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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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trat zu Hoffmann und hielt ihm eine "Pauke," in der er den lieben Gott gerührt
aufforderte, den wackern Vrndcr in seinen Schutz zu nehmen. Gleich darauf brachte
Edgar den Toast: Pereat Gott! und hielt einen Dithyrambus über das Blut,
welches fließen müsse. Man blasphemirte auf das Greulichste, und, was das
Drolligste ist, mit einer gewissen Scheu, wie Furchtsame den Donner durch lantes
Sprechen zu vergessen suchen. Der Ketzer blickt noch unheimlich seitwärts nach
dem Götzenbild, nach dem er Steine wirst.

Indeß die Trennung mußte doch einmal erfolgen. Als Bauer in seiner Lite-
raturzeitung feierlich proclamirte, "die Kritik" sei jetzt "gesinnungslos" geworden,
da wurde es den Radicalen, die bisher mit ihm gegangen waren, weil er "am
weitesten ging," doch zu bunt. Gesinnungslos! sie wußten nicht, was sie dazu
sagen sollten. Ruge erklärte seinerseits in einem Manifest, diesen Fortschritten ge¬
genüber sei er doch reactionär, er halte viel auf Gestuuuug, und zwischen den
"Sophisten" "ut "Humanisten" erhob sich jetzt ein scharfer Federkrieg.

Verfolgen wir zunächst Bruno Bauer in seiner Wirksamkeit als souveränen
Kritiker. Sei" Bruder Egbert verband in Charlottenburg mit einem Tabaksladcn
eine Buchhandlung, in welcher nur Werke der Schule verlegt wurden. Dieselbe
war ebeu so prvductiv in ihren Schriften als in der Ueberwindung von Stand¬
punkten. Theils in den historisch-kritischen Schriften, von denen in jedem Jahr
eine ziemliche Anzahl Bände erschien, theils in der "Literaturzeitung," die sie ein
halbes Jahr laug Herausgaben, läßt sich diese kritisch - reactionäre Richtung ver¬
folgen. ^

Der Radikalismus hatte sich in seinen Manifesten, in seinen Wünschen und
in seiner Polemik erschöpft. Er wußte nichts weiter zu sagen, und praktische
Resultate hatte er uicht gewonnen. Eine herbe Ernüchterung mußte folgen. Die
"souveräne Kritik" ist der Ausdruck sür diesen Katzenjammer des Radikalismus
über seinen eignen Rausch. Die Genialität, der "Geist," der bisher im fortfln-
thenden Gewühl sich hatte mitreißen lassen, besteigt nnn die einsame Warte, uM
den planlosen Strom der "Masse" ironisch zu überschauen.

Der neue Charakter, welchen die deutsche Bewegung mit dem Jahr 1843
annahm, diente dazu, diesen Gegensatz schärfer hervortreten zu lassen. Die Schrift
gelehrten und Poeten zogen sich zurück und die Masse trat handelnd ein. Der
Gustav-Adolph-Berein, die Dentschkatholit'en, die lichtfreundlichen Proteste, die
Vereine zur Hebung der niedern Volksklassen u. s. w. waren Symptome dieser
veränderten Richtung: der Kritik um so gelegener, da sie ihre beiden Gegensätze
in sich vereinigten: die Spießbürgerlichkeit und das Christenthum.¬

Wir haben bereits erwähnt, wie "die Kritik" ihre "Gesinnungslosigkeit" pro
clamirte, paradox, wie es die romantische Schule zu thun pflegte, weil sie n"r
die eine Seite des Gegensatzes auffaßte. Gestunuug ist das classische Stichwort
der Masse, ihr Protest gegen die freie Eigenthümlichkeit. Sie bezeichnet den


trat zu Hoffmann und hielt ihm eine „Pauke," in der er den lieben Gott gerührt
aufforderte, den wackern Vrndcr in seinen Schutz zu nehmen. Gleich darauf brachte
Edgar den Toast: Pereat Gott! und hielt einen Dithyrambus über das Blut,
welches fließen müsse. Man blasphemirte auf das Greulichste, und, was das
Drolligste ist, mit einer gewissen Scheu, wie Furchtsame den Donner durch lantes
Sprechen zu vergessen suchen. Der Ketzer blickt noch unheimlich seitwärts nach
dem Götzenbild, nach dem er Steine wirst.

Indeß die Trennung mußte doch einmal erfolgen. Als Bauer in seiner Lite-
raturzeitung feierlich proclamirte, „die Kritik" sei jetzt „gesinnungslos" geworden,
da wurde es den Radicalen, die bisher mit ihm gegangen waren, weil er „am
weitesten ging," doch zu bunt. Gesinnungslos! sie wußten nicht, was sie dazu
sagen sollten. Ruge erklärte seinerseits in einem Manifest, diesen Fortschritten ge¬
genüber sei er doch reactionär, er halte viel auf Gestuuuug, und zwischen den
„Sophisten" »ut „Humanisten" erhob sich jetzt ein scharfer Federkrieg.

Verfolgen wir zunächst Bruno Bauer in seiner Wirksamkeit als souveränen
Kritiker. Sei» Bruder Egbert verband in Charlottenburg mit einem Tabaksladcn
eine Buchhandlung, in welcher nur Werke der Schule verlegt wurden. Dieselbe
war ebeu so prvductiv in ihren Schriften als in der Ueberwindung von Stand¬
punkten. Theils in den historisch-kritischen Schriften, von denen in jedem Jahr
eine ziemliche Anzahl Bände erschien, theils in der „Literaturzeitung," die sie ein
halbes Jahr laug Herausgaben, läßt sich diese kritisch - reactionäre Richtung ver¬
folgen. ^

Der Radikalismus hatte sich in seinen Manifesten, in seinen Wünschen und
in seiner Polemik erschöpft. Er wußte nichts weiter zu sagen, und praktische
Resultate hatte er uicht gewonnen. Eine herbe Ernüchterung mußte folgen. Die
„souveräne Kritik" ist der Ausdruck sür diesen Katzenjammer des Radikalismus
über seinen eignen Rausch. Die Genialität, der „Geist," der bisher im fortfln-
thenden Gewühl sich hatte mitreißen lassen, besteigt nnn die einsame Warte, uM
den planlosen Strom der „Masse" ironisch zu überschauen.

Der neue Charakter, welchen die deutsche Bewegung mit dem Jahr 1843
annahm, diente dazu, diesen Gegensatz schärfer hervortreten zu lassen. Die Schrift
gelehrten und Poeten zogen sich zurück und die Masse trat handelnd ein. Der
Gustav-Adolph-Berein, die Dentschkatholit'en, die lichtfreundlichen Proteste, die
Vereine zur Hebung der niedern Volksklassen u. s. w. waren Symptome dieser
veränderten Richtung: der Kritik um so gelegener, da sie ihre beiden Gegensätze
in sich vereinigten: die Spießbürgerlichkeit und das Christenthum.¬

Wir haben bereits erwähnt, wie „die Kritik" ihre „Gesinnungslosigkeit" pro
clamirte, paradox, wie es die romantische Schule zu thun pflegte, weil sie n»r
die eine Seite des Gegensatzes auffaßte. Gestunuug ist das classische Stichwort
der Masse, ihr Protest gegen die freie Eigenthümlichkeit. Sie bezeichnet den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/328>, abgerufen am 15.01.2025.