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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gelastet werden, aber sie sollen sich doch einmischen, das Volk über seine wahren
Interessen aufklären u. tgi. Wozu dieses übel angebrachte, übel styliflrte Mani¬
fest in einer Zeit allgemeiner Verdächtigung, da es doch nichts wirken kann, denn
die Regierungen als solche können nicht einmal zur Belehrung des Volks etwas
thun, und was die einzelnen Mitglieder in dieser Beziehung für ihren Beruf
halten, kann ihnen kein Ministerialrescript vorschreiben.

Wir dürfen bei dem Urtheil über die einzelnen Schritte des Gouvernements
niemals die beiden Seiten der Situation aus den Augen lassen. Es ist unter
Umständen an die Spitze des Staats gekommen, die eine unmittelbare und unge-
gewöhnliche Betheiligung der Negierung an deu politischen Fragen gebieterisch er¬
heischten, wenn nicht der Staat in jämmerlichem Siechthum sich verzehren sollte;
aber in einer Zeit, die eine derartige Betheiligung mir unwillig erträgt, und eine
ernste Rechenschaft fordert für jede Ueberschreitung der Gewalt, auch wenn sie ihre
Nothwendigkeit einsieht. Bereits bei der Abdankung des Ministeriums Auerswald
regte sich der Verdacht, das neue verantwortliche Ministerium werde nur die Folie
sein für eine andere Macht, die mit Kartätschen und geheimem Groll aus Schles¬
wig-Holstein zurückkehrte. Die gemüthlich-chevaleresken Proklamationen des Ge¬
neral Wrangel, die in Oestreich ihre Wirkung nicht verfehlt haben würden, waren
auf den streng gesetzlichen Sinn Norddeutschlands nicht berechnet., Selbst die un-
erwartet liberale Haltung des Ministeriums Pfuel reichte nicht hin, den Verdacht
zu beschwichtigen; erst seine Abdankung erwarb ihn die Gunst des Volks. Jetzt
aber tritt der Wappenrock zu augenscheinlich vor der bürgerlichen Robe vor; ein
General an der Spitze der Regierung, ein anderer General, in ziemlich unklaren
Verhältnissen zu derselben, mit einer Art Dictatur in der Hauptstadt betraut --
das ist mehr als geeignet, dem Gouvernement Schwierigkeiten in den Weg zu
stellen, die um so bedenklicher erscheinen, da sie überflüssig sind. "Gegen Demo¬
kraten helfen nur Soldaten!" ist das Motto einer kleinen Broschüre, die sich we¬
nigstens officiös gebärdete. Wenn nämlich die Bürger zu feige oder zu ungebildet
sind, sie aus legalem Wege zu beseitigen, muß man hinzusetzen; und auch dann
nicht auf die Dauer. Gegen die Demokraten hilft nur Eines: die Demokratie.

Die Soldaten sind noch immer nicht ans die Verfassung beeidigt. Es hätte
freilich aller Wahrscheinlichkeit nach einen neuen Sturm erregt, wenn die octroyirte
Verfassung durch einen solchen Eid sofort als eine definitive hingestellt wäre.
Allein der Sturm hätte sich gelegt und es wäre Alles in Einen Kauf gegangen;
der Militärstand wäre dann in die bürgerlichen Rechtsverhältnisse aufgegangen,
er hätte das Vertrauen der constitutionellen Partei auch formal in Anspruch neh¬
men können, und es wäre außerdem der Gefahr vorgebeugt worden, daß sich die
neue Ständeversammlung wieder als Constituante gebärdete und dadurch die Ver-
wirrung noch auf einige Zeit verlängerte.

Wenn nun aber zu dem natürlichen Mißtrauen gegen die Armee durch un-


gelastet werden, aber sie sollen sich doch einmischen, das Volk über seine wahren
Interessen aufklären u. tgi. Wozu dieses übel angebrachte, übel styliflrte Mani¬
fest in einer Zeit allgemeiner Verdächtigung, da es doch nichts wirken kann, denn
die Regierungen als solche können nicht einmal zur Belehrung des Volks etwas
thun, und was die einzelnen Mitglieder in dieser Beziehung für ihren Beruf
halten, kann ihnen kein Ministerialrescript vorschreiben.

Wir dürfen bei dem Urtheil über die einzelnen Schritte des Gouvernements
niemals die beiden Seiten der Situation aus den Augen lassen. Es ist unter
Umständen an die Spitze des Staats gekommen, die eine unmittelbare und unge-
gewöhnliche Betheiligung der Negierung an deu politischen Fragen gebieterisch er¬
heischten, wenn nicht der Staat in jämmerlichem Siechthum sich verzehren sollte;
aber in einer Zeit, die eine derartige Betheiligung mir unwillig erträgt, und eine
ernste Rechenschaft fordert für jede Ueberschreitung der Gewalt, auch wenn sie ihre
Nothwendigkeit einsieht. Bereits bei der Abdankung des Ministeriums Auerswald
regte sich der Verdacht, das neue verantwortliche Ministerium werde nur die Folie
sein für eine andere Macht, die mit Kartätschen und geheimem Groll aus Schles¬
wig-Holstein zurückkehrte. Die gemüthlich-chevaleresken Proklamationen des Ge¬
neral Wrangel, die in Oestreich ihre Wirkung nicht verfehlt haben würden, waren
auf den streng gesetzlichen Sinn Norddeutschlands nicht berechnet., Selbst die un-
erwartet liberale Haltung des Ministeriums Pfuel reichte nicht hin, den Verdacht
zu beschwichtigen; erst seine Abdankung erwarb ihn die Gunst des Volks. Jetzt
aber tritt der Wappenrock zu augenscheinlich vor der bürgerlichen Robe vor; ein
General an der Spitze der Regierung, ein anderer General, in ziemlich unklaren
Verhältnissen zu derselben, mit einer Art Dictatur in der Hauptstadt betraut —
das ist mehr als geeignet, dem Gouvernement Schwierigkeiten in den Weg zu
stellen, die um so bedenklicher erscheinen, da sie überflüssig sind. „Gegen Demo¬
kraten helfen nur Soldaten!" ist das Motto einer kleinen Broschüre, die sich we¬
nigstens officiös gebärdete. Wenn nämlich die Bürger zu feige oder zu ungebildet
sind, sie aus legalem Wege zu beseitigen, muß man hinzusetzen; und auch dann
nicht auf die Dauer. Gegen die Demokraten hilft nur Eines: die Demokratie.

Die Soldaten sind noch immer nicht ans die Verfassung beeidigt. Es hätte
freilich aller Wahrscheinlichkeit nach einen neuen Sturm erregt, wenn die octroyirte
Verfassung durch einen solchen Eid sofort als eine definitive hingestellt wäre.
Allein der Sturm hätte sich gelegt und es wäre Alles in Einen Kauf gegangen;
der Militärstand wäre dann in die bürgerlichen Rechtsverhältnisse aufgegangen,
er hätte das Vertrauen der constitutionellen Partei auch formal in Anspruch neh¬
men können, und es wäre außerdem der Gefahr vorgebeugt worden, daß sich die
neue Ständeversammlung wieder als Constituante gebärdete und dadurch die Ver-
wirrung noch auf einige Zeit verlängerte.

Wenn nun aber zu dem natürlichen Mißtrauen gegen die Armee durch un-


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[0064] gelastet werden, aber sie sollen sich doch einmischen, das Volk über seine wahren Interessen aufklären u. tgi. Wozu dieses übel angebrachte, übel styliflrte Mani¬ fest in einer Zeit allgemeiner Verdächtigung, da es doch nichts wirken kann, denn die Regierungen als solche können nicht einmal zur Belehrung des Volks etwas thun, und was die einzelnen Mitglieder in dieser Beziehung für ihren Beruf halten, kann ihnen kein Ministerialrescript vorschreiben. Wir dürfen bei dem Urtheil über die einzelnen Schritte des Gouvernements niemals die beiden Seiten der Situation aus den Augen lassen. Es ist unter Umständen an die Spitze des Staats gekommen, die eine unmittelbare und unge- gewöhnliche Betheiligung der Negierung an deu politischen Fragen gebieterisch er¬ heischten, wenn nicht der Staat in jämmerlichem Siechthum sich verzehren sollte; aber in einer Zeit, die eine derartige Betheiligung mir unwillig erträgt, und eine ernste Rechenschaft fordert für jede Ueberschreitung der Gewalt, auch wenn sie ihre Nothwendigkeit einsieht. Bereits bei der Abdankung des Ministeriums Auerswald regte sich der Verdacht, das neue verantwortliche Ministerium werde nur die Folie sein für eine andere Macht, die mit Kartätschen und geheimem Groll aus Schles¬ wig-Holstein zurückkehrte. Die gemüthlich-chevaleresken Proklamationen des Ge¬ neral Wrangel, die in Oestreich ihre Wirkung nicht verfehlt haben würden, waren auf den streng gesetzlichen Sinn Norddeutschlands nicht berechnet., Selbst die un- erwartet liberale Haltung des Ministeriums Pfuel reichte nicht hin, den Verdacht zu beschwichtigen; erst seine Abdankung erwarb ihn die Gunst des Volks. Jetzt aber tritt der Wappenrock zu augenscheinlich vor der bürgerlichen Robe vor; ein General an der Spitze der Regierung, ein anderer General, in ziemlich unklaren Verhältnissen zu derselben, mit einer Art Dictatur in der Hauptstadt betraut — das ist mehr als geeignet, dem Gouvernement Schwierigkeiten in den Weg zu stellen, die um so bedenklicher erscheinen, da sie überflüssig sind. „Gegen Demo¬ kraten helfen nur Soldaten!" ist das Motto einer kleinen Broschüre, die sich we¬ nigstens officiös gebärdete. Wenn nämlich die Bürger zu feige oder zu ungebildet sind, sie aus legalem Wege zu beseitigen, muß man hinzusetzen; und auch dann nicht auf die Dauer. Gegen die Demokraten hilft nur Eines: die Demokratie. Die Soldaten sind noch immer nicht ans die Verfassung beeidigt. Es hätte freilich aller Wahrscheinlichkeit nach einen neuen Sturm erregt, wenn die octroyirte Verfassung durch einen solchen Eid sofort als eine definitive hingestellt wäre. Allein der Sturm hätte sich gelegt und es wäre Alles in Einen Kauf gegangen; der Militärstand wäre dann in die bürgerlichen Rechtsverhältnisse aufgegangen, er hätte das Vertrauen der constitutionellen Partei auch formal in Anspruch neh¬ men können, und es wäre außerdem der Gefahr vorgebeugt worden, daß sich die neue Ständeversammlung wieder als Constituante gebärdete und dadurch die Ver- wirrung noch auf einige Zeit verlängerte. Wenn nun aber zu dem natürlichen Mißtrauen gegen die Armee durch un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/64>, abgerufen am 23.07.2024.