkerrechtliches Bündniß zu einander treten. Wir dachten uns eine gleichmäßige constitutionelle Verfassung in sämmtlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/400>, abgerufen am 15.01.2025.