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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Mber literarische Portraits öffentlicher Charaktere.



An 'öerrit Instizcsnnnissar Weichsel in Magdeburg.

Mein Herr! Sie beklagten Sich vor Kurzem über eine Beschreibung Ihrer
Deputirtenpersöulichkeit, welche im vorigen Jahrgang der Grenzboten zu lesen war,
ja Sie wollten den Namen des lichtscheuen Zeichners wissen. -- DaS ist nicht
nöthig, die Redaction vertritt Ihnen gegenüber Wortlaut und Meinung des be¬
treffenden Aufsatzes. Da Sie mir jetzt als Privatmann gegenüberstehen, habe ich
weder Recht noch Veranlassung, Ihre Person und Thätigkeit dem Publikum wie¬
der vorzuführen, was ich hier zu erwähnen habe, ist unpersönlich und ich bitte Sie
in der Adresse dieses Briefes keine Kränkung, sondern eine kleine Aufmerksamkeit
zu sehen, die wir Ihnen deshalb schuldig siud, weil Sie unser reactionäres Blatt,
wenn auch sehr spät, gelesen haben.

Die Grenzboten haben seit vorigem Sommer angefangen, politische Portraits
zu bringen nud werden das auch ferner thun. Natürlich wird der Umriß nicht
immer schmeichelhaft für die Gezeichneten; ja ich gehe weiter, und sage, er wird
manchmal eine Carrikatur sein. Beide Arten der Darstellung siud vollständig be¬
rechtigt. Der Unterschied ist nur der, ob der Schreiber sich bestrebt, von seinem
Partcistandpunkl aus mit Ernst und Gewissenhaftigkeit die Thätigkeit des Poli¬
tikers darzustellen und dass.n Individualität zu cmalhsiren, oder ob er von dem¬
selben Parteiftandpunkt aus mit Humor und guter Laune um seinen Gegenstand
henuufäbrt. Die Aufgabe beider ist zwar verschieden, von dem ersteren fordert
man Gen'isseuhaftigkeit, von dem zweiten Liebenswürdigkeit, beide werden aber
in ihrer Weise wahr sein müssen, auch die Carrikaturenzcichncr. Freilich ist
der Gezeichnete nicht competeutcr Richter, wohl aber das Publikum. Gern gebe
ich Ihnen zu, daß das Darstellen der Persönlichkeiten in öffentlichen Blättern
auch eine Grenze hat, über welche der keckste Zeichner nicht herausgehen darf, ohne
frech oder gemein zu werden. Diese Grenze zu halten, ist im einzelnen Fall nicht
immer leicht, und doch ist sie vorhanden und ein gebildetes Empfinden beobachtet
sie, ohne viel darüber nachzudenken. Für unsere deutschen Politiker über, welche
im letzten Jahr zum größten Theil wie junge Hühnchen ans dem El des Privat¬
lebens herausgekrochen sind und die Eierschalen noch auf dem Kopf tragen, wird
es nicht unnütz sein, zu bemerken, was von ihrem Leben dem Urtheil der Presse
anheimfallen darf. Denn nichts ist kläglicher und armseliger, als die knabenhafte
En pfindlichkeit, mit welcher man in jeder Partcikritik eine persönliche Ehrenkränkung
sieht, gegen welche man mit allen Waffen der Persönlichkeit, mit Hand u"d Degen
zu Felde ziehn möchte. Kurz läßt sich das so ausdrücken: Jeder Theil des Men-
schcnlclcns. welcher in der Qcffentlichkcit erscheint, verfällt ihrem Urtheil. Na¬
türlich zuerst die amtliche Thätigkeit. Bei einem Deputirten nicht nur seine Ne


Mber literarische Portraits öffentlicher Charaktere.



An 'öerrit Instizcsnnnissar Weichsel in Magdeburg.

Mein Herr! Sie beklagten Sich vor Kurzem über eine Beschreibung Ihrer
Deputirtenpersöulichkeit, welche im vorigen Jahrgang der Grenzboten zu lesen war,
ja Sie wollten den Namen des lichtscheuen Zeichners wissen. — DaS ist nicht
nöthig, die Redaction vertritt Ihnen gegenüber Wortlaut und Meinung des be¬
treffenden Aufsatzes. Da Sie mir jetzt als Privatmann gegenüberstehen, habe ich
weder Recht noch Veranlassung, Ihre Person und Thätigkeit dem Publikum wie¬
der vorzuführen, was ich hier zu erwähnen habe, ist unpersönlich und ich bitte Sie
in der Adresse dieses Briefes keine Kränkung, sondern eine kleine Aufmerksamkeit
zu sehen, die wir Ihnen deshalb schuldig siud, weil Sie unser reactionäres Blatt,
wenn auch sehr spät, gelesen haben.

Die Grenzboten haben seit vorigem Sommer angefangen, politische Portraits
zu bringen nud werden das auch ferner thun. Natürlich wird der Umriß nicht
immer schmeichelhaft für die Gezeichneten; ja ich gehe weiter, und sage, er wird
manchmal eine Carrikatur sein. Beide Arten der Darstellung siud vollständig be¬
rechtigt. Der Unterschied ist nur der, ob der Schreiber sich bestrebt, von seinem
Partcistandpunkl aus mit Ernst und Gewissenhaftigkeit die Thätigkeit des Poli¬
tikers darzustellen und dass.n Individualität zu cmalhsiren, oder ob er von dem¬
selben Parteiftandpunkt aus mit Humor und guter Laune um seinen Gegenstand
henuufäbrt. Die Aufgabe beider ist zwar verschieden, von dem ersteren fordert
man Gen'isseuhaftigkeit, von dem zweiten Liebenswürdigkeit, beide werden aber
in ihrer Weise wahr sein müssen, auch die Carrikaturenzcichncr. Freilich ist
der Gezeichnete nicht competeutcr Richter, wohl aber das Publikum. Gern gebe
ich Ihnen zu, daß das Darstellen der Persönlichkeiten in öffentlichen Blättern
auch eine Grenze hat, über welche der keckste Zeichner nicht herausgehen darf, ohne
frech oder gemein zu werden. Diese Grenze zu halten, ist im einzelnen Fall nicht
immer leicht, und doch ist sie vorhanden und ein gebildetes Empfinden beobachtet
sie, ohne viel darüber nachzudenken. Für unsere deutschen Politiker über, welche
im letzten Jahr zum größten Theil wie junge Hühnchen ans dem El des Privat¬
lebens herausgekrochen sind und die Eierschalen noch auf dem Kopf tragen, wird
es nicht unnütz sein, zu bemerken, was von ihrem Leben dem Urtheil der Presse
anheimfallen darf. Denn nichts ist kläglicher und armseliger, als die knabenhafte
En pfindlichkeit, mit welcher man in jeder Partcikritik eine persönliche Ehrenkränkung
sieht, gegen welche man mit allen Waffen der Persönlichkeit, mit Hand u»d Degen
zu Felde ziehn möchte. Kurz läßt sich das so ausdrücken: Jeder Theil des Men-
schcnlclcns. welcher in der Qcffentlichkcit erscheint, verfällt ihrem Urtheil. Na¬
türlich zuerst die amtliche Thätigkeit. Bei einem Deputirten nicht nur seine Ne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/498>, abgerufen am 27.11.2024.