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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die an Gestalten und Sagen sehr reich war. Die großen Götter und Sagen wa¬
ren herb, kühn, großartig, es waren die idealen Spiegelbilder seines Kriegerle-
bens und seiner Weisheit; die kleinen Gottheiten waren unzählig, höchst mannig¬
faltig, schnurrig und äußerst bethnlich. Was er sich im Hause, auf dem Feld
und Wald, im Wasser und in der Erde von Göttern lebend dachte, das war treu¬
herzig, launisch, diensteifrig, und wenn es böse war, wenigstens lächerlich; die
Zwerge, Elfen, Nixe, Berggeister, Kobolde, Wichtelmännchen, Schwanjungfrauen,
ja die Thiere selbst der ganze reizende Trödclstaat der Märchenwelt, hat so scharf
charakterisiere Persönlichkeiten, so behagliche und wohlwollende Beziehungen zum
Menschenleben, wie bei keinem andern Volke. Das deutsche Gemüth hatte die
Natur mit den Gebilden seiner Laune so angefüllt, daß eine neue kleine Welt von
Phantasieschöpfungen neben der Wirklichkeit fortlebte und daherlief bis auf die
neueste Zeit.

Nein, die Gemüthlichkeit ist nicht der Zustand trägen Beschauers, in wel¬
chem der Türke auf dem Polster sitzt, sie ist eine Thätigkeit, ein Schaffen. Die
Seele des Deutschen öffnet sich, die Bilder der Welt glänzen herein, sie spinnt
ihre Fäden um alle, welche sie erreichen kann und genießt fröhlich die Beziehun¬
gen, die sie zwischen sich selbst und den fremden Dingen geschaffen hat. Was
sie mit sich nicht in solche Verbindung setzen kann, das ist ihr störend und ver¬
wirrend.

Ich kehre zu meinem armen Bürgermeister zurück. Im Anfange war er höchst
mißtrauisch, ganz Tiplomot unter deu Serbe". Aber die Teufel lachten ja, sie
trauten Wein, sie machten Scherze. Da wurde ihm endlich gemüthlich. Nicht
völlig, bei Leibe nicht, er empfand an seinen Genossen eine gewisse blutige Roh-
heit als störend, aber das wollte sich die deutsche Seele aus dem Kopf schlagen,
im Ganzen waren sie doch tüchtige, aufgeweckte Leute, er lachte viel, ihm wurde
immer behaglicher, je mehr sie in'S Grinsen kamen und als er gar drollig wurde,
und sie über ihn lachten, hielt er'S für die reine Herzlichkeit und wurde sicher,
nein er wurde übermüthig, weil sein Selbstgefühl doch nicht auf ganz festen Füßen
stand, er fing an leutselig zu renommiren. O deutsche Seele, du warst viel zu
fein construirt für deine Umgebung! Dn rcnommirst mit unschuldigem Witze, auf¬
geblasen von der behaglichen Empfindung, die Seele eines Kriegshelden zu sein,
und diese brutalen Barbaren schneiden dir dasür den Kopf ab. Pfui, es ist wider¬
lich, sehr, sehr ungemüthlich.

Hrerin liegt die Gefahr für unsre Gemüthlichkeit. Zu groß ist das Bedürf¬
niß deö Deutschen, die Welt zu genießen, indem er dieselbe an sein Herz zieht,
als daß er uicht ost an den Unrechten kommen sollte. Seine Phantasie überzieht
'hin so schenkt alles Mögliche mit ihrer bunten Seide, daß er anch den Feind,
den Verderber nicht erkennt, der in seine Nahe tritt. Seine Seele schnurrt und
spinnt geschäftig, das Störende sucht sie zu verkleiden, sie täuscht sich selbst, ja sie


die an Gestalten und Sagen sehr reich war. Die großen Götter und Sagen wa¬
ren herb, kühn, großartig, es waren die idealen Spiegelbilder seines Kriegerle-
bens und seiner Weisheit; die kleinen Gottheiten waren unzählig, höchst mannig¬
faltig, schnurrig und äußerst bethnlich. Was er sich im Hause, auf dem Feld
und Wald, im Wasser und in der Erde von Göttern lebend dachte, das war treu¬
herzig, launisch, diensteifrig, und wenn es böse war, wenigstens lächerlich; die
Zwerge, Elfen, Nixe, Berggeister, Kobolde, Wichtelmännchen, Schwanjungfrauen,
ja die Thiere selbst der ganze reizende Trödclstaat der Märchenwelt, hat so scharf
charakterisiere Persönlichkeiten, so behagliche und wohlwollende Beziehungen zum
Menschenleben, wie bei keinem andern Volke. Das deutsche Gemüth hatte die
Natur mit den Gebilden seiner Laune so angefüllt, daß eine neue kleine Welt von
Phantasieschöpfungen neben der Wirklichkeit fortlebte und daherlief bis auf die
neueste Zeit.

Nein, die Gemüthlichkeit ist nicht der Zustand trägen Beschauers, in wel¬
chem der Türke auf dem Polster sitzt, sie ist eine Thätigkeit, ein Schaffen. Die
Seele des Deutschen öffnet sich, die Bilder der Welt glänzen herein, sie spinnt
ihre Fäden um alle, welche sie erreichen kann und genießt fröhlich die Beziehun¬
gen, die sie zwischen sich selbst und den fremden Dingen geschaffen hat. Was
sie mit sich nicht in solche Verbindung setzen kann, das ist ihr störend und ver¬
wirrend.

Ich kehre zu meinem armen Bürgermeister zurück. Im Anfange war er höchst
mißtrauisch, ganz Tiplomot unter deu Serbe». Aber die Teufel lachten ja, sie
trauten Wein, sie machten Scherze. Da wurde ihm endlich gemüthlich. Nicht
völlig, bei Leibe nicht, er empfand an seinen Genossen eine gewisse blutige Roh-
heit als störend, aber das wollte sich die deutsche Seele aus dem Kopf schlagen,
im Ganzen waren sie doch tüchtige, aufgeweckte Leute, er lachte viel, ihm wurde
immer behaglicher, je mehr sie in'S Grinsen kamen und als er gar drollig wurde,
und sie über ihn lachten, hielt er'S für die reine Herzlichkeit und wurde sicher,
nein er wurde übermüthig, weil sein Selbstgefühl doch nicht auf ganz festen Füßen
stand, er fing an leutselig zu renommiren. O deutsche Seele, du warst viel zu
fein construirt für deine Umgebung! Dn rcnommirst mit unschuldigem Witze, auf¬
geblasen von der behaglichen Empfindung, die Seele eines Kriegshelden zu sein,
und diese brutalen Barbaren schneiden dir dasür den Kopf ab. Pfui, es ist wider¬
lich, sehr, sehr ungemüthlich.

Hrerin liegt die Gefahr für unsre Gemüthlichkeit. Zu groß ist das Bedürf¬
niß deö Deutschen, die Welt zu genießen, indem er dieselbe an sein Herz zieht,
als daß er uicht ost an den Unrechten kommen sollte. Seine Phantasie überzieht
'hin so schenkt alles Mögliche mit ihrer bunten Seide, daß er anch den Feind,
den Verderber nicht erkennt, der in seine Nahe tritt. Seine Seele schnurrt und
spinnt geschäftig, das Störende sucht sie zu verkleiden, sie täuscht sich selbst, ja sie


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[0503] die an Gestalten und Sagen sehr reich war. Die großen Götter und Sagen wa¬ ren herb, kühn, großartig, es waren die idealen Spiegelbilder seines Kriegerle- bens und seiner Weisheit; die kleinen Gottheiten waren unzählig, höchst mannig¬ faltig, schnurrig und äußerst bethnlich. Was er sich im Hause, auf dem Feld und Wald, im Wasser und in der Erde von Göttern lebend dachte, das war treu¬ herzig, launisch, diensteifrig, und wenn es böse war, wenigstens lächerlich; die Zwerge, Elfen, Nixe, Berggeister, Kobolde, Wichtelmännchen, Schwanjungfrauen, ja die Thiere selbst der ganze reizende Trödclstaat der Märchenwelt, hat so scharf charakterisiere Persönlichkeiten, so behagliche und wohlwollende Beziehungen zum Menschenleben, wie bei keinem andern Volke. Das deutsche Gemüth hatte die Natur mit den Gebilden seiner Laune so angefüllt, daß eine neue kleine Welt von Phantasieschöpfungen neben der Wirklichkeit fortlebte und daherlief bis auf die neueste Zeit. Nein, die Gemüthlichkeit ist nicht der Zustand trägen Beschauers, in wel¬ chem der Türke auf dem Polster sitzt, sie ist eine Thätigkeit, ein Schaffen. Die Seele des Deutschen öffnet sich, die Bilder der Welt glänzen herein, sie spinnt ihre Fäden um alle, welche sie erreichen kann und genießt fröhlich die Beziehun¬ gen, die sie zwischen sich selbst und den fremden Dingen geschaffen hat. Was sie mit sich nicht in solche Verbindung setzen kann, das ist ihr störend und ver¬ wirrend. Ich kehre zu meinem armen Bürgermeister zurück. Im Anfange war er höchst mißtrauisch, ganz Tiplomot unter deu Serbe». Aber die Teufel lachten ja, sie trauten Wein, sie machten Scherze. Da wurde ihm endlich gemüthlich. Nicht völlig, bei Leibe nicht, er empfand an seinen Genossen eine gewisse blutige Roh- heit als störend, aber das wollte sich die deutsche Seele aus dem Kopf schlagen, im Ganzen waren sie doch tüchtige, aufgeweckte Leute, er lachte viel, ihm wurde immer behaglicher, je mehr sie in'S Grinsen kamen und als er gar drollig wurde, und sie über ihn lachten, hielt er'S für die reine Herzlichkeit und wurde sicher, nein er wurde übermüthig, weil sein Selbstgefühl doch nicht auf ganz festen Füßen stand, er fing an leutselig zu renommiren. O deutsche Seele, du warst viel zu fein construirt für deine Umgebung! Dn rcnommirst mit unschuldigem Witze, auf¬ geblasen von der behaglichen Empfindung, die Seele eines Kriegshelden zu sein, und diese brutalen Barbaren schneiden dir dasür den Kopf ab. Pfui, es ist wider¬ lich, sehr, sehr ungemüthlich. Hrerin liegt die Gefahr für unsre Gemüthlichkeit. Zu groß ist das Bedürf¬ niß deö Deutschen, die Welt zu genießen, indem er dieselbe an sein Herz zieht, als daß er uicht ost an den Unrechten kommen sollte. Seine Phantasie überzieht 'hin so schenkt alles Mögliche mit ihrer bunten Seide, daß er anch den Feind, den Verderber nicht erkennt, der in seine Nahe tritt. Seine Seele schnurrt und spinnt geschäftig, das Störende sucht sie zu verkleiden, sie täuscht sich selbst, ja sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/503>, abgerufen am 28.11.2024.