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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Zur neuesten Geschichte Ungarns.



ii.

Seit der Zerstörung Jerusalems haben die Juden, wie bekannt, sehr viel
Geld gewonnen und sehr viel Courage verloren. Vou dem gerühmten Todes-
"tttthe des alten israelitischen Volkes bei der Vertheidigung ihrer Mauern und
ihres Tempels hatte die jüngere Generation Capital sammt Zinsen verzehrt, und
ihre Feigheit einer nackten Klinge gegenüber "die um Gotteswillen losschießen
könnte," mußte nothwendig viel zur Erniedrigung dieses unglückseligen Volkes
beitragen.

Seit dem großen Revolutionsjahre 1848 haben die Juden, wie bekannt, sehr
^ick Geld verloren und sehr viel Courage gewonnen. Dieses Jahr 1848,
diese Thürangel in der Historie, um welche sich die Geschichte der europäischen
Völker mit einem kreischenden Ruck gedreht und ihre eisenbeschlagene Eichenseite
^n Machthabern zugewendet hat, scheint somit auch einen Wendepunkt in der
Geschichte des Jude" abgeben zu wollen. Aus deu kriechenden Feiglingen hat die
öffentliche Meinung plötzlich die furchtbarsten Wühler gemacht, ein Avancement,
allerdings über sich hinaufgelaufen ist, aber doch -- ein Avancement!

Die ungarischen Juden standen zu ihren Glaubensgenossen in den übrigen
Provinzen der Monarchie von jeher in demselben Verhältnisse, wie Ungarn über-
^upt zu den andern Kronländern. Das freie Naturleben des Volkes hatte sich
^'es im Charakter des Juden abgespiegelt, er war weniger gedrückt als sein
Glaubensgenosse in Böhmen, Mähren und Galizien, darum ist er auch weniger
^ge, weniger kriechend, und die Vaterlandsliebe, welche der kaum emanzipirte
Auve in Deutschland noch als Eierschale ans dem Kopfe trägt, läuft bei den
^uden in Ungarn schon lange als ausgewachsenes Huhu herum. Die reichen Juden
^dren übrigens mit vier Pferden und einem Husarenbedienten auf dem Kutschbock
^'le der erste Edelmann, dagegen sagt mancher arme Schelm unter ihnen ganz
bie sein katholischer Nachbar im Walde: "Hob' ich ehrlich' Auskommen, bin
^ Räuber." Sie siud alle gute Magyaren geworden und haben die Landes-
brache lieb gewonnen, so daß ich zu meinem Erstaunen in ungarischen Dörfern
°se kleine Judenjungen traf, die gut magyarisch sprachen, aber vom deutschen keine
^


renzbotcn. II. 1849. ZI
Zur neuesten Geschichte Ungarns.



ii.

Seit der Zerstörung Jerusalems haben die Juden, wie bekannt, sehr viel
Geld gewonnen und sehr viel Courage verloren. Vou dem gerühmten Todes-
»tttthe des alten israelitischen Volkes bei der Vertheidigung ihrer Mauern und
ihres Tempels hatte die jüngere Generation Capital sammt Zinsen verzehrt, und
ihre Feigheit einer nackten Klinge gegenüber „die um Gotteswillen losschießen
könnte," mußte nothwendig viel zur Erniedrigung dieses unglückseligen Volkes
beitragen.

Seit dem großen Revolutionsjahre 1848 haben die Juden, wie bekannt, sehr
^ick Geld verloren und sehr viel Courage gewonnen. Dieses Jahr 1848,
diese Thürangel in der Historie, um welche sich die Geschichte der europäischen
Völker mit einem kreischenden Ruck gedreht und ihre eisenbeschlagene Eichenseite
^n Machthabern zugewendet hat, scheint somit auch einen Wendepunkt in der
Geschichte des Jude» abgeben zu wollen. Aus deu kriechenden Feiglingen hat die
öffentliche Meinung plötzlich die furchtbarsten Wühler gemacht, ein Avancement,
allerdings über sich hinaufgelaufen ist, aber doch — ein Avancement!

Die ungarischen Juden standen zu ihren Glaubensgenossen in den übrigen
Provinzen der Monarchie von jeher in demselben Verhältnisse, wie Ungarn über-
^upt zu den andern Kronländern. Das freie Naturleben des Volkes hatte sich
^'es im Charakter des Juden abgespiegelt, er war weniger gedrückt als sein
Glaubensgenosse in Böhmen, Mähren und Galizien, darum ist er auch weniger
^ge, weniger kriechend, und die Vaterlandsliebe, welche der kaum emanzipirte
Auve in Deutschland noch als Eierschale ans dem Kopfe trägt, läuft bei den
^uden in Ungarn schon lange als ausgewachsenes Huhu herum. Die reichen Juden
^dren übrigens mit vier Pferden und einem Husarenbedienten auf dem Kutschbock
^'le der erste Edelmann, dagegen sagt mancher arme Schelm unter ihnen ganz
bie sein katholischer Nachbar im Walde: „Hob' ich ehrlich' Auskommen, bin
^ Räuber." Sie siud alle gute Magyaren geworden und haben die Landes-
brache lieb gewonnen, so daß ich zu meinem Erstaunen in ungarischen Dörfern
°se kleine Judenjungen traf, die gut magyarisch sprachen, aber vom deutschen keine
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[0241] Zur neuesten Geschichte Ungarns. ii. Seit der Zerstörung Jerusalems haben die Juden, wie bekannt, sehr viel Geld gewonnen und sehr viel Courage verloren. Vou dem gerühmten Todes- »tttthe des alten israelitischen Volkes bei der Vertheidigung ihrer Mauern und ihres Tempels hatte die jüngere Generation Capital sammt Zinsen verzehrt, und ihre Feigheit einer nackten Klinge gegenüber „die um Gotteswillen losschießen könnte," mußte nothwendig viel zur Erniedrigung dieses unglückseligen Volkes beitragen. Seit dem großen Revolutionsjahre 1848 haben die Juden, wie bekannt, sehr ^ick Geld verloren und sehr viel Courage gewonnen. Dieses Jahr 1848, diese Thürangel in der Historie, um welche sich die Geschichte der europäischen Völker mit einem kreischenden Ruck gedreht und ihre eisenbeschlagene Eichenseite ^n Machthabern zugewendet hat, scheint somit auch einen Wendepunkt in der Geschichte des Jude» abgeben zu wollen. Aus deu kriechenden Feiglingen hat die öffentliche Meinung plötzlich die furchtbarsten Wühler gemacht, ein Avancement, allerdings über sich hinaufgelaufen ist, aber doch — ein Avancement! Die ungarischen Juden standen zu ihren Glaubensgenossen in den übrigen Provinzen der Monarchie von jeher in demselben Verhältnisse, wie Ungarn über- ^upt zu den andern Kronländern. Das freie Naturleben des Volkes hatte sich ^'es im Charakter des Juden abgespiegelt, er war weniger gedrückt als sein Glaubensgenosse in Böhmen, Mähren und Galizien, darum ist er auch weniger ^ge, weniger kriechend, und die Vaterlandsliebe, welche der kaum emanzipirte Auve in Deutschland noch als Eierschale ans dem Kopfe trägt, läuft bei den ^uden in Ungarn schon lange als ausgewachsenes Huhu herum. Die reichen Juden ^dren übrigens mit vier Pferden und einem Husarenbedienten auf dem Kutschbock ^'le der erste Edelmann, dagegen sagt mancher arme Schelm unter ihnen ganz bie sein katholischer Nachbar im Walde: „Hob' ich ehrlich' Auskommen, bin ^ Räuber." Sie siud alle gute Magyaren geworden und haben die Landes- brache lieb gewonnen, so daß ich zu meinem Erstaunen in ungarischen Dörfern °se kleine Judenjungen traf, die gut magyarisch sprachen, aber vom deutschen keine ^ renzbotcn. II. 1849. ZI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/241>, abgerufen am 15.01.2025.