Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.glücklich, den Philister durch das Bekenntniß des absoluten Unglaubens, der un¬ In dieser Zeit erschien die "Kritik der Synoptiker" -- 1841 bis 42, Bruno Mir fehlt die Kenntniß, den wissenschaftlichen Theil dieser Kritik zu prüfen. glücklich, den Philister durch das Bekenntniß des absoluten Unglaubens, der un¬ In dieser Zeit erschien die „Kritik der Synoptiker" — 1841 bis 42, Bruno Mir fehlt die Kenntniß, den wissenschaftlichen Theil dieser Kritik zu prüfen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278834"/> <p xml:id="ID_995" prev="#ID_994"> glücklich, den Philister durch das Bekenntniß des absoluten Unglaubens, der un¬<lb/> eingeschränkten Freiheit, scandalisiren zu können und ihm eben dadurch zu imponiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_996"> In dieser Zeit erschien die „Kritik der Synoptiker" — 1841 bis 42, Bruno<lb/> Bauer's theologisches Hauptwerk. Strauß hatte die Evangelien, als bildliche<lb/> Ausdrücke einer allgemeinen geistigen Richtung, über die endliche Entstehung hin¬<lb/> ausgehoben; dadurch war in ihren Ursprung wieder etwas Mystisches gekommen.<lb/> Die theologische Kritik warf sich nun auf das Einzelne, und von Weiße und<lb/> Wilke wurden scharfsinnige Untersuchungen über das Verhältniß der Evange¬<lb/> lien zu einander angestellt. Von diesen angeregt und zum große» Theil auf sie<lb/> sich stützend, entwarf nun der Kritiker ein vollständiges System. Sonst hatte man,<lb/> bei allen „Entstellungen," die mau im historischen Christenthum fand, auf das<lb/> „Ursprüngliche" desselben als auf das absolut Reine und Heilige zurückgewiesen,<lb/> wenn der Inhalt desselben auch, uach Lelsings Vorgang, in dem einfachen Wort<lb/> des Apostels sich beschränken sollte: Kindlein, liebt euch unter einander. Bauer<lb/> dagegen ging von der ganz richtigen Voraussetzung aus, daß das Ursprüngliche<lb/> immer das Rohe, Sinnliche, Aeußerliche sein wird. Das Ursprüngliche des Chri¬<lb/> stenthums war die Beziehung auf seine Voraussetzung, die jüdischen Propheten,<lb/> die verkündete Erfüllung ihrer Verheißungen. Den einfachsten Ausdruck dieser<lb/> Beziehung fand der Kritiker im Markus, dessen Naivität die spätern Evangelisten<lb/> theils durch die Bemühung, einen pragmatischen Zusammenhang hineinzubringen,<lb/> theils durch das in der weitern Entwicklung begründete spiritualistische Moment<lb/> vergeistigt und — entstellt haben sollten. Die Sache stellte sich also so heraus,<lb/> daß Markus die Vorstellung der christlichen Gemeinde von ihrem höchsten Wesen<lb/> zu einem Roman ausgedichtet habe, und daß die dem jedesmaligen Bewußtsein<lb/> entsprechende Umarbeitung desselben die Grundlage der heiligen Geschichte aus¬<lb/> mache.</p><lb/> <p xml:id="ID_997" next="#ID_998"> Mir fehlt die Kenntniß, den wissenschaftlichen Theil dieser Kritik zu prüfen.<lb/> Nur in einem Punkt zeigt sich anch hier die Selbstüberschätzung, die von einer<lb/> einsamen Stellung in der Literatur schwer zu trennen ist. Bauer war der Ueber¬<lb/> zeugung, daß erst in diesem Werk das Christenthum widerlegt sei, und daß jede<lb/> andere Art, sich vom Christenthum loszumachen, als durch das Studium dieser<lb/> Kritik, eben so oberflächlich als ungenügend sein müsse. Er übersah dabei, daß<lb/> seine Widerlegung die „Aufklärung" des Zeitalters voraussetze, daß ein frommes<lb/> Herz, welches das Wunder, d. h. den Widerspruch, als höchstes Wesen verehrt,<lb/> sich durch seine Kritik eben so wenig wird irre machen lassen, als dnrch die hand¬<lb/> greiflichen Widersprüche der heiligen Schrift, auf welche die frühere, pragmatische<lb/> Exegese der Nationalisten aufmerksam gemacht hat. Für eine Zeit, welche und<lb/> dem Begriff der Transcendenz nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in dem<lb/> Lommm, - se.»« der Masse gebrochen hatte, war die Entdeckung des Mythisch-<lb/> Symbolischen in den Evangelien von größerem Werth, als eine Kritik des Details,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0324]
glücklich, den Philister durch das Bekenntniß des absoluten Unglaubens, der un¬
eingeschränkten Freiheit, scandalisiren zu können und ihm eben dadurch zu imponiren.
In dieser Zeit erschien die „Kritik der Synoptiker" — 1841 bis 42, Bruno
Bauer's theologisches Hauptwerk. Strauß hatte die Evangelien, als bildliche
Ausdrücke einer allgemeinen geistigen Richtung, über die endliche Entstehung hin¬
ausgehoben; dadurch war in ihren Ursprung wieder etwas Mystisches gekommen.
Die theologische Kritik warf sich nun auf das Einzelne, und von Weiße und
Wilke wurden scharfsinnige Untersuchungen über das Verhältniß der Evange¬
lien zu einander angestellt. Von diesen angeregt und zum große» Theil auf sie
sich stützend, entwarf nun der Kritiker ein vollständiges System. Sonst hatte man,
bei allen „Entstellungen," die mau im historischen Christenthum fand, auf das
„Ursprüngliche" desselben als auf das absolut Reine und Heilige zurückgewiesen,
wenn der Inhalt desselben auch, uach Lelsings Vorgang, in dem einfachen Wort
des Apostels sich beschränken sollte: Kindlein, liebt euch unter einander. Bauer
dagegen ging von der ganz richtigen Voraussetzung aus, daß das Ursprüngliche
immer das Rohe, Sinnliche, Aeußerliche sein wird. Das Ursprüngliche des Chri¬
stenthums war die Beziehung auf seine Voraussetzung, die jüdischen Propheten,
die verkündete Erfüllung ihrer Verheißungen. Den einfachsten Ausdruck dieser
Beziehung fand der Kritiker im Markus, dessen Naivität die spätern Evangelisten
theils durch die Bemühung, einen pragmatischen Zusammenhang hineinzubringen,
theils durch das in der weitern Entwicklung begründete spiritualistische Moment
vergeistigt und — entstellt haben sollten. Die Sache stellte sich also so heraus,
daß Markus die Vorstellung der christlichen Gemeinde von ihrem höchsten Wesen
zu einem Roman ausgedichtet habe, und daß die dem jedesmaligen Bewußtsein
entsprechende Umarbeitung desselben die Grundlage der heiligen Geschichte aus¬
mache.
Mir fehlt die Kenntniß, den wissenschaftlichen Theil dieser Kritik zu prüfen.
Nur in einem Punkt zeigt sich anch hier die Selbstüberschätzung, die von einer
einsamen Stellung in der Literatur schwer zu trennen ist. Bauer war der Ueber¬
zeugung, daß erst in diesem Werk das Christenthum widerlegt sei, und daß jede
andere Art, sich vom Christenthum loszumachen, als durch das Studium dieser
Kritik, eben so oberflächlich als ungenügend sein müsse. Er übersah dabei, daß
seine Widerlegung die „Aufklärung" des Zeitalters voraussetze, daß ein frommes
Herz, welches das Wunder, d. h. den Widerspruch, als höchstes Wesen verehrt,
sich durch seine Kritik eben so wenig wird irre machen lassen, als dnrch die hand¬
greiflichen Widersprüche der heiligen Schrift, auf welche die frühere, pragmatische
Exegese der Nationalisten aufmerksam gemacht hat. Für eine Zeit, welche und
dem Begriff der Transcendenz nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in dem
Lommm, - se.»« der Masse gebrochen hatte, war die Entdeckung des Mythisch-
Symbolischen in den Evangelien von größerem Werth, als eine Kritik des Details,
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