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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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der Gemüthszustand des extremsten Erstaunens bei ihm wohl begreiflich, er wird,
wie Meister Anton, den Kopf schütteln und erklären, er verstehe die Welt nicht
mehr, daraus könne niemals etwas Kluges herauskommen, "niemals, nie¬
mals, niemals!"

Aber dieser Herr v. Manteuffel! Eine Staatsregierung kauu unweise, kann
vermessen, voreilig, übermüthig, unbedacht und was noch alles sein. Sobald sie
aber das Gefühl verliert für die Ehre des Staats, den sie repräsentirt, ist keine
Hoffnung mehr auf sie zu setzen. Die preußische Regierung hatte in der Eircular-
depesche vom :Z> März ihre Absicht ausgesprochen, an der Spitze derjenigen deutschen
Staaten, die sich darin mit ihr freiwillig einigen würden, einen Bundesstaat zu
gründen, wie ihn die deutsche Nationalversammlung anbahnen wollte, wie er seit
der Note vom 2:i. Januar offiziell von Preußen angestrebt wurde. Was ant¬
wortet Oestreich? Man kann die Antwort in drei Worte zusammenfassen: "Ca¬
naille, unterstehe dich!" Und in Beziehung auf diese Note, den frechsten Hohn,
der je einem souveränen Staat zugefügt ist, hat der Minister die Stirn, der
Kammer zu erklären, sie habe allerdings wesentlich dazu beigetragen, die Negie¬
rung zur Nicht-Annahme der ihr von Frankfurt übertragenen Würde zu bestim¬
men! Auch nicht ein Funke des natürlichen Zorns, de!i doch selbst in dem ge¬
wöhnlichen bürgerlichen Leben ein Mann von Ehre über einen ihm zugefügten
Affront empfindet, nicht eine Spur von Scham; der Herr v. Manteuffel erinnert
sich nur, in den Mußestunden, die ihm seine gehäuften Bureaugeschäfte übrig
ließe", von Frankreich gelesen zu haben, daß es ein höchst revolutionäres,
höchst eroberungssüchtiges und gefährliches Land sei, und daß man sich
vor dem großen Tyrannen Napoleon in Acht zu nehmen habe, und um also
nicht von diesem Wauwau verschlungen zu werden, müsse man sich ganz still,
mäuschenstill halten und nur von Zeit zu Zeit Papa Metternich in London und
Schwager Nicolaus in Petersburg frage": waS dürfen wir thun? und was müssen
wir nicht thun? Und wenn man sich einmal hinreißen lassen, nicht etwas zu
thun, behüte! nur etwas zu meinen, und der Papa oder seine Bevollmächtigten
in Ollmütz ziehen die Nuthe an, müsse man demüthig seinen Nacken den Schlä¬
gen bieten und stammeln: es soll nicht wieder geschehen, Herr! beschütze uns nur
Vor dem großen Drachen Napoleon und seiner Drachenbrut, den Jakobinern.

Wenn früher von Preußen in Deutschland die Rede war, so gab man es
für ein höchst anmaßendes, naseweises Volk aus, man verabscheute es, aber man
konnte einen gewissen Respekt nicht verleugnen. Wir müssen gestehn, daß auch
bei uns das specifisch preußische Gefühl das specifisch Deutsche überwog. Wo wir
um uns blickten, sahen wir Trophäen einer ruhmvollen Geschichte, in unserm eigensten
Leben eine Bildung und Anlage, die nur des höhern Aufschwungs bedürfte, um
ein vernünftiges Staatswesen hervorzubringen. Deutschland war für uns el"e
Idee der Zukunft, die sich wesentlich an unsere Geschichte anknüpfte. Wenn wir


der Gemüthszustand des extremsten Erstaunens bei ihm wohl begreiflich, er wird,
wie Meister Anton, den Kopf schütteln und erklären, er verstehe die Welt nicht
mehr, daraus könne niemals etwas Kluges herauskommen, „niemals, nie¬
mals, niemals!"

Aber dieser Herr v. Manteuffel! Eine Staatsregierung kauu unweise, kann
vermessen, voreilig, übermüthig, unbedacht und was noch alles sein. Sobald sie
aber das Gefühl verliert für die Ehre des Staats, den sie repräsentirt, ist keine
Hoffnung mehr auf sie zu setzen. Die preußische Regierung hatte in der Eircular-
depesche vom :Z> März ihre Absicht ausgesprochen, an der Spitze derjenigen deutschen
Staaten, die sich darin mit ihr freiwillig einigen würden, einen Bundesstaat zu
gründen, wie ihn die deutsche Nationalversammlung anbahnen wollte, wie er seit
der Note vom 2:i. Januar offiziell von Preußen angestrebt wurde. Was ant¬
wortet Oestreich? Man kann die Antwort in drei Worte zusammenfassen: „Ca¬
naille, unterstehe dich!" Und in Beziehung auf diese Note, den frechsten Hohn,
der je einem souveränen Staat zugefügt ist, hat der Minister die Stirn, der
Kammer zu erklären, sie habe allerdings wesentlich dazu beigetragen, die Negie¬
rung zur Nicht-Annahme der ihr von Frankfurt übertragenen Würde zu bestim¬
men! Auch nicht ein Funke des natürlichen Zorns, de!i doch selbst in dem ge¬
wöhnlichen bürgerlichen Leben ein Mann von Ehre über einen ihm zugefügten
Affront empfindet, nicht eine Spur von Scham; der Herr v. Manteuffel erinnert
sich nur, in den Mußestunden, die ihm seine gehäuften Bureaugeschäfte übrig
ließe», von Frankreich gelesen zu haben, daß es ein höchst revolutionäres,
höchst eroberungssüchtiges und gefährliches Land sei, und daß man sich
vor dem großen Tyrannen Napoleon in Acht zu nehmen habe, und um also
nicht von diesem Wauwau verschlungen zu werden, müsse man sich ganz still,
mäuschenstill halten und nur von Zeit zu Zeit Papa Metternich in London und
Schwager Nicolaus in Petersburg frage»: waS dürfen wir thun? und was müssen
wir nicht thun? Und wenn man sich einmal hinreißen lassen, nicht etwas zu
thun, behüte! nur etwas zu meinen, und der Papa oder seine Bevollmächtigten
in Ollmütz ziehen die Nuthe an, müsse man demüthig seinen Nacken den Schlä¬
gen bieten und stammeln: es soll nicht wieder geschehen, Herr! beschütze uns nur
Vor dem großen Drachen Napoleon und seiner Drachenbrut, den Jakobinern.

Wenn früher von Preußen in Deutschland die Rede war, so gab man es
für ein höchst anmaßendes, naseweises Volk aus, man verabscheute es, aber man
konnte einen gewissen Respekt nicht verleugnen. Wir müssen gestehn, daß auch
bei uns das specifisch preußische Gefühl das specifisch Deutsche überwog. Wo wir
um uns blickten, sahen wir Trophäen einer ruhmvollen Geschichte, in unserm eigensten
Leben eine Bildung und Anlage, die nur des höhern Aufschwungs bedürfte, um
ein vernünftiges Staatswesen hervorzubringen. Deutschland war für uns el»e
Idee der Zukunft, die sich wesentlich an unsere Geschichte anknüpfte. Wenn wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/192>, abgerufen am 15.01.2025.