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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Behörden wirksam und energisch bei den Winterleiden der Stadt. Der Einfluß,
den das geschlossene Auftreten der Konservativen ausübte, zeigte sich sehr bald
auch darin, daß die demokratischen Clubs immer mehr in Verfall geriethen. Frei¬
lich war der neue Verein nichts als eine verständige Reaction der Besitzenden
gegen die Ruhestörer; er war nützlich bis zu dem Zusammentreten der letzten
preußischen Kammern, ist aber schon vor der Erklärung des Belagerungszustands
überlebt und für den politischen Fortschritt Breslaus unnütz geworden. Es sind
ehrenwerthe und tüchtige Männer, welche sich ihm widmeten; aber man konnte an
ihm sehen, daß ein solcher Verein, der sich nicht auf einen bestimmten Zweck
concentrirt, sondern in den politischen Fragen des Tages sein Votum abgibt,
die Mitglieder nie fördert, sondern zurückhält.

Die Presse Breslaus wird durch drei größere Zeitungen vertreten, welche
alle, als echte Provinzialblüthen, aus Inseraten mehr als ans Abonnentengeldern
ihr Gedeihen schöpfen. Die schlestsche Zeitung ist ein respektables Blatt, einer
respektabeln Handlung gehörig und wird sehr wohlmeinend und konservativ regiert.
Ihr offizieller Redakteur Voigt ist ein tüchtiger Geschäftsführer, die Seele der
Politik ist Hahn, ein junger talentvoller Mann, Hauptsprecher im Verein für
Gesetz und Ordnung. Die schlestsche Zeitung ist wie ein schlesischer Geschäftsfreund
aus gutem Hause, etwas breit und wortreich, geneigt das Beste aus Allem her-
auszufangen, loyal und salbungsvoll, voll Zorn gegen die Bummler, aber durch¬
aus gutherzig und gern guter Laune, wenn es die Demokratie nicht gar zu bunt
treibt.

Ihr zur Seite läuft die Breslauer Zeitung, die einst der Ehrenmann
Karl Schall, Breslaus Fallstaff gegründet und der Avantuncr von Vaerst von ihm geerbt
hat, bis sie in die gegenwärtigen ehrlichen Bürgcrhände gekommen ist. Die Geschichte
dieser Zeitung ist ein kleiner düsterer Roman, in dem berühmte Todte, Gannc-
reien und Täuschungen scandalös genug vorkommen. Der gegenwärtige Redakteur
und Miteigenthümer Rinds ist zu gleicher Zeit Theaterdirektor und man erzählt
sich, daß er beide Institute zeitgemäß und constitutionell uach den Grundsätzen
des Selfgovernments verwaltet, Zeitung und Theater regieren sich selbst und
es wird nicht durch doctriuäres Wesen oder Arroganz dem Publicum irgend ein
Aergerniß gegeben. Die Breslauer Zeitung ist etwas jünger und kleiner als die
Schlestsche und als ein jüngeres Herrchen von mäßiger Statur auch beträchtlich
mehr links, als seine Schlestsche Tante. Dem Demokraten erster Klasse wird sie
durchaus nicht genügen, denn ihr Herz ist noch weich und menschlicher Gefühle
fähig, sogar für Könige und was noch mehr sagen will, für Regierungsbeamte,
sie haßt uicht, aber sie mißtraut, ja sie mißtraut sehr und schüttelt schwermüthig
den Kopf oder schlägt wohl auch in hitziger Aufregung auf die Rocktasche, als auf
den Ort, wo verzweifelte Gesellen furchtbare Mordgewehre tragen, sie selbst hat
aber nichts darinnen, als ihr Sacktuch und eine Düte Bonbons für die Damen


Behörden wirksam und energisch bei den Winterleiden der Stadt. Der Einfluß,
den das geschlossene Auftreten der Konservativen ausübte, zeigte sich sehr bald
auch darin, daß die demokratischen Clubs immer mehr in Verfall geriethen. Frei¬
lich war der neue Verein nichts als eine verständige Reaction der Besitzenden
gegen die Ruhestörer; er war nützlich bis zu dem Zusammentreten der letzten
preußischen Kammern, ist aber schon vor der Erklärung des Belagerungszustands
überlebt und für den politischen Fortschritt Breslaus unnütz geworden. Es sind
ehrenwerthe und tüchtige Männer, welche sich ihm widmeten; aber man konnte an
ihm sehen, daß ein solcher Verein, der sich nicht auf einen bestimmten Zweck
concentrirt, sondern in den politischen Fragen des Tages sein Votum abgibt,
die Mitglieder nie fördert, sondern zurückhält.

Die Presse Breslaus wird durch drei größere Zeitungen vertreten, welche
alle, als echte Provinzialblüthen, aus Inseraten mehr als ans Abonnentengeldern
ihr Gedeihen schöpfen. Die schlestsche Zeitung ist ein respektables Blatt, einer
respektabeln Handlung gehörig und wird sehr wohlmeinend und konservativ regiert.
Ihr offizieller Redakteur Voigt ist ein tüchtiger Geschäftsführer, die Seele der
Politik ist Hahn, ein junger talentvoller Mann, Hauptsprecher im Verein für
Gesetz und Ordnung. Die schlestsche Zeitung ist wie ein schlesischer Geschäftsfreund
aus gutem Hause, etwas breit und wortreich, geneigt das Beste aus Allem her-
auszufangen, loyal und salbungsvoll, voll Zorn gegen die Bummler, aber durch¬
aus gutherzig und gern guter Laune, wenn es die Demokratie nicht gar zu bunt
treibt.

Ihr zur Seite läuft die Breslauer Zeitung, die einst der Ehrenmann
Karl Schall, Breslaus Fallstaff gegründet und der Avantuncr von Vaerst von ihm geerbt
hat, bis sie in die gegenwärtigen ehrlichen Bürgcrhände gekommen ist. Die Geschichte
dieser Zeitung ist ein kleiner düsterer Roman, in dem berühmte Todte, Gannc-
reien und Täuschungen scandalös genug vorkommen. Der gegenwärtige Redakteur
und Miteigenthümer Rinds ist zu gleicher Zeit Theaterdirektor und man erzählt
sich, daß er beide Institute zeitgemäß und constitutionell uach den Grundsätzen
des Selfgovernments verwaltet, Zeitung und Theater regieren sich selbst und
es wird nicht durch doctriuäres Wesen oder Arroganz dem Publicum irgend ein
Aergerniß gegeben. Die Breslauer Zeitung ist etwas jünger und kleiner als die
Schlestsche und als ein jüngeres Herrchen von mäßiger Statur auch beträchtlich
mehr links, als seine Schlestsche Tante. Dem Demokraten erster Klasse wird sie
durchaus nicht genügen, denn ihr Herz ist noch weich und menschlicher Gefühle
fähig, sogar für Könige und was noch mehr sagen will, für Regierungsbeamte,
sie haßt uicht, aber sie mißtraut, ja sie mißtraut sehr und schüttelt schwermüthig
den Kopf oder schlägt wohl auch in hitziger Aufregung auf die Rocktasche, als auf
den Ort, wo verzweifelte Gesellen furchtbare Mordgewehre tragen, sie selbst hat
aber nichts darinnen, als ihr Sacktuch und eine Düte Bonbons für die Damen


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[0284] Behörden wirksam und energisch bei den Winterleiden der Stadt. Der Einfluß, den das geschlossene Auftreten der Konservativen ausübte, zeigte sich sehr bald auch darin, daß die demokratischen Clubs immer mehr in Verfall geriethen. Frei¬ lich war der neue Verein nichts als eine verständige Reaction der Besitzenden gegen die Ruhestörer; er war nützlich bis zu dem Zusammentreten der letzten preußischen Kammern, ist aber schon vor der Erklärung des Belagerungszustands überlebt und für den politischen Fortschritt Breslaus unnütz geworden. Es sind ehrenwerthe und tüchtige Männer, welche sich ihm widmeten; aber man konnte an ihm sehen, daß ein solcher Verein, der sich nicht auf einen bestimmten Zweck concentrirt, sondern in den politischen Fragen des Tages sein Votum abgibt, die Mitglieder nie fördert, sondern zurückhält. Die Presse Breslaus wird durch drei größere Zeitungen vertreten, welche alle, als echte Provinzialblüthen, aus Inseraten mehr als ans Abonnentengeldern ihr Gedeihen schöpfen. Die schlestsche Zeitung ist ein respektables Blatt, einer respektabeln Handlung gehörig und wird sehr wohlmeinend und konservativ regiert. Ihr offizieller Redakteur Voigt ist ein tüchtiger Geschäftsführer, die Seele der Politik ist Hahn, ein junger talentvoller Mann, Hauptsprecher im Verein für Gesetz und Ordnung. Die schlestsche Zeitung ist wie ein schlesischer Geschäftsfreund aus gutem Hause, etwas breit und wortreich, geneigt das Beste aus Allem her- auszufangen, loyal und salbungsvoll, voll Zorn gegen die Bummler, aber durch¬ aus gutherzig und gern guter Laune, wenn es die Demokratie nicht gar zu bunt treibt. Ihr zur Seite läuft die Breslauer Zeitung, die einst der Ehrenmann Karl Schall, Breslaus Fallstaff gegründet und der Avantuncr von Vaerst von ihm geerbt hat, bis sie in die gegenwärtigen ehrlichen Bürgcrhände gekommen ist. Die Geschichte dieser Zeitung ist ein kleiner düsterer Roman, in dem berühmte Todte, Gannc- reien und Täuschungen scandalös genug vorkommen. Der gegenwärtige Redakteur und Miteigenthümer Rinds ist zu gleicher Zeit Theaterdirektor und man erzählt sich, daß er beide Institute zeitgemäß und constitutionell uach den Grundsätzen des Selfgovernments verwaltet, Zeitung und Theater regieren sich selbst und es wird nicht durch doctriuäres Wesen oder Arroganz dem Publicum irgend ein Aergerniß gegeben. Die Breslauer Zeitung ist etwas jünger und kleiner als die Schlestsche und als ein jüngeres Herrchen von mäßiger Statur auch beträchtlich mehr links, als seine Schlestsche Tante. Dem Demokraten erster Klasse wird sie durchaus nicht genügen, denn ihr Herz ist noch weich und menschlicher Gefühle fähig, sogar für Könige und was noch mehr sagen will, für Regierungsbeamte, sie haßt uicht, aber sie mißtraut, ja sie mißtraut sehr und schüttelt schwermüthig den Kopf oder schlägt wohl auch in hitziger Aufregung auf die Rocktasche, als auf den Ort, wo verzweifelte Gesellen furchtbare Mordgewehre tragen, sie selbst hat aber nichts darinnen, als ihr Sacktuch und eine Düte Bonbons für die Damen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/284>, abgerufen am 15.01.2025.