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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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So ist Stadion von seiner Schwärmerei für die Preß- und Lehrfreiheit nach
und nach so weit zurückgekommen, daß jetzt sogar die "Grenzboten" in unserm
lieben Wien verboten sind, dieselben "Grenzboten," welche die Wiege von Sta¬
dion's vormärzlichen Ruhme waren. Einst waren sie seine liebste Lectüre, so lange
er von Triestiner Korrespondenten darin gelobt und Metternich darin getadelt
wurde; seitdem haben sich die Zeiten geändert und mit ihnen die Ansichten des
Grafen Stadion. Jetzt begreift er vollkommen, warum der greise Staatskanzler
die grünen Wanderer nicht leiden konnte.

Dieser unscheinbare Umstand scheint mir ein wesentliches Moment in der Cha¬
rakteristik des edlen Grafen. Es läßt sich Vieles daraus erklären. Ich habe
keine hinreichend schlechte Meinung von ihm, um anzunehmen, daß er sich von
Anfang an für einen großen Mann gehalten. Dieser Wahn wurde ihm erst von
seinen Speichelleckern beigebracht. Sein Unglück ist, daß er immer sehr unge¬
schickt in der Wahl seiner Umgebung gewesen. Es erfordert mehr Selbstständig-
keit und Bescheidenheit als Graf Stadion besitzt, sich immer einen großen Staats¬
mann nennen zu hören und am Ende nicht selbst daran zu glauben. Er hält
sich allen Ernstes für einen entschiedenen Fortschrittsmann, und sieht sich zu Nnck-
schrittsmaßregeln immer nur "leider gezwungen." Ich habe ihn stark im Verdacht,
daß die Worte im Ministerprogramm: "das Ministerium will sich an die Spitze
der Bewegung stellen" von seiner Diction sind. Daß diese Bewegung eine
rückgängige werden sollte, lag ursprünglich gewiß nicht in seinem Plane. Er
wollte mit der Zeit gleichen Schritt halten, aber die Hindernisse, die sich ihm
entgegenstellten, hatte er nicht den Muth und die Kraft zu überspringen oder
hinwegzuräumen -- sie wurden ihm Gründe zur Rückkehr. Er gehört mit Leib
und Seele jener Gattung von Menschen an, von welchen Pröhle singt:


"Sind emanzipirte Krebse,
Fühlen uns so groß und frei!
Nur das Rückwärtsgehn behielten
Wir aus Pietät noch bei."

Wie gesagt, Stadion ist, von seinem Standpunkte aus, ein ganz freisinniger
Mann; aber er begeht denselben Fehler, den unsere Demokraten begingen. Er
will die Freiheit, aber nur die Freiheit des Ministeriums, wie die Demokraten
ebenfalls die Freiheit wollten, aber nur die Freiheit des Volkshaufeus. Stadion
haßt die absolute Monarchie, aber er liebt ein absolutes Ministerium. Nebenbei
mag immer noch ein Reichstag existiren, die Leute mögen schwatzen und reden so
viel sie wollen, wenn ihre Absichten nur den Absichten des Ministeriums nicht
Zuwiderlaufen. Konnte ein Reichstag aus lauter Oettl's, Neumann's, Piepitzen
und Heisere's gebildet werden, so wäre Stadion der beste konstitutionelle Minister
von der Welt. So aber war seine ganze ministerielle Thätigkeit nichts als eine
Reihe von Niederlagen und Mißgriffen. Die Ereignisse sind noch zu frisch im


So ist Stadion von seiner Schwärmerei für die Preß- und Lehrfreiheit nach
und nach so weit zurückgekommen, daß jetzt sogar die „Grenzboten" in unserm
lieben Wien verboten sind, dieselben „Grenzboten," welche die Wiege von Sta¬
dion's vormärzlichen Ruhme waren. Einst waren sie seine liebste Lectüre, so lange
er von Triestiner Korrespondenten darin gelobt und Metternich darin getadelt
wurde; seitdem haben sich die Zeiten geändert und mit ihnen die Ansichten des
Grafen Stadion. Jetzt begreift er vollkommen, warum der greise Staatskanzler
die grünen Wanderer nicht leiden konnte.

Dieser unscheinbare Umstand scheint mir ein wesentliches Moment in der Cha¬
rakteristik des edlen Grafen. Es läßt sich Vieles daraus erklären. Ich habe
keine hinreichend schlechte Meinung von ihm, um anzunehmen, daß er sich von
Anfang an für einen großen Mann gehalten. Dieser Wahn wurde ihm erst von
seinen Speichelleckern beigebracht. Sein Unglück ist, daß er immer sehr unge¬
schickt in der Wahl seiner Umgebung gewesen. Es erfordert mehr Selbstständig-
keit und Bescheidenheit als Graf Stadion besitzt, sich immer einen großen Staats¬
mann nennen zu hören und am Ende nicht selbst daran zu glauben. Er hält
sich allen Ernstes für einen entschiedenen Fortschrittsmann, und sieht sich zu Nnck-
schrittsmaßregeln immer nur „leider gezwungen." Ich habe ihn stark im Verdacht,
daß die Worte im Ministerprogramm: „das Ministerium will sich an die Spitze
der Bewegung stellen" von seiner Diction sind. Daß diese Bewegung eine
rückgängige werden sollte, lag ursprünglich gewiß nicht in seinem Plane. Er
wollte mit der Zeit gleichen Schritt halten, aber die Hindernisse, die sich ihm
entgegenstellten, hatte er nicht den Muth und die Kraft zu überspringen oder
hinwegzuräumen — sie wurden ihm Gründe zur Rückkehr. Er gehört mit Leib
und Seele jener Gattung von Menschen an, von welchen Pröhle singt:


„Sind emanzipirte Krebse,
Fühlen uns so groß und frei!
Nur das Rückwärtsgehn behielten
Wir aus Pietät noch bei."

Wie gesagt, Stadion ist, von seinem Standpunkte aus, ein ganz freisinniger
Mann; aber er begeht denselben Fehler, den unsere Demokraten begingen. Er
will die Freiheit, aber nur die Freiheit des Ministeriums, wie die Demokraten
ebenfalls die Freiheit wollten, aber nur die Freiheit des Volkshaufeus. Stadion
haßt die absolute Monarchie, aber er liebt ein absolutes Ministerium. Nebenbei
mag immer noch ein Reichstag existiren, die Leute mögen schwatzen und reden so
viel sie wollen, wenn ihre Absichten nur den Absichten des Ministeriums nicht
Zuwiderlaufen. Konnte ein Reichstag aus lauter Oettl's, Neumann's, Piepitzen
und Heisere's gebildet werden, so wäre Stadion der beste konstitutionelle Minister
von der Welt. So aber war seine ganze ministerielle Thätigkeit nichts als eine
Reihe von Niederlagen und Mißgriffen. Die Ereignisse sind noch zu frisch im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/223>, abgerufen am 15.01.2025.