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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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das lächerlich vor. Wenn eine Tänzerin das eine Bein in einem Winkel von
90--115 Graden zur Seite streckt, so sehe ich nicht ein, was damit bewiesen
wird. Wenn sie, das eine Bei" nach hinten und in die Höhe gestreckt, den Kopf
und die Arme vorauöge-streckt, auf dem andern Fuße über die ganze Bühne hopst,
so erinnert mich das lebhaft an meine Kinderjahre, wo wir ein ähnliches Spiel
hatten; wir nannten es: den Fuchs ins Loch treiben. Und wenn ich in Kurzem
alle Bewegungen, die in dem Ballet ausgeführt werden, zusammenfasse, so be¬
haupte ich: ihre Schönheit ist rein conventionell, wie die Perrücken und Reifröcke,
deren Zeit sie ihre Entstehung verdanken, und das ganze Vergnügen am Ballet ist
ein eingebildetes und nur für überreizte Nerven.

Dies vorausgeschickt, gehe ich zur Sache. Es wird Ihren Lesern nicht un¬
interessant sein, von dem Berliner Ballet einige Notizen zu erhalten.

Also zuerst das bekannteste: Gisela oder die Wily's. Es wurde durch
die Ceritto auf die Bühne gebracht. Um ein hübsches Baucrmädchen freien zwei
Nebenbuhler, ein Jäger und ein verkleideter Prinz. Der letztere wird vorgezogen,
bis es dem Jägersmann gelingt, seinen wahren Stand zu entdecken -- er bricht
nämlich' in seine Wohnung ein und bringt ein reiches Barret nebst einem Ritter¬
schwert zum Vorschein, woraus der Jupiter unter dem Strohdach unzweifelhaft
documentirt sein würde, wenn er sich nicht schon vorher in der Person des Herrn
Hoguct-Vestris durch seine fabelhaft hohen Sprünge und die wunderbare Zahl
der Drehungen um sich selbst verrathen hätte. So hoch springt kein Schäfer!
das muß ein Ritter sein. Zum Unglück kommt noch ein König oder Markgraf
mit seiner Tochter hinzu, welche die legitime Braut des verkappten Fürstensohnes
ist. Der armen Gisela gehen die Augen auf und sie verfällt in Wahnsinn, den
sie durch groteske, dämonische Tänze so deutlich als möglich ausdrückt. Ich muß
bemerken, daß sie schon früher durch allzu hitziges Tanzen ihrer Gesundheit ge¬
schadet und ihre gute Mutter in große Besorgniß versetzt hatte. Nachdem sie sich
also eine Weile in ihrem Wahnsinne ergangen, bleibt ihr nichts anders übrig,
als zu sterben, und sie stirbt in der That, zum großen Leidwesen der beiden Lieb¬
haber, die nun unter einander ausmachen mögen, wer an dem Tode des holden
Mädchens Schuld ist. Sie stirbt in Pirouetten, uuter lebhaftestem Beifall des
theilnehmenden Publikums.

Zweiter Act. Eine schauerlich süße Mondgegend! Grabhügel, auf einem
ein Kreuz mit dem Namen Gisela. Dort liegt das gute Kind begraben, und ge¬
rührt spiegelt der Mond sein thränenbleiches Antlitz in einem Moor, der hinter
dem Kirchhof liegt. Eine Zahl ehrlicher Landleute streut Blumen ans de>S theure
Grab. Da schlägt es zwölf; eine unheimliche Bewegung schauert in den Wipfeln
der Weiden und kleine Flämmchen zucken gespenstisch durch die Lüfte. Sind es
Irrwische aus dem Sumpf? oder sind es Geister abgeschiedner Seelen? Wir ver¬
muthen das letztere, denn wir erinnern uns aus Robert dem Teufel, daß die


das lächerlich vor. Wenn eine Tänzerin das eine Bein in einem Winkel von
90—115 Graden zur Seite streckt, so sehe ich nicht ein, was damit bewiesen
wird. Wenn sie, das eine Bei» nach hinten und in die Höhe gestreckt, den Kopf
und die Arme vorauöge-streckt, auf dem andern Fuße über die ganze Bühne hopst,
so erinnert mich das lebhaft an meine Kinderjahre, wo wir ein ähnliches Spiel
hatten; wir nannten es: den Fuchs ins Loch treiben. Und wenn ich in Kurzem
alle Bewegungen, die in dem Ballet ausgeführt werden, zusammenfasse, so be¬
haupte ich: ihre Schönheit ist rein conventionell, wie die Perrücken und Reifröcke,
deren Zeit sie ihre Entstehung verdanken, und das ganze Vergnügen am Ballet ist
ein eingebildetes und nur für überreizte Nerven.

Dies vorausgeschickt, gehe ich zur Sache. Es wird Ihren Lesern nicht un¬
interessant sein, von dem Berliner Ballet einige Notizen zu erhalten.

Also zuerst das bekannteste: Gisela oder die Wily's. Es wurde durch
die Ceritto auf die Bühne gebracht. Um ein hübsches Baucrmädchen freien zwei
Nebenbuhler, ein Jäger und ein verkleideter Prinz. Der letztere wird vorgezogen,
bis es dem Jägersmann gelingt, seinen wahren Stand zu entdecken — er bricht
nämlich' in seine Wohnung ein und bringt ein reiches Barret nebst einem Ritter¬
schwert zum Vorschein, woraus der Jupiter unter dem Strohdach unzweifelhaft
documentirt sein würde, wenn er sich nicht schon vorher in der Person des Herrn
Hoguct-Vestris durch seine fabelhaft hohen Sprünge und die wunderbare Zahl
der Drehungen um sich selbst verrathen hätte. So hoch springt kein Schäfer!
das muß ein Ritter sein. Zum Unglück kommt noch ein König oder Markgraf
mit seiner Tochter hinzu, welche die legitime Braut des verkappten Fürstensohnes
ist. Der armen Gisela gehen die Augen auf und sie verfällt in Wahnsinn, den
sie durch groteske, dämonische Tänze so deutlich als möglich ausdrückt. Ich muß
bemerken, daß sie schon früher durch allzu hitziges Tanzen ihrer Gesundheit ge¬
schadet und ihre gute Mutter in große Besorgniß versetzt hatte. Nachdem sie sich
also eine Weile in ihrem Wahnsinne ergangen, bleibt ihr nichts anders übrig,
als zu sterben, und sie stirbt in der That, zum großen Leidwesen der beiden Lieb¬
haber, die nun unter einander ausmachen mögen, wer an dem Tode des holden
Mädchens Schuld ist. Sie stirbt in Pirouetten, uuter lebhaftestem Beifall des
theilnehmenden Publikums.

Zweiter Act. Eine schauerlich süße Mondgegend! Grabhügel, auf einem
ein Kreuz mit dem Namen Gisela. Dort liegt das gute Kind begraben, und ge¬
rührt spiegelt der Mond sein thränenbleiches Antlitz in einem Moor, der hinter
dem Kirchhof liegt. Eine Zahl ehrlicher Landleute streut Blumen ans de>S theure
Grab. Da schlägt es zwölf; eine unheimliche Bewegung schauert in den Wipfeln
der Weiden und kleine Flämmchen zucken gespenstisch durch die Lüfte. Sind es
Irrwische aus dem Sumpf? oder sind es Geister abgeschiedner Seelen? Wir ver¬
muthen das letztere, denn wir erinnern uns aus Robert dem Teufel, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/154>, abgerufen am 15.01.2025.