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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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gefertigt zu haben glaubt. Die Czechen, die von Anbeginn in der bewegten
Mitte von Europa leben und an den großen Geschicken des Welttheils unmittelbar
Theil genommen haben, konnten bei dem lebhaften Scenenwechsel des großen
Völkerdramas nie für die Dauer zu jener lyrischen Stimmung zurückkehren, die
zur nationalen Selbstbeschauung nothwendig gehört und in dem abgeschlossenen
Hochlande oder der indifferenten Steppe so reichlich genährt wird. Die slavische
Innerlichkeit wurde an dieser unruhigen Stätte aus ihrem brütenden Versnnken-
sein frühzeitig herausgerissen, und unter dem Einflüsse deutscher Bildung allmälig
sich selbst entfremdet, während sie bei den östlicher wohnenden Slaven, die fort¬
während in specialhistorischer Zurückgezogenheit beharrten, nichts von ihrer Eigen¬
thümlichkeit und ihrem Naturwuchs einbüßte. Dort ist der Panslavismus der
allgegenwärtige, lebendige Geist der Vewegnng, der unmittelbare Pulsschlag in
allen Herzen; aber in Böhmen war er nur ein mythischer Gast aus der Vergan¬
genheit, der in unserer Zeit, wo alle Gräber sprangen, anch die Gruftsiegel zer¬
brach, und der Natnrwuchs der Jungczechen stammte aus eben jener Hexenküche,
aus der Faust sich seiue zweite Jugend holte. Der Ziergarten der neuczechischen
Literatur, der in den letzten Jahren des politischen Müssigganges während der
großen weltgeschichtlichen Pause der Restaurationsperiode angelegt wurde, war
keineswegs aus der Fülle des nationalen Lebens hervorgegangen, sondern es sollte
umgekehrt durch die Illusion einer gemachten Nationalliteratnr auf die abgestor¬
bene Ursprünglichkeit zurückgewirkt werden, der Czeche sollte dasjenige aus den
Büchern der ,M»tico cvsk-t" herauslesen, was nicht mehr als lebendige, blut¬
warme Empfindung durch seine Adern rann, die neuczechischen Schriftsteller dachten
in allem Ernste daran, allmälig ein Volk heranzubilden, welches zu ihren Büchern
passen möchte; sie hielten sich für die berufenen Slavenapostcl der Neuzeit, und
gruben die alten Heiligthümer wieder heraus, um den gesunkenen Glauben des
Volkes an sich selbst neu zu beleben. Die Königinhofer Handschrift, die „slavi¬
schen Alterthümer" von P. Saffarik, die gelehrten Abhandlungen im „cavvw's
c^Je-Im Misemn" bekamen in dieser Weise die geheimnißvolle Bedeutung einer
neuen et-lviculil 8ni.-unoiii8z durch welche der Geist der Väter aus seinem ver¬
schollenen Grabe gerufen werden sollte.

Wie zwischen den Theorien der Aufklärungsperiode und den Thaten der Re¬
volution eine genaue Beziehung stattfindet, so läßt sich auch ein ähnlicher Zusam¬
menhang zwischen den gelehrten Forschungen der czechischen Philologen und Histo¬
riker und der nationalen Bewegung vom Jahre 1848 nachweisen; nur führten die
Abstractionen des 18. Jahrhunderts zum Bruche mit der Vergangenheit, während
die Empirie der böhmischen Gelehrten das romantische Gelüste der Restauration
weckte. Diese rückwärts gekehrten Propheten erschienen auch zum größten Theile
an der Spitze der czechischen Bewegung, und übten auf sie einen thätig fördern¬
den Einfluß. Allein wir können durchaus nicht sagen, daß an ihnen der allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/346>, abgerufen am 23.01.2025.