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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wäre aber daraus geworden, wenn die Sitte ihnen erlaubt hätte, alle "jacobini-
scheu" Beamten mit "hohlen Theorien" ohne Weiteres wegzujagen und sie durch
Schüler Heugstenbergs und Leo's zu ersetzen!

Die Regierung möge wohl beherzigen, daß jeder Versuch, auf die Gesinnung
ihrer Untergebenen einen directen Einfluß zu erlangen, eine gefährliche Waffe ist,
die sich gegen sie selbst kehrt. Ein Ministerium Waldeck -- wer will für alle
Eventualitäten stehn! -- hätte dann das Recht, den Staat bis in seine Details
durch Berliner Gamins bewirthschaften zu lassen. --

Weit eleganter stylisirt, als der Erlaß aus dem Ministerium des Innern *),
ist das Circularschreiben des Herrn v. Ladenberg an die Unterrichtsanstalten.
Es verleugnet nicht die gute alte Schule; es scheidet haarscharf in seiner Kritik
der Gesinnungen, wieweit der Lehrer Privatmeusch, wieweit er Beamter ist. Es
liegt wohl in der Natur der Sache, daß ein Lehrer, der seinen Secundanern er¬
zählt , daß sie eigentlich souverän seien, anstatt sie den Cicero exponiren zu lassen,
deshalb von seinen Vorgesetzten zur Untersuchung und zur Strafe gezogen werden
darf. Aber Herr v. Ladenberg soll sich vor solchen Erlassen dennoch hüten. Wir
haben uicht vergessen, daß er Director im Cultusministerium war, als in Königs¬
berg jene bekannte Geschichte mit dem Oberlehrer Wi et spielte. Herr Witt redi-
girte die Königsberger Zeitung, ein für jene Zeiten liberales Blatt -- heute
würde mau es vielleicht konservativ nennen. Das Ministerium, dem jeder Aus¬
druck einer unliebsamen Meinung unbequem war, richtete an den Director des
Gymnasiums, Herrn Lucas, die Anfrage, ob Herr Witt seinen Schülern nicht
gefährliche politische Meinungen beibrachte? Die Antwort war, daß der Lehrer
zwar innerhalb seiner offiziellen Wirksamkeit seinen Beruf treu erfüllte, daß er
seine Schüler auf keine Weise zu verführen suchte; daß aber allerdings fraglich sei,
ob uicht die Knaben, welche wohl wüßten, daß ihr Lehrer ein liberales Blatt
redigirte, eben dadurch zum Liberalismus verführt werden könnten. In Folge
dessen wurde Herrn Witt befohlen, die Redaction niederzulegen, und als er sich
weigerte, wurde er von seinem Amt suspendirt.

Herr Lucas wurde damals durch den Ausbruch des allgeiüeinen Unwillens
veranlaßt, seine Stelle niederzulegen. Er ist jetzt Prvvinzialschnlrath, und man
hat die liberalen Ministerien dieses Jahres mehrfach angegriffen, daß sie ihn nicht
abgesetzt haben. Diese Vorwürfe müssen wir nach unserm Princip abweisen, aber
Herr Lucas hätte kein Recht gehabt, sich zu beschweren.

Wird einmal dem einseitigen subjectiven Ermessen in der Beurtheilung einer
so schwer zu controlirenden Thätigkeit, wie die eines Lehrers ist, Thor und Thür
geöss.ick, so haben wir wieder einen wüsten Tummelplatz der Willkür. Also wie



") Das übrigens durch seine neueste Zurückweisung des Denunciantenwcsens einen wohl¬
thuenden Eindruck gemacht hat. Die eben herausgekommene Denkschrift des CultuSministeriumS
über das Verhältniß der Kirche zum Staat besprechen wir im nächsten Heft.

wäre aber daraus geworden, wenn die Sitte ihnen erlaubt hätte, alle „jacobini-
scheu" Beamten mit „hohlen Theorien" ohne Weiteres wegzujagen und sie durch
Schüler Heugstenbergs und Leo's zu ersetzen!

Die Regierung möge wohl beherzigen, daß jeder Versuch, auf die Gesinnung
ihrer Untergebenen einen directen Einfluß zu erlangen, eine gefährliche Waffe ist,
die sich gegen sie selbst kehrt. Ein Ministerium Waldeck — wer will für alle
Eventualitäten stehn! — hätte dann das Recht, den Staat bis in seine Details
durch Berliner Gamins bewirthschaften zu lassen. —

Weit eleganter stylisirt, als der Erlaß aus dem Ministerium des Innern *),
ist das Circularschreiben des Herrn v. Ladenberg an die Unterrichtsanstalten.
Es verleugnet nicht die gute alte Schule; es scheidet haarscharf in seiner Kritik
der Gesinnungen, wieweit der Lehrer Privatmeusch, wieweit er Beamter ist. Es
liegt wohl in der Natur der Sache, daß ein Lehrer, der seinen Secundanern er¬
zählt , daß sie eigentlich souverän seien, anstatt sie den Cicero exponiren zu lassen,
deshalb von seinen Vorgesetzten zur Untersuchung und zur Strafe gezogen werden
darf. Aber Herr v. Ladenberg soll sich vor solchen Erlassen dennoch hüten. Wir
haben uicht vergessen, daß er Director im Cultusministerium war, als in Königs¬
berg jene bekannte Geschichte mit dem Oberlehrer Wi et spielte. Herr Witt redi-
girte die Königsberger Zeitung, ein für jene Zeiten liberales Blatt — heute
würde mau es vielleicht konservativ nennen. Das Ministerium, dem jeder Aus¬
druck einer unliebsamen Meinung unbequem war, richtete an den Director des
Gymnasiums, Herrn Lucas, die Anfrage, ob Herr Witt seinen Schülern nicht
gefährliche politische Meinungen beibrachte? Die Antwort war, daß der Lehrer
zwar innerhalb seiner offiziellen Wirksamkeit seinen Beruf treu erfüllte, daß er
seine Schüler auf keine Weise zu verführen suchte; daß aber allerdings fraglich sei,
ob uicht die Knaben, welche wohl wüßten, daß ihr Lehrer ein liberales Blatt
redigirte, eben dadurch zum Liberalismus verführt werden könnten. In Folge
dessen wurde Herrn Witt befohlen, die Redaction niederzulegen, und als er sich
weigerte, wurde er von seinem Amt suspendirt.

Herr Lucas wurde damals durch den Ausbruch des allgeiüeinen Unwillens
veranlaßt, seine Stelle niederzulegen. Er ist jetzt Prvvinzialschnlrath, und man
hat die liberalen Ministerien dieses Jahres mehrfach angegriffen, daß sie ihn nicht
abgesetzt haben. Diese Vorwürfe müssen wir nach unserm Princip abweisen, aber
Herr Lucas hätte kein Recht gehabt, sich zu beschweren.

Wird einmal dem einseitigen subjectiven Ermessen in der Beurtheilung einer
so schwer zu controlirenden Thätigkeit, wie die eines Lehrers ist, Thor und Thür
geöss.ick, so haben wir wieder einen wüsten Tummelplatz der Willkür. Also wie



") Das übrigens durch seine neueste Zurückweisung des Denunciantenwcsens einen wohl¬
thuenden Eindruck gemacht hat. Die eben herausgekommene Denkschrift des CultuSministeriumS
über das Verhältniß der Kirche zum Staat besprechen wir im nächsten Heft.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/66>, abgerufen am 23.07.2024.