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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Kritik trug übrigens sein Schicksal mit möglichem Humor, und die Stndentcn-
streiche der Gefangenen wird die Sage noch spät in Magdeburg aufbewahren.

Die Ironie gegen den Inhalt der verschiedenen Seiten des Radikalismus
war zum Theil sehr treffend, sie mochten sich nun Hnnianisten oder Socialisten
nennen, ihre Macht war die Phrase. Aber die Kritik gewöhnte sich so sehr an
den ironischen Ton, an die satyrischen Gänsefüßchen, mit denen sie die Absurdi¬
täten ihrer Gegner einführte, daß man in vielen Fällen nicht wehr errathen konnte,
wo eigentlich die Pointe wäre. Das Hauptstichwort war: der Geist gegen die
Masse. Die Masse wolle durch ihre Organe, die Communisten n. s. w., alle
Eigenthümlichkeit ausheben und das Große zu sich herabziehn; weil Einige Lumpen
wären, sollten dem Princip der Gleichheit zufolge Alle Lumpen sein. Einem von
der Schule, Max Stirner, kam der "Geist," und das ganze Princip der Kritik,
die Wahrheit, auch noch zu reactionär vor; er schrieb ein Buch: "Der Einzige
und sein Eigenthum" (eigentlich wollte er es "Ich" taufen), worin er den Geist,
die Menschheit u. s. w. mit den alten Götzen in das Reich der Gespenster warf.
Real auf Erden bin uur Ich, und die Speise, die mich nährt, die Bilder, die
mich ergötzen, die ich verbrauche zu meinem souveränen Nutzen und Vergnügen.
Wozu ein Staat? wozu Recht und Gesetz? warum soll ich die Wahrheit sagen?
warum meine Schulden bezahlen? Die härteste Knechtschaft ist die des Gedan¬
kens, ein Ruck, ein Gähnen, und Ich bin frei! -- Dergleichen Einfälle, anmu¬
thig vorgetragen, haben der ewigen Ernsthaftigkeit gegenüber eine Berechtigung,
nur durch gelegentliche Ungezogenheit wird die Sitte werth; wenn man aber hört,
daß das die Frucht jahrelanger Studien und gewissenhafte" Nachdenkens, das letzte
Resultat der Philosophie sein soll, wenn man die Harlekinade mit einer Pedan¬
terie betreiben sieht, wie sie uur ein Philologe ans ein .Si'Ul sübseii^"," verwen¬
den kann, so wird der Spaß fast zu grob, um zu amüsiren. Der Mensch geht
ja seiner Natur uach auf ein geordnetes Gemeinwesen, ans wissenschaftliches Er-
kennen aus, sonst würde ihn kein Moralsystem weder zum Staat noch zur Wissen¬
schaft getrieben haben, und wenn der wahre Egoist sich in der Welt sehr wohl
zu bewegen weiß, so wird der Romantiker, der anf dem Princip des Egoismus
herumreitet, sich überall vor Schläge" zu hüten haben und so seines eignen
Princips wegen sich zu bescheiden wissen. Komisch genug forderte derselbe Stirner
einige Zeit darauf in der Vossischen Zeitung ans, ihm auf Personalcredit 500 Thlr.
zu leihen: also der Glaube an die Ehrlichkeit der Welt war durch sein System
nicht ausgerottet. -- Nach Stirners Lehre bildete sich in Kolben eine ganze Schule
von "Egoisten," die aber natürlich noch "weiter gingen," als der Meister; das
eine "Individuum" fand schon das verständige Anschauen der Welt, welches
Stirner uuter Umständen noch gebilligt hatte, zu philisterhaft; der eigentliche
Mensch dürfe die Natur uur an stierem Wenn man erst im Zuge ist, so hat
der Unsinn keine Grenze; jedenfalls mußte im Sprechen selbst die reactionäre


Kritik trug übrigens sein Schicksal mit möglichem Humor, und die Stndentcn-
streiche der Gefangenen wird die Sage noch spät in Magdeburg aufbewahren.

Die Ironie gegen den Inhalt der verschiedenen Seiten des Radikalismus
war zum Theil sehr treffend, sie mochten sich nun Hnnianisten oder Socialisten
nennen, ihre Macht war die Phrase. Aber die Kritik gewöhnte sich so sehr an
den ironischen Ton, an die satyrischen Gänsefüßchen, mit denen sie die Absurdi¬
täten ihrer Gegner einführte, daß man in vielen Fällen nicht wehr errathen konnte,
wo eigentlich die Pointe wäre. Das Hauptstichwort war: der Geist gegen die
Masse. Die Masse wolle durch ihre Organe, die Communisten n. s. w., alle
Eigenthümlichkeit ausheben und das Große zu sich herabziehn; weil Einige Lumpen
wären, sollten dem Princip der Gleichheit zufolge Alle Lumpen sein. Einem von
der Schule, Max Stirner, kam der „Geist," und das ganze Princip der Kritik,
die Wahrheit, auch noch zu reactionär vor; er schrieb ein Buch: „Der Einzige
und sein Eigenthum" (eigentlich wollte er es „Ich" taufen), worin er den Geist,
die Menschheit u. s. w. mit den alten Götzen in das Reich der Gespenster warf.
Real auf Erden bin uur Ich, und die Speise, die mich nährt, die Bilder, die
mich ergötzen, die ich verbrauche zu meinem souveränen Nutzen und Vergnügen.
Wozu ein Staat? wozu Recht und Gesetz? warum soll ich die Wahrheit sagen?
warum meine Schulden bezahlen? Die härteste Knechtschaft ist die des Gedan¬
kens, ein Ruck, ein Gähnen, und Ich bin frei! — Dergleichen Einfälle, anmu¬
thig vorgetragen, haben der ewigen Ernsthaftigkeit gegenüber eine Berechtigung,
nur durch gelegentliche Ungezogenheit wird die Sitte werth; wenn man aber hört,
daß das die Frucht jahrelanger Studien und gewissenhafte» Nachdenkens, das letzte
Resultat der Philosophie sein soll, wenn man die Harlekinade mit einer Pedan¬
terie betreiben sieht, wie sie uur ein Philologe ans ein .Si'Ul sübseii^»,» verwen¬
den kann, so wird der Spaß fast zu grob, um zu amüsiren. Der Mensch geht
ja seiner Natur uach auf ein geordnetes Gemeinwesen, ans wissenschaftliches Er-
kennen aus, sonst würde ihn kein Moralsystem weder zum Staat noch zur Wissen¬
schaft getrieben haben, und wenn der wahre Egoist sich in der Welt sehr wohl
zu bewegen weiß, so wird der Romantiker, der anf dem Princip des Egoismus
herumreitet, sich überall vor Schläge» zu hüten haben und so seines eignen
Princips wegen sich zu bescheiden wissen. Komisch genug forderte derselbe Stirner
einige Zeit darauf in der Vossischen Zeitung ans, ihm auf Personalcredit 500 Thlr.
zu leihen: also der Glaube an die Ehrlichkeit der Welt war durch sein System
nicht ausgerottet. — Nach Stirners Lehre bildete sich in Kolben eine ganze Schule
von „Egoisten," die aber natürlich noch „weiter gingen," als der Meister; das
eine „Individuum" fand schon das verständige Anschauen der Welt, welches
Stirner uuter Umständen noch gebilligt hatte, zu philisterhaft; der eigentliche
Mensch dürfe die Natur uur an stierem Wenn man erst im Zuge ist, so hat
der Unsinn keine Grenze; jedenfalls mußte im Sprechen selbst die reactionäre


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[0332] Kritik trug übrigens sein Schicksal mit möglichem Humor, und die Stndentcn- streiche der Gefangenen wird die Sage noch spät in Magdeburg aufbewahren. Die Ironie gegen den Inhalt der verschiedenen Seiten des Radikalismus war zum Theil sehr treffend, sie mochten sich nun Hnnianisten oder Socialisten nennen, ihre Macht war die Phrase. Aber die Kritik gewöhnte sich so sehr an den ironischen Ton, an die satyrischen Gänsefüßchen, mit denen sie die Absurdi¬ täten ihrer Gegner einführte, daß man in vielen Fällen nicht wehr errathen konnte, wo eigentlich die Pointe wäre. Das Hauptstichwort war: der Geist gegen die Masse. Die Masse wolle durch ihre Organe, die Communisten n. s. w., alle Eigenthümlichkeit ausheben und das Große zu sich herabziehn; weil Einige Lumpen wären, sollten dem Princip der Gleichheit zufolge Alle Lumpen sein. Einem von der Schule, Max Stirner, kam der „Geist," und das ganze Princip der Kritik, die Wahrheit, auch noch zu reactionär vor; er schrieb ein Buch: „Der Einzige und sein Eigenthum" (eigentlich wollte er es „Ich" taufen), worin er den Geist, die Menschheit u. s. w. mit den alten Götzen in das Reich der Gespenster warf. Real auf Erden bin uur Ich, und die Speise, die mich nährt, die Bilder, die mich ergötzen, die ich verbrauche zu meinem souveränen Nutzen und Vergnügen. Wozu ein Staat? wozu Recht und Gesetz? warum soll ich die Wahrheit sagen? warum meine Schulden bezahlen? Die härteste Knechtschaft ist die des Gedan¬ kens, ein Ruck, ein Gähnen, und Ich bin frei! — Dergleichen Einfälle, anmu¬ thig vorgetragen, haben der ewigen Ernsthaftigkeit gegenüber eine Berechtigung, nur durch gelegentliche Ungezogenheit wird die Sitte werth; wenn man aber hört, daß das die Frucht jahrelanger Studien und gewissenhafte» Nachdenkens, das letzte Resultat der Philosophie sein soll, wenn man die Harlekinade mit einer Pedan¬ terie betreiben sieht, wie sie uur ein Philologe ans ein .Si'Ul sübseii^»,» verwen¬ den kann, so wird der Spaß fast zu grob, um zu amüsiren. Der Mensch geht ja seiner Natur uach auf ein geordnetes Gemeinwesen, ans wissenschaftliches Er- kennen aus, sonst würde ihn kein Moralsystem weder zum Staat noch zur Wissen¬ schaft getrieben haben, und wenn der wahre Egoist sich in der Welt sehr wohl zu bewegen weiß, so wird der Romantiker, der anf dem Princip des Egoismus herumreitet, sich überall vor Schläge» zu hüten haben und so seines eignen Princips wegen sich zu bescheiden wissen. Komisch genug forderte derselbe Stirner einige Zeit darauf in der Vossischen Zeitung ans, ihm auf Personalcredit 500 Thlr. zu leihen: also der Glaube an die Ehrlichkeit der Welt war durch sein System nicht ausgerottet. — Nach Stirners Lehre bildete sich in Kolben eine ganze Schule von „Egoisten," die aber natürlich noch „weiter gingen," als der Meister; das eine „Individuum" fand schon das verständige Anschauen der Welt, welches Stirner uuter Umständen noch gebilligt hatte, zu philisterhaft; der eigentliche Mensch dürfe die Natur uur an stierem Wenn man erst im Zuge ist, so hat der Unsinn keine Grenze; jedenfalls mußte im Sprechen selbst die reactionäre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/332>, abgerufen am 15.01.2025.