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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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es bei den jämmerlichen Revolntionshelden in Frankfurt sehn, gar nicht abgeneigt
sind, die Ruthe eines Windischgrätz zu küssen, wenn sie nur hoffen dürfen, nicht
allein geschlagen zu werden, -- sondern durch das männliche Wort, welches
die Illusionen tödtet, und durch das Eintreten in bestimmte, unmittelbare Interes¬
sen, die nicht die Phantasie, sondern den Verstand beschäftigen, nicht die Arm¬
brust, sondern die Pflugschaar.

Es ist wohl möglich, daß die alten Staatsmänner, wenn sie die Koryphäen
des neuen Bewußtseins sich ansehen, die Köpfe schütteln über sich selber:
"wie ist es möglich, daß wir durch diese besiegt wurde"!" Gar zu leicht über¬
sehen sie dabei zweierlei; einmal die eigne Hohlheit, die allein eine solche Ent¬
scheidung möglich macht, und dann die Gewalt des Geistes, die darum nicht klei¬
ner ist, weil sie in unbedeutenden Subjecten zur Erscheinung kommt. Diese Ve-
nedey-, Jung, Reichenbach, Brill, Zitz und wie die traurigen Burschen weiter
heißen, haben sie etwa die Revolution gemacht? Nicht doch! Blasen sind es,
die der Sturm aufwarf, nichts weiter! Der Orkan ist grandios, obgleich er keine
andern Wasser auftreibt, als welche sich sonst im warmen Sonnenstrahl gütlich
thaten. Die Sache der Freiheit ist darum nicht schlechter, weil sie von miserablen
Aposteln gepredigt wird; mit diesen werdet ihr leicht fertig, kaum habt ihr eure
Bataillone nöthig; den Geist der Freiheit aber beschwört ihr nur, indem ihr ihm
huldigt.

Die Maßregeln, in deren Combination wir jenes Bedenkliche fanden, sind
die Fortdauer des Belagerungszustandes in Berlin und der damit zusammenhän¬
genden Suspension des Rechtszustandes; die gleichzeitigen Erlasse aus den Mini¬
sterien des Cultus, des Innern und der Justiz, und die im vorstehenden Votum
kritistrteu Schritte mehrerer Obergerichte gegen ihre eignen Mitglieder, welche sich
in die letzten politischen Bewegungen eingelassen hatten.

Der Belagerungszustand, in der Ausdehnung und der fictiven Bedeutung,
wie man ihn heut zu Tage auffaßt, ist ein Product der neuesten Zeit. Die re¬
publikanische Negierung Frankreichs hat zuerst damit in einer Weise operirt, wie
es nur der an Unifounität gewöhnte französische Geist ersinnen kann. Die mo¬
narchischen Regierungen Oestreichs und Preußens haben geglaubt, ihrem Vorbild
in Nichts nachstchn zu dürfen. Allein der Belagerungszustand in Berlin ist
doch von allen der wunderlichste und abnormste. In Wien ging er ans einer
wirklichen Belagerung, in Paris aus einem wirklichen Kriege hervor, in Berlin
dagegen war er eine lediglich politische Maßregel, theils der Ohnmacht der Be¬
hörden gegen Excesse des Pöbels zu Hilfe zu komme", theils, einen etwaigen Wi¬
derstand gegen die von der Regierung beabsichtigte Staatsveränderung leichter be¬
seitigen zu können. Ich will zugestehen, daß diese Maßregel unter allen, die man
hätte ergreifen können, die bequemste war; meinetwegen auch die einzig wirksame,
wenn man die vollständige Depravation der Berliner Bevölkerung in Anschlag


es bei den jämmerlichen Revolntionshelden in Frankfurt sehn, gar nicht abgeneigt
sind, die Ruthe eines Windischgrätz zu küssen, wenn sie nur hoffen dürfen, nicht
allein geschlagen zu werden, — sondern durch das männliche Wort, welches
die Illusionen tödtet, und durch das Eintreten in bestimmte, unmittelbare Interes¬
sen, die nicht die Phantasie, sondern den Verstand beschäftigen, nicht die Arm¬
brust, sondern die Pflugschaar.

Es ist wohl möglich, daß die alten Staatsmänner, wenn sie die Koryphäen
des neuen Bewußtseins sich ansehen, die Köpfe schütteln über sich selber:
„wie ist es möglich, daß wir durch diese besiegt wurde»!" Gar zu leicht über¬
sehen sie dabei zweierlei; einmal die eigne Hohlheit, die allein eine solche Ent¬
scheidung möglich macht, und dann die Gewalt des Geistes, die darum nicht klei¬
ner ist, weil sie in unbedeutenden Subjecten zur Erscheinung kommt. Diese Ve-
nedey-, Jung, Reichenbach, Brill, Zitz und wie die traurigen Burschen weiter
heißen, haben sie etwa die Revolution gemacht? Nicht doch! Blasen sind es,
die der Sturm aufwarf, nichts weiter! Der Orkan ist grandios, obgleich er keine
andern Wasser auftreibt, als welche sich sonst im warmen Sonnenstrahl gütlich
thaten. Die Sache der Freiheit ist darum nicht schlechter, weil sie von miserablen
Aposteln gepredigt wird; mit diesen werdet ihr leicht fertig, kaum habt ihr eure
Bataillone nöthig; den Geist der Freiheit aber beschwört ihr nur, indem ihr ihm
huldigt.

Die Maßregeln, in deren Combination wir jenes Bedenkliche fanden, sind
die Fortdauer des Belagerungszustandes in Berlin und der damit zusammenhän¬
genden Suspension des Rechtszustandes; die gleichzeitigen Erlasse aus den Mini¬
sterien des Cultus, des Innern und der Justiz, und die im vorstehenden Votum
kritistrteu Schritte mehrerer Obergerichte gegen ihre eignen Mitglieder, welche sich
in die letzten politischen Bewegungen eingelassen hatten.

Der Belagerungszustand, in der Ausdehnung und der fictiven Bedeutung,
wie man ihn heut zu Tage auffaßt, ist ein Product der neuesten Zeit. Die re¬
publikanische Negierung Frankreichs hat zuerst damit in einer Weise operirt, wie
es nur der an Unifounität gewöhnte französische Geist ersinnen kann. Die mo¬
narchischen Regierungen Oestreichs und Preußens haben geglaubt, ihrem Vorbild
in Nichts nachstchn zu dürfen. Allein der Belagerungszustand in Berlin ist
doch von allen der wunderlichste und abnormste. In Wien ging er ans einer
wirklichen Belagerung, in Paris aus einem wirklichen Kriege hervor, in Berlin
dagegen war er eine lediglich politische Maßregel, theils der Ohnmacht der Be¬
hörden gegen Excesse des Pöbels zu Hilfe zu komme», theils, einen etwaigen Wi¬
derstand gegen die von der Regierung beabsichtigte Staatsveränderung leichter be¬
seitigen zu können. Ich will zugestehen, daß diese Maßregel unter allen, die man
hätte ergreifen können, die bequemste war; meinetwegen auch die einzig wirksame,
wenn man die vollständige Depravation der Berliner Bevölkerung in Anschlag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/62>, abgerufen am 23.07.2024.