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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der Seincstadt eine vollkommen neue, aber keineswegs anziehendere, genannt habe.
Wenn nicht jetzt eben der Prozeß der Maiangeklagten wäre, und wenn nicht die
Rüstungen der Alpenarmee -- von welchen Sie in Deutschland übrigens, beiläufig
gesagt, jedenfalls mehr wissen als wir -- von sich reden machten, es wäre fast
nicht mehr auszuhalten. Die guten Bourgeois siud der Politik herzlich überdrüssig
geworden und sehnen sich darnach, einmal etwas Anders zu hören und zu sehen,
als die ewigen Tricoloreu und das zerlumpte Heer der fliegenden Buchhändler,
Mit ihrem ohrzerreißenden Geschrei: ?roe.es vin-bös, N<?8srs, trois 8"us- ^uti-
Lui?.ot, Ross, -- I^a bimlzue proutlkon! etc. ceo. Sie verwünschen die einge¬
fleischter Zeitungövcrschlinger der Cafe'S, wenn dieselben über die Möglichkeit eines
Krieges, einer Allianz Frankreichs mit Rußland, oder gar einer Intervention in
Italien zur Unterdrückung der "ttepul,lie>ne p.'ipale," wie man den jungen römi¬
schen Freistaat hier scherzweise zu nennen pflegt, debattiren und dadurch Schrecken
und Mißtrauen verbreiten helfen. Mit großem Vergnügen sehe ich jeden Nach¬
mittag an der Börse große Haufen von ehrsamen Bürgern vor den aufgehängten
CourSzetteln stehen -- das sind ihre politischen und socialen Barometer, und bei
jeder günstigen Hauffe nicken sie so zufrieden mit dem Kopfe und reiben sich so
seelenvergnügt die Hände, daß Madame, wenn sie in's Theater geführt sein will,
keinen günstigeren Augenblick zur Bitte wählen kann. Die Theater machen gegen¬
wärtig nur theilweise gute Geschäfte -- Opera und Francais werden nur bei
ganz besonders beliebten Stücken besucht, ins Historique geht nur noch der Mann
aus der Provinz, der für seine drei Francs auch etwas sehen, d. h. sieben Stun¬
den aus einem Sitze angenagelt sein will. Das Gros der Bevölkerung strömt
dagegen in die kleinen und großen Volkstheater, in welchen allabendlich die Ge¬
schichte der Zeit und des Tages auf die wunderbarste Weise verarbeitet wird. In
den-letzten Faschingstagcn habe ich im Gymnase eine Posse gesehen: "^el-om"
^'"einöd i>. Il>. rvcliercliv so I-" meilleuie i<!>,nblicjuv" -- der Name des Verfassers
ist mir entfallen. -- Sie glauben kaum, welch' ein Mischmasch vou hochtrabenden
Sentenzen und blödsümigen Trivialitäten das gewesen ist. Der arme Neph.rud
wird sich schön gewundert haben, seinen allerliebsten Roman in so gräulicher Art
dramatisch verunstaltet zu sehen -- aber das Publikum, eS war so voll, d.iß kein
Apfel zur Erde fallen konnte, fieberte vor Lust und Aufregung, und das am
weihten, wenn die Republik, auf deren möglichste Verhöhnung es überhaupt abge¬
sehen war, so recht i.iederträchtig schlecht gemacht winde. Das Stück wimmelte
überdies von Persönlichkeiten -- ich kannte sie freilich nicht alle -- aber das wie¬
hernde Gelächter des Parterres bei dem Eintritt einer jeden neuen Maske bewies
Mir die Aehnlichkeit derselben. Was würde man in Deutschland sagen, wenn ein
Schauspieler es wagen würde, einen Regenten zu copiren, wie ich eS hier mit dem
Präsidenten und seinen Ministern gesehen habe? Am scherzhaftesten ist übrigens
Miner das Stück im Stück, die Unterhaltung der Zuschauer. In den Fmuiam-


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der Seincstadt eine vollkommen neue, aber keineswegs anziehendere, genannt habe.
Wenn nicht jetzt eben der Prozeß der Maiangeklagten wäre, und wenn nicht die
Rüstungen der Alpenarmee — von welchen Sie in Deutschland übrigens, beiläufig
gesagt, jedenfalls mehr wissen als wir — von sich reden machten, es wäre fast
nicht mehr auszuhalten. Die guten Bourgeois siud der Politik herzlich überdrüssig
geworden und sehnen sich darnach, einmal etwas Anders zu hören und zu sehen,
als die ewigen Tricoloreu und das zerlumpte Heer der fliegenden Buchhändler,
Mit ihrem ohrzerreißenden Geschrei: ?roe.es vin-bös, N<?8srs, trois 8»us- ^uti-
Lui?.ot, Ross, — I^a bimlzue proutlkon! etc. ceo. Sie verwünschen die einge¬
fleischter Zeitungövcrschlinger der Cafe'S, wenn dieselben über die Möglichkeit eines
Krieges, einer Allianz Frankreichs mit Rußland, oder gar einer Intervention in
Italien zur Unterdrückung der „ttepul,lie>ne p.'ipale," wie man den jungen römi¬
schen Freistaat hier scherzweise zu nennen pflegt, debattiren und dadurch Schrecken
und Mißtrauen verbreiten helfen. Mit großem Vergnügen sehe ich jeden Nach¬
mittag an der Börse große Haufen von ehrsamen Bürgern vor den aufgehängten
CourSzetteln stehen — das sind ihre politischen und socialen Barometer, und bei
jeder günstigen Hauffe nicken sie so zufrieden mit dem Kopfe und reiben sich so
seelenvergnügt die Hände, daß Madame, wenn sie in's Theater geführt sein will,
keinen günstigeren Augenblick zur Bitte wählen kann. Die Theater machen gegen¬
wärtig nur theilweise gute Geschäfte — Opera und Francais werden nur bei
ganz besonders beliebten Stücken besucht, ins Historique geht nur noch der Mann
aus der Provinz, der für seine drei Francs auch etwas sehen, d. h. sieben Stun¬
den aus einem Sitze angenagelt sein will. Das Gros der Bevölkerung strömt
dagegen in die kleinen und großen Volkstheater, in welchen allabendlich die Ge¬
schichte der Zeit und des Tages auf die wunderbarste Weise verarbeitet wird. In
den-letzten Faschingstagcn habe ich im Gymnase eine Posse gesehen: „^el-om«
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ist mir entfallen. — Sie glauben kaum, welch' ein Mischmasch vou hochtrabenden
Sentenzen und blödsümigen Trivialitäten das gewesen ist. Der arme Neph.rud
wird sich schön gewundert haben, seinen allerliebsten Roman in so gräulicher Art
dramatisch verunstaltet zu sehen — aber das Publikum, eS war so voll, d.iß kein
Apfel zur Erde fallen konnte, fieberte vor Lust und Aufregung, und das am
weihten, wenn die Republik, auf deren möglichste Verhöhnung es überhaupt abge¬
sehen war, so recht i.iederträchtig schlecht gemacht winde. Das Stück wimmelte
überdies von Persönlichkeiten — ich kannte sie freilich nicht alle — aber das wie¬
hernde Gelächter des Parterres bei dem Eintritt einer jeden neuen Maske bewies
Mir die Aehnlichkeit derselben. Was würde man in Deutschland sagen, wenn ein
Schauspieler es wagen würde, einen Regenten zu copiren, wie ich eS hier mit dem
Präsidenten und seinen Ministern gesehen habe? Am scherzhaftesten ist übrigens
Miner das Stück im Stück, die Unterhaltung der Zuschauer. In den Fmuiam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/515>, abgerufen am 29.11.2024.