Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.dischgrätz werde das Kriegsministerium übernehmen und Heisere das Mini¬ Es ist hier nicht der Ort zu einer ausführlichen Schilderung der Schreckens- Bekanntlich wurden am 29. October in Wien Vertrauensmänner von allen Ein dichter Nebel lagerte sich über die ganze Stadt, gleich als ob der Him¬ 28*
dischgrätz werde das Kriegsministerium übernehmen und Heisere das Mini¬ Es ist hier nicht der Ort zu einer ausführlichen Schilderung der Schreckens- Bekanntlich wurden am 29. October in Wien Vertrauensmänner von allen Ein dichter Nebel lagerte sich über die ganze Stadt, gleich als ob der Him¬ 28*
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dischgrätz werde das Kriegsministerium übernehmen und Heisere das Mini¬
sterium der Justiz; bald wurden Strobach und Melden an der Stelle des
Elstern genannt — kurz, die Gerüchte wechselten mit jedem Tage. Unter allen
obenerwähnten Männer war Stadion noch der am wenigsten gehaßte; die ganze
Volkswuth kehrte sich gegen Windischgrätz und Bach; Heisere, ein ganz junger,
unerfahrener Mensch, dessen Nichtigkeit und serviles Wesen in den Grenzboten
schon früher nachgewiesen wurde, war damals den Wienern noch zu wenig be¬
kannt. Ueberhaupt konnte inmitten der erschütternden Drangsale der Hauptstadt,
das Gerücht einer neuen Miuistercombination nicht von nachhaltiger Wirkung sein.
Die wochenlange Aufregung hatte zuletzt eine gewisse Abspannung und Erschlaffung
^jeugt, man war auf das Schlimmste gefaßt; der glührvthe Himmel, die bren¬
nenden Vorstädte, die Raketen und Bomben des Fürsten Windischgrätz sprachen
deutlicher als alle Worte. —
Es ist hier nicht der Ort zu einer ausführlichen Schilderung der Schreckens-
^ge, welche der Eroberung von Wien vorausgingen, doch scheint es mir nöthig,
»Zhnen wenigstens andeutungsweise die Zustände der Stadt vom 29. October bis
Zum Einrücken der Truppen zu veranschaulichen, zur Rechtfertigung meiner Be¬
hauptung, daß die später gegen die Bevölkerung angewandten Maßregeln (die
folgerichtig dem Ministerium zur Last fallen) verkehrte Maßregeln waren.
Bekanntlich wurden am 29. October in Wien Vertrauensmänner von allen
Compagnien der Bürgerwehr zusammenberufen, um zu berathen ob die Stadt
^Pitulireil oder sich noch länger vertheidigen solle. Bei der Abstimmung sprach sich
vie überwiegende Majorität für Kapitulation ans und schon an demselben Abend
wurden von den meisten Bewohnern die Waffen abgelegt. Nur ein Theil der
akademischen Legion, die Arbeiter und übergegangenen Soldaten, die lieber im
Gefechte sterben, als standrechtlich erschossen werden wollten, weigerten sich, dem
Befehl der Entwaffnung Folge zu leisten. Man wagte nicht, Gewalt gegen sie
Anwenden, obschon das numerische Verhältniß der Fricdlichgeflnnten zu den im
Kampfe Beharrenden war wie l00 zu I. Ich durchstreifte von jenem Abend bis
in die Nacht hinein mit mehreren Freunden die Straßen der Stadt, um die
^tiinmnng der Bevölkerung zu erforschen; überall war man froh, dem Ende der
wirren nahe zu sein. Die Bürger waren des anstrengenden Waffendienstes müde
"ud sehnten sich zu friedlichen Beschäftigungen zurückzukehren; wo sich Besorgnisse
äußerten, galt es nicht dem Einzuge der Truppen, man fürchtete für.die Nacht
Excesse von den bewaffnet gebliebenen Proletariern und Soldaten.
Ein dichter Nebel lagerte sich über die ganze Stadt, gleich als ob der Him¬
mel einen Schleier ziehen wollte über die Greuel und Schrecknisse der vergangene-
^u Tage. Der Kanonendonner war verhallt, das Feuer verloschen, welches vier
"ge hindurch den Himmel röthete und nur hin und wieder schallte noch Waffcu-
geklirr durch die Straßen, gleichsam wie ein Nachhall des frühern Kriegögetnm-
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