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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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begleiten ihn seine feindlichen Tafelgenossen über die Vorposten hinaus. Dem
Bürgermeister riecht der feindliche Tabak so lockend, er sagt cordial zu seinen ser¬
bischen Begleitern: Ihr habt so guten Tabak und wir in der Stadt rauchen jam¬
mervolles Zeug, ich möchte sür mein Leben gern einige Pfeifen mitnehmen; ver¬
kauft mir euren Vorrath. Die Tabakbeutel gehn in seine Hand, in die Hand
der Serben die Zwanziger. Einer der Herren aber kann den Ueberschuß des ge¬
zählten Geldes nicht herausgeben, und unser Bürgermeister winkt ihm gutmüthig:
Laßt gut sein, Herr Kamrad, ans dem Schlachtfeld gleichen wir die Rechnung
aus. -- Am andern Tag ist ein Treffen, der Serbe tritt Abends zum Wachtfeuer
und spricht lachend: meine Rechnung mit dem Schwaben ist ausgeglichen, öffnet
seinen Sack und zieht des Bürgermeisters Kopf heraus. -- Er war nämlich der
Gurgelabschneidcr General KnischaninS und hatte die Verpflichtung, die Spieße,
welche vor des Feldherrn Zelt steckten, stets mit frischen Köpfen zu versorgen.

Ich sehe den Bürgermeister deutlich vor mir. Er muß ein starker Herr ge¬
wesen sein, nicht zu groß, mit einem runden, jovialen Gesicht und kleinen freund¬
lichen Augen. Würdig als Familienvater, gravitätisch als Bürger, am Morgen
war er gewiß strenge, manchmal sogar etwas mürrisch, am Abend lachte er so
herzlich unt.r Weib und Kind und guten Freunden. Er hatte die Gewohnheit,
des Sonntags in der Kirche jede Strophe deö Gesanges eher anzufangen, als alle
andern, er wußte, daß er viele Gönner und einige Feinde unter dem Ministerium
hatte und war dem alten Kaiser Franz zweimal in Wien begegnet und der Kaiser
hatte sich jedesmal gewundert, daß der Bürgermeister von Weißenburg auch in
Wien war. Kurz, er hatte als Muster eines redlichen Bürgers gelebt. Da kamen
die ungarischen Händel, da kam die Nothwendigkeit, Partei zu nehmen. Er war
für Freiheit, er war für die Ungarn. Es kostete ihm viel Mühe, kriegslustig zu
werden. Aber endlich wurde er'S doch, was könnte der Deutsche nicht werde"?
Und zuletzt gerieth er in eine recht tollkühne Hitze. -- Als er im Serbenlager
unter den Kohlabschneidern saß, da war ihm innerlich nicht gar wohl zu Muth,
er kam sich im Stillen vor, wie ein Europäer unter Menschenfressern: aber er
ließ sich daS nicht merken, bei Leibe nicht! Er lachte sehr laut und sorglos, ja
er renommirte sogar ein Bischen, um seiner Stadt Ehre zu machen. -- Und
dem Mann schnitten sie den Kopf ab, die verdammten Kannibalen. Graulich,
höchst schauderhaft und widerlich! Und wenn sie noch tausend Jahre leben, sie
werden alle zusammen noch nicht so weit sein, in menschlicher Cultur, in Gemüth
und Seele, als der eine arme deutsche Bürgermeister war.

Wahrlich, es kann Einem wehe um's Herz werden, wenn man steht, wie
diese Teufelszeit zwei Wagschalen hält, in der einen liegt unser deutsches Gemüll),
in der andern die rohe Kraft knochiger Fäuste. Die Waare ist zu verschieden,
die gegen einander abgewogen werden soll, denn ein Menschenleben, welches durch
Sitte und Gesetz an die Vernunft und das Ganze des Menschengeschlechts gehult-


begleiten ihn seine feindlichen Tafelgenossen über die Vorposten hinaus. Dem
Bürgermeister riecht der feindliche Tabak so lockend, er sagt cordial zu seinen ser¬
bischen Begleitern: Ihr habt so guten Tabak und wir in der Stadt rauchen jam¬
mervolles Zeug, ich möchte sür mein Leben gern einige Pfeifen mitnehmen; ver¬
kauft mir euren Vorrath. Die Tabakbeutel gehn in seine Hand, in die Hand
der Serben die Zwanziger. Einer der Herren aber kann den Ueberschuß des ge¬
zählten Geldes nicht herausgeben, und unser Bürgermeister winkt ihm gutmüthig:
Laßt gut sein, Herr Kamrad, ans dem Schlachtfeld gleichen wir die Rechnung
aus. — Am andern Tag ist ein Treffen, der Serbe tritt Abends zum Wachtfeuer
und spricht lachend: meine Rechnung mit dem Schwaben ist ausgeglichen, öffnet
seinen Sack und zieht des Bürgermeisters Kopf heraus. — Er war nämlich der
Gurgelabschneidcr General KnischaninS und hatte die Verpflichtung, die Spieße,
welche vor des Feldherrn Zelt steckten, stets mit frischen Köpfen zu versorgen.

Ich sehe den Bürgermeister deutlich vor mir. Er muß ein starker Herr ge¬
wesen sein, nicht zu groß, mit einem runden, jovialen Gesicht und kleinen freund¬
lichen Augen. Würdig als Familienvater, gravitätisch als Bürger, am Morgen
war er gewiß strenge, manchmal sogar etwas mürrisch, am Abend lachte er so
herzlich unt.r Weib und Kind und guten Freunden. Er hatte die Gewohnheit,
des Sonntags in der Kirche jede Strophe deö Gesanges eher anzufangen, als alle
andern, er wußte, daß er viele Gönner und einige Feinde unter dem Ministerium
hatte und war dem alten Kaiser Franz zweimal in Wien begegnet und der Kaiser
hatte sich jedesmal gewundert, daß der Bürgermeister von Weißenburg auch in
Wien war. Kurz, er hatte als Muster eines redlichen Bürgers gelebt. Da kamen
die ungarischen Händel, da kam die Nothwendigkeit, Partei zu nehmen. Er war
für Freiheit, er war für die Ungarn. Es kostete ihm viel Mühe, kriegslustig zu
werden. Aber endlich wurde er'S doch, was könnte der Deutsche nicht werde»?
Und zuletzt gerieth er in eine recht tollkühne Hitze. — Als er im Serbenlager
unter den Kohlabschneidern saß, da war ihm innerlich nicht gar wohl zu Muth,
er kam sich im Stillen vor, wie ein Europäer unter Menschenfressern: aber er
ließ sich daS nicht merken, bei Leibe nicht! Er lachte sehr laut und sorglos, ja
er renommirte sogar ein Bischen, um seiner Stadt Ehre zu machen. — Und
dem Mann schnitten sie den Kopf ab, die verdammten Kannibalen. Graulich,
höchst schauderhaft und widerlich! Und wenn sie noch tausend Jahre leben, sie
werden alle zusammen noch nicht so weit sein, in menschlicher Cultur, in Gemüth
und Seele, als der eine arme deutsche Bürgermeister war.

Wahrlich, es kann Einem wehe um's Herz werden, wenn man steht, wie
diese Teufelszeit zwei Wagschalen hält, in der einen liegt unser deutsches Gemüll),
in der andern die rohe Kraft knochiger Fäuste. Die Waare ist zu verschieden,
die gegen einander abgewogen werden soll, denn ein Menschenleben, welches durch
Sitte und Gesetz an die Vernunft und das Ganze des Menschengeschlechts gehult-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/500>, abgerufen am 23.07.2024.