Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.sich, wie es in solchen Fällen immer zu geschehen pflegt, wie wir es schon vorher In unserm Zeitalter hat die Spießbürgerlichkeit einen entgegengesetzten Cha¬ Die Reaction ist keineswegs frei von den Voraussetzungen, welche sie bekämpft; 40*
sich, wie es in solchen Fällen immer zu geschehen pflegt, wie wir es schon vorher In unserm Zeitalter hat die Spießbürgerlichkeit einen entgegengesetzten Cha¬ Die Reaction ist keineswegs frei von den Voraussetzungen, welche sie bekämpft; 40*
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sich, wie es in solchen Fällen immer zu geschehen pflegt, wie wir es schon vorher
an der Reaction des Pietismus gegen die herrschende Wortglänl'igkcit beobachten
konnten, eine reflectirte.
In unserm Zeitalter hat die Spießbürgerlichkeit einen entgegengesetzten Cha¬
rakter. Wenn man den Nestor im Zerbino, den Albert im Werther und ähn¬
liche Typen des damaligen Philisterthums, welche die Dichter der Romantik zu
Ehren ihres Gottes gegeißelt, mit den unsrigen vergleicht, so sehen wir dort
einen eingefleischte», hausbackenen Verstand, der sich keine Illusionen macht, der, in
den derben Gelüsten des unmittelbaren Egoismus und in dem Gesetz angestammter
und herkömmlicher Sittlichkeit befangen, alle weitere Perspective ins Unbestimmte
und Ideale hinaus hartnäckig von sich weist, während unser Philister, in den
Traditionen der Romantik erzogen, viel Herz hat für die Menschheit, viel an¬
muthige Illusionen nährt, und so viel Sentimentalität, Liebe, Natur, Freiheit
Und Stimmung in sich trägt, als eine enge Brust nur immer ertragen kann. Der
Philister unserer Tage ist der Jerome Patnrot, der eine allgemeine Form sucht,
in welcher die Welt glücklich zu machen sei, bei uus Herr Piepmcyer oder wie
ihn der Volkswitz sich sonst vorstellt. Dieser Convenienz des Herzens, dieser un¬
bestimmten sittlichen Voraussetzung des Idealismus stellt die moderne Reaction
des freien Geistes nickt mehr das Gefühl, sondern die Kälte des frechen, voraus-
setzungslosen Verstandes entgegen, und was damals der Mystiker leistete, erreicht
heute der Sophist. Das absolute Gefühl brach deu Aberglauben an die gemein
gewordenen Sätze des populären Verstandes; die absolute Kritik erschüttert den
Aberglaube» an die Convenienz des Herzens. Diesen Gegensatz müssen wir scharf
ins Auge fassen, wenn wir die eigenthümliche Stellung, in welcher Bruno Bauer,
der satyrische Reactionär, dem Philisterthum (er neunt es Bürgerthum) seines
Zeitalters gegenübersteht.
Die Reaction ist keineswegs frei von den Voraussetzungen, welche sie bekämpft;
sie ist in ihrer (.«rscheinnng wie in ihrem Wesen durch diejenige geistige Richtung
bedingt, welche sie als ihren Gegensatz begreift. Die „Natur" der Sturm- und
Drangperiode war conventionell, wie die Convenienz, über welche sie sich zu er¬
heben glaubte, das „Herz" reflectirt und eitel, wie sein Gegensatz; darum kam
^ zuletzt zu einer wunderlichen Casuistik des Herzens. Die moderne Sophistik,
welche sich über die priuciplose Sentimentalität des „bürgerlichem Gefühls" lustig
macht, ist in ihrem Ursprung eben so sentimental — denn sie geht aus einem
durch die Hohlheit der Phrase verletzte» Gefühl hervor; in ihrer Ausführung eben
so Principlos, denn sie heftet sich an die einzelnen Bewegungen ihres Gegensatzes,
und wird von denselben willenlos in willkürliche Irrfahrten verleitet. Sie ist
endlich unproductiv, wie die Romantik es war, unproductiv, wie jede Reaction
es sein wird, die wohl als der Ausdruck einer gerechtfertigten Sehnsucht, aus
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