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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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sichtigte Reformation der constitutionellen Gesetzgebung nicht in einer Sonderstellung
gegenüber den übrigen Theilen der Monarchie, in der Begründung eines neuen
unnatürlichen Verhältnisses zwischen dem östreichischen Kaiser und dem ungarischen
Könige bestehen könne, sondern in einer Gleichstellung ihrer constitutionellen Rechte
mit jenen der übrigen östreichischen Provinzen. Der magyarische Stolz, die Er¬
innerung an das freie ungarische Leben des Mittelalters, das in den eigenen
Sümpfen bei Mohacs erstickt war, verblendet den Demokraten Kossuth eben so
sehr über die mögliche Regeneration seines Volkes wie die Hocharistokraten ans
der Betlenschcn Schule. -- Mit der Losreißung vom Hanse Habsburg-Lothringen
haben die Debrecziucr Stände nur die Erbschaft des blinden Haßeö, den sie von
ihren Vätern überkommen, vollständig angetreten. Das Gaukelspiel mit der an¬
gestammten Treue an das Haus Oestreich, welches besonders im letzten Jahrhundert
von der Dynastie und der ungarischen Nation zu gegenseitiger Schwächung getrieben
wurde, hat in dem blutigen Ernst der Schlachten sein Ende gefunden. Ungarn
wagt den letzten Kampf für seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit und appel-
lirt an den begeisterten Patriotismus der ganzen Nation. Oestreich kämpft gleich¬
falls für seine Unabhängigkeit und Integrität und appellirt -- an das Mitgefühl
des russischen Czaren. Das. Wiener Cabinet erklärte selbst durch das Herbeirufen
der Russen, daß es jetzt nicht mehr als östreichische Centralgewalt gegen eine anf-
ständische Provinz, sondern gegen einen äußern Feind kämpfe. Ungarn soll nun
mit Hilfe der Russen nicht zum gesetzlichen Gehorsam gezwungen, sondern er¬
obert werden. Wenn sich die ungarische Nation durch polnische und deutsche Führer
und Verbündete verstärkt, so handelt sie ebenfalls als selbständige politische Macht,
welche von einem Nachbarlande bedroht wird. Das läppische Geschwätz "von
einer socialen Revolution, welche von Ungarn ans den Umsturz der ganzen euro¬
päischen Gesellschaft beabsichtigt", kann weder die auswärtigen Kabinette uoch das
östreichische Volk über den Charakter des jetzigen Krieges in Ungarn täuschen.
Die östreichische Negierung hat durch das Herbeirufen Rußlands negativ die
Selbstständigkeit Ungarns anerkannt und sich selbst, als in ihrer Existenz von
einem äußeren Feinde bedroht, der Gnade eines starken Bundesgenossen anver¬
traut. Nußland aber, dessen erste Intervention in Siebenbürgen Nichts als eine
Inspection der zu erwartenden Beute und eine Falle für das gutgläubige Oest¬
reich war, das despotische Rußland führt nicht für die Integrität des Gesammt-
staats Oestreich, sondern für sich, für die Integrität des eigenen Reichs den
Krieg gegen Ungarn. Eine slavisch-ungarische Republik, zu welcher viele Ele¬
mente vorhanden siud, wäre jedenfalls, so schwach sie anch im Anfang sich gebärdete,
dem nordischen Absolutisten gefährlicher, als ein hinfälliges, russifieirtes Oestreich.
Also nicht für das östreichische Volk, nicht für das Haus Habsburg führt Fürst
PaStewitsch die Armee seines kaiserlichen Herrn gegen Ungarn in's Feld! Nein,
der alte Polenbändiger jagt in den ungarischen Wäldern nach neuer Beute für den


sichtigte Reformation der constitutionellen Gesetzgebung nicht in einer Sonderstellung
gegenüber den übrigen Theilen der Monarchie, in der Begründung eines neuen
unnatürlichen Verhältnisses zwischen dem östreichischen Kaiser und dem ungarischen
Könige bestehen könne, sondern in einer Gleichstellung ihrer constitutionellen Rechte
mit jenen der übrigen östreichischen Provinzen. Der magyarische Stolz, die Er¬
innerung an das freie ungarische Leben des Mittelalters, das in den eigenen
Sümpfen bei Mohacs erstickt war, verblendet den Demokraten Kossuth eben so
sehr über die mögliche Regeneration seines Volkes wie die Hocharistokraten ans
der Betlenschcn Schule. — Mit der Losreißung vom Hanse Habsburg-Lothringen
haben die Debrecziucr Stände nur die Erbschaft des blinden Haßeö, den sie von
ihren Vätern überkommen, vollständig angetreten. Das Gaukelspiel mit der an¬
gestammten Treue an das Haus Oestreich, welches besonders im letzten Jahrhundert
von der Dynastie und der ungarischen Nation zu gegenseitiger Schwächung getrieben
wurde, hat in dem blutigen Ernst der Schlachten sein Ende gefunden. Ungarn
wagt den letzten Kampf für seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit und appel-
lirt an den begeisterten Patriotismus der ganzen Nation. Oestreich kämpft gleich¬
falls für seine Unabhängigkeit und Integrität und appellirt — an das Mitgefühl
des russischen Czaren. Das. Wiener Cabinet erklärte selbst durch das Herbeirufen
der Russen, daß es jetzt nicht mehr als östreichische Centralgewalt gegen eine anf-
ständische Provinz, sondern gegen einen äußern Feind kämpfe. Ungarn soll nun
mit Hilfe der Russen nicht zum gesetzlichen Gehorsam gezwungen, sondern er¬
obert werden. Wenn sich die ungarische Nation durch polnische und deutsche Führer
und Verbündete verstärkt, so handelt sie ebenfalls als selbständige politische Macht,
welche von einem Nachbarlande bedroht wird. Das läppische Geschwätz „von
einer socialen Revolution, welche von Ungarn ans den Umsturz der ganzen euro¬
päischen Gesellschaft beabsichtigt", kann weder die auswärtigen Kabinette uoch das
östreichische Volk über den Charakter des jetzigen Krieges in Ungarn täuschen.
Die östreichische Negierung hat durch das Herbeirufen Rußlands negativ die
Selbstständigkeit Ungarns anerkannt und sich selbst, als in ihrer Existenz von
einem äußeren Feinde bedroht, der Gnade eines starken Bundesgenossen anver¬
traut. Nußland aber, dessen erste Intervention in Siebenbürgen Nichts als eine
Inspection der zu erwartenden Beute und eine Falle für das gutgläubige Oest¬
reich war, das despotische Rußland führt nicht für die Integrität des Gesammt-
staats Oestreich, sondern für sich, für die Integrität des eigenen Reichs den
Krieg gegen Ungarn. Eine slavisch-ungarische Republik, zu welcher viele Ele¬
mente vorhanden siud, wäre jedenfalls, so schwach sie anch im Anfang sich gebärdete,
dem nordischen Absolutisten gefährlicher, als ein hinfälliges, russifieirtes Oestreich.
Also nicht für das östreichische Volk, nicht für das Haus Habsburg führt Fürst
PaStewitsch die Armee seines kaiserlichen Herrn gegen Ungarn in's Feld! Nein,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/300>, abgerufen am 15.01.2025.