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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Dieses vielsagende konstitutionelle Stillschweigen hat unsere Bureaukraten und
Absolutesten einen Stein vom Herzen genommen. Wenn ein ehrbarer Pudel ein
paar Minuten mühsam auf zwei Beinen gestanden hat, so fällt er mit Wollust
wieder auf alle Viere und wedelt glückselig mit seinem angebornen Zepter: er ist
wieder ganz er selbst. Und Sie haben keinen Begriff vom Behagen unserer ser¬
vilen. Jetzt können sie mit majestätischem Patriotismus Jeden anknurren, der noch
von constitutionellen Rücksichten und Skrupeln spricht, "wozu der Augenblick doch
wahrlich schlecht gewählt sei"; jetzt dürfen sie ohne Scham und ungenirt in die
antediluvianische Sprache zurückfallen, mit der sie aufgehängt sind. Dies unarti-
kulirte Idiom unterscheidet sich nur durch einen altmodischen Pfiff vom Russischen
Nikvlay I., in seiner Offenbarung vom 11. Mai (Petersburger Zeitung), entfesselt
den Boreas gradezu gegen die "Unruhen und Empörungen im Westen," gegen
die paar Dutzend Millionen Seelen Europas, die der Weisheit von drei, vier
Völkerhirten deu Gehorsam kündigen.

Zu solcher Sprache gehört aber die Kühnheit des unverkünstelten Despoten.
Unsere kleinen und verschämten Russen fuhren die absolutistische Polemik mit Hilfe
eines allmächtigen Schlagwortes. Einst war das Geschrei: "Burschenschafter und
Demagog" Mode, dann das Wort: "Franzosenfreund"; seitdem aber die Fürsten
selbst die Demagogie und Burschenschafterei von 1817 getrieben und sich für daS
welsche System von Louis Philipp erklärt haben, zieht dergleichen nicht mehr.
"Communismus", "sociale Revolution" ist das Feldgeschrei, mit dem jeder Wider¬
spruch und alle Logik aufs Haupt geschlagen wird. Ju Deutschland weiß die
Reaction diese Waffe etwas feiner zu führen. Hier schlägt man damit, wie früher
mit dem Papagaicnruf: "Gleichberechtigung" oft nach einer Seite, auf die es
wie die Faust aufs Auge paßt.

Hören Sie einmal die offizielle Wiener Zeitung aus dem Schlaf reden.
Hartnäckig phantasirt sie vou der "socialen Revolution" in Ungarn. Sie meint
damit nicht die galizischen Schlächterscencn (1846), welche die Regierung durch den
urwüchsigen Communismus walachischer und serbischer Freibeuter in Sündungarn
neu aufspielen ließ: sie faselt allen Ernstes -- oder thut doch so -- von den
socialistischen Tendenzen der magyarischen Revolution und ihrer aristokratischen
Führer. Nur über den einen Punkt ist sie noch im Unklaren: ob die ungarischen
Czikvse (Noßhirtcn) mehr zu Fourier oder zu Baboeuf neigen. Was die Husaren
betrifft, so ist es authentisch, daß sie bei ihren abendlichen Wachtfeuern Proudhon
und nichts als Proudhon studiren.

Ungeheuer ist das Geheul moralischer Entrüstung gegen die Söhne der pol¬
nische" Nemesis, die überall in fremden Ländern für ihr Vaterland fechten. War¬
um habt Ihr ihnen kein vaterländisches Schlachtfeld gelassen? Niemand hörte ich
so unbarmherzig gegen die P?im in Ungarn und Italien wüthen als einen k. k.
Offizier, der selbst in russischen Diensten gegen Tscherkessen gefochten und in Bra-


Dieses vielsagende konstitutionelle Stillschweigen hat unsere Bureaukraten und
Absolutesten einen Stein vom Herzen genommen. Wenn ein ehrbarer Pudel ein
paar Minuten mühsam auf zwei Beinen gestanden hat, so fällt er mit Wollust
wieder auf alle Viere und wedelt glückselig mit seinem angebornen Zepter: er ist
wieder ganz er selbst. Und Sie haben keinen Begriff vom Behagen unserer ser¬
vilen. Jetzt können sie mit majestätischem Patriotismus Jeden anknurren, der noch
von constitutionellen Rücksichten und Skrupeln spricht, „wozu der Augenblick doch
wahrlich schlecht gewählt sei"; jetzt dürfen sie ohne Scham und ungenirt in die
antediluvianische Sprache zurückfallen, mit der sie aufgehängt sind. Dies unarti-
kulirte Idiom unterscheidet sich nur durch einen altmodischen Pfiff vom Russischen
Nikvlay I., in seiner Offenbarung vom 11. Mai (Petersburger Zeitung), entfesselt
den Boreas gradezu gegen die „Unruhen und Empörungen im Westen," gegen
die paar Dutzend Millionen Seelen Europas, die der Weisheit von drei, vier
Völkerhirten deu Gehorsam kündigen.

Zu solcher Sprache gehört aber die Kühnheit des unverkünstelten Despoten.
Unsere kleinen und verschämten Russen fuhren die absolutistische Polemik mit Hilfe
eines allmächtigen Schlagwortes. Einst war das Geschrei: „Burschenschafter und
Demagog" Mode, dann das Wort: „Franzosenfreund"; seitdem aber die Fürsten
selbst die Demagogie und Burschenschafterei von 1817 getrieben und sich für daS
welsche System von Louis Philipp erklärt haben, zieht dergleichen nicht mehr.
„Communismus", „sociale Revolution" ist das Feldgeschrei, mit dem jeder Wider¬
spruch und alle Logik aufs Haupt geschlagen wird. Ju Deutschland weiß die
Reaction diese Waffe etwas feiner zu führen. Hier schlägt man damit, wie früher
mit dem Papagaicnruf: „Gleichberechtigung" oft nach einer Seite, auf die es
wie die Faust aufs Auge paßt.

Hören Sie einmal die offizielle Wiener Zeitung aus dem Schlaf reden.
Hartnäckig phantasirt sie vou der „socialen Revolution" in Ungarn. Sie meint
damit nicht die galizischen Schlächterscencn (1846), welche die Regierung durch den
urwüchsigen Communismus walachischer und serbischer Freibeuter in Sündungarn
neu aufspielen ließ: sie faselt allen Ernstes — oder thut doch so — von den
socialistischen Tendenzen der magyarischen Revolution und ihrer aristokratischen
Führer. Nur über den einen Punkt ist sie noch im Unklaren: ob die ungarischen
Czikvse (Noßhirtcn) mehr zu Fourier oder zu Baboeuf neigen. Was die Husaren
betrifft, so ist es authentisch, daß sie bei ihren abendlichen Wachtfeuern Proudhon
und nichts als Proudhon studiren.

Ungeheuer ist das Geheul moralischer Entrüstung gegen die Söhne der pol¬
nische» Nemesis, die überall in fremden Ländern für ihr Vaterland fechten. War¬
um habt Ihr ihnen kein vaterländisches Schlachtfeld gelassen? Niemand hörte ich
so unbarmherzig gegen die P?im in Ungarn und Italien wüthen als einen k. k.
Offizier, der selbst in russischen Diensten gegen Tscherkessen gefochten und in Bra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/342>, abgerufen am 15.01.2025.