Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Tages das Ministerium auf constitutionelle Weise gedeckt war, noch auch selbst
in Beziehung auf die Vollendung des Verfassungswerkes. Das erste nicht, denn
man konnte der Versammlung, die nach der Natur der Dinge so lange zusammen¬
bleiben mußte, bis sie ihre Aufgabe, den Verfassungsentwurf, vollendet hatte, die
Rechte einer constitutionellen Kammer nicht zugesteh": theils weil eine solche die
Verfassung, die erst gegründet werden sollte, als rechtsbeständig bereits voraussehe,
theils weil sie in Collisionsfällen eine Appellativ" ans Volk zuläßt.

Es kamen aber uoch zwei Umstände hinzu, welche im Voraus die Wirksamkeit
dieser Versammlung gefährden mußten. Durch die Urwahle" wurde eine Schicht des
Volkes ins politische Leben gezogen, die bisher weder irgend welche Berührung mit
demselben, noch auch nur eine" Begriff davon gehabt hatte, und die nun voraus¬
sichtlich entweder den Händen der radicalen Partei anheimfalle" mußte, die ihr
ohne weitere Umstände goldene Berge verhieß, oder sich aus Unverstand in eng¬
herzige, obwohl sehr natürliche Sonderinteresscn verstricken, die eine bestimmte
politische Richtung des ganzen Verfassungswerkes nicht zuließen. Es geschah bei¬
des; ein guter Theil der Versammlung bestand aus solchen Leuten, die K tout prix
Opposition machten, theils aus solchen, die lediglich dazu gewählt waren, ihren
Committenten einige Morgen Landes oder einige Kühe mehr zu verschaffen, und
die nun bei jeder politischen Frage, die über diesen Gesichtskreis hinaufginge mit
offnem Munde dasaßen, und nicht wußte", was sie dazu denken sollten. Der
Portefeuille-Jäger, deren Erscheinen nach dem langen Druck des Absolutismus
nur zu natürlich war, ganz zu geschweige"! U"d mit einer solchen Versäumt""g
sollte nicht nur die Verfassung vereinbart, sondern es sollte anch, was viel schlim¬
mer war, mit ihr regiert werden!

Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung der deutschen Natio¬
nalversammlung. Nicht nnr daß sie die besten Kräfte absorbirte, welche die neue
Entwickelung Preußens mit den alten ständischen Bestrebungen hätten in Rapport
setzen können; sie stellte auch zugleich die ganze Aufgabe der preußischen Regierung
sammt ihren Ständen in Frage, denn sie nahm die volle Souveränität für sich
in Anspruch, und schien es von ihrem Belieben abhängen zu lassen, in wie
weit überhaupt noch von einem selbstständigen preußischen Staat die Rede sein
könne. Sie mußte jeden Augenblick der preußischen Opposition als Stichwort
dienen, theils aus wirklicher Sympathie, theils weil man die Mittel nicht sehr
ansah.

Die schwierige Lage des Ministeriums wurde uoch vermehrt theils durch den
dänischen Krieg, in welchen man sich, wie man jetzt wohl allgemein zugestehen
dürfte, ziemlich leichtsinnig eingelassen hatte, obgleich ich daraus der Regierung
keinen Vorwurf machen will, denn bei der damaligen Aufregung des deutsch¬
patriotischen Fanatismus hätte wohl jede andere ähnlich gehandelt, theils durch
die Unruhen in Posen, die man durch verzeihliche, aber immer sehr schlimme Ver-


des Tages das Ministerium auf constitutionelle Weise gedeckt war, noch auch selbst
in Beziehung auf die Vollendung des Verfassungswerkes. Das erste nicht, denn
man konnte der Versammlung, die nach der Natur der Dinge so lange zusammen¬
bleiben mußte, bis sie ihre Aufgabe, den Verfassungsentwurf, vollendet hatte, die
Rechte einer constitutionellen Kammer nicht zugesteh»: theils weil eine solche die
Verfassung, die erst gegründet werden sollte, als rechtsbeständig bereits voraussehe,
theils weil sie in Collisionsfällen eine Appellativ» ans Volk zuläßt.

Es kamen aber uoch zwei Umstände hinzu, welche im Voraus die Wirksamkeit
dieser Versammlung gefährden mußten. Durch die Urwahle» wurde eine Schicht des
Volkes ins politische Leben gezogen, die bisher weder irgend welche Berührung mit
demselben, noch auch nur eine» Begriff davon gehabt hatte, und die nun voraus¬
sichtlich entweder den Händen der radicalen Partei anheimfalle» mußte, die ihr
ohne weitere Umstände goldene Berge verhieß, oder sich aus Unverstand in eng¬
herzige, obwohl sehr natürliche Sonderinteresscn verstricken, die eine bestimmte
politische Richtung des ganzen Verfassungswerkes nicht zuließen. Es geschah bei¬
des; ein guter Theil der Versammlung bestand aus solchen Leuten, die K tout prix
Opposition machten, theils aus solchen, die lediglich dazu gewählt waren, ihren
Committenten einige Morgen Landes oder einige Kühe mehr zu verschaffen, und
die nun bei jeder politischen Frage, die über diesen Gesichtskreis hinaufginge mit
offnem Munde dasaßen, und nicht wußte», was sie dazu denken sollten. Der
Portefeuille-Jäger, deren Erscheinen nach dem langen Druck des Absolutismus
nur zu natürlich war, ganz zu geschweige«! U»d mit einer solchen Versäumt»»g
sollte nicht nur die Verfassung vereinbart, sondern es sollte anch, was viel schlim¬
mer war, mit ihr regiert werden!

Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung der deutschen Natio¬
nalversammlung. Nicht nnr daß sie die besten Kräfte absorbirte, welche die neue
Entwickelung Preußens mit den alten ständischen Bestrebungen hätten in Rapport
setzen können; sie stellte auch zugleich die ganze Aufgabe der preußischen Regierung
sammt ihren Ständen in Frage, denn sie nahm die volle Souveränität für sich
in Anspruch, und schien es von ihrem Belieben abhängen zu lassen, in wie
weit überhaupt noch von einem selbstständigen preußischen Staat die Rede sein
könne. Sie mußte jeden Augenblick der preußischen Opposition als Stichwort
dienen, theils aus wirklicher Sympathie, theils weil man die Mittel nicht sehr
ansah.

Die schwierige Lage des Ministeriums wurde uoch vermehrt theils durch den
dänischen Krieg, in welchen man sich, wie man jetzt wohl allgemein zugestehen
dürfte, ziemlich leichtsinnig eingelassen hatte, obgleich ich daraus der Regierung
keinen Vorwurf machen will, denn bei der damaligen Aufregung des deutsch¬
patriotischen Fanatismus hätte wohl jede andere ähnlich gehandelt, theils durch
die Unruhen in Posen, die man durch verzeihliche, aber immer sehr schlimme Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278480"/>
            <p xml:id="ID_2737" prev="#ID_2736"> des Tages das Ministerium auf constitutionelle Weise gedeckt war, noch auch selbst<lb/>
in Beziehung auf die Vollendung des Verfassungswerkes. Das erste nicht, denn<lb/>
man konnte der Versammlung, die nach der Natur der Dinge so lange zusammen¬<lb/>
bleiben mußte, bis sie ihre Aufgabe, den Verfassungsentwurf, vollendet hatte, die<lb/>
Rechte einer constitutionellen Kammer nicht zugesteh»: theils weil eine solche die<lb/>
Verfassung, die erst gegründet werden sollte, als rechtsbeständig bereits voraussehe,<lb/>
theils weil sie in Collisionsfällen eine Appellativ» ans Volk zuläßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2738"> Es kamen aber uoch zwei Umstände hinzu, welche im Voraus die Wirksamkeit<lb/>
dieser Versammlung gefährden mußten. Durch die Urwahle» wurde eine Schicht des<lb/>
Volkes ins politische Leben gezogen, die bisher weder irgend welche Berührung mit<lb/>
demselben, noch auch nur eine» Begriff davon gehabt hatte, und die nun voraus¬<lb/>
sichtlich entweder den Händen der radicalen Partei anheimfalle» mußte, die ihr<lb/>
ohne weitere Umstände goldene Berge verhieß, oder sich aus Unverstand in eng¬<lb/>
herzige, obwohl sehr natürliche Sonderinteresscn verstricken, die eine bestimmte<lb/>
politische Richtung des ganzen Verfassungswerkes nicht zuließen. Es geschah bei¬<lb/>
des; ein guter Theil der Versammlung bestand aus solchen Leuten, die K tout prix<lb/>
Opposition machten, theils aus solchen, die lediglich dazu gewählt waren, ihren<lb/>
Committenten einige Morgen Landes oder einige Kühe mehr zu verschaffen, und<lb/>
die nun bei jeder politischen Frage, die über diesen Gesichtskreis hinaufginge mit<lb/>
offnem Munde dasaßen, und nicht wußte», was sie dazu denken sollten. Der<lb/>
Portefeuille-Jäger, deren Erscheinen nach dem langen Druck des Absolutismus<lb/>
nur zu natürlich war, ganz zu geschweige«! U»d mit einer solchen Versäumt»»g<lb/>
sollte nicht nur die Verfassung vereinbart, sondern es sollte anch, was viel schlim¬<lb/>
mer war, mit ihr regiert werden!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2739"> Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung der deutschen Natio¬<lb/>
nalversammlung. Nicht nnr daß sie die besten Kräfte absorbirte, welche die neue<lb/>
Entwickelung Preußens mit den alten ständischen Bestrebungen hätten in Rapport<lb/>
setzen können; sie stellte auch zugleich die ganze Aufgabe der preußischen Regierung<lb/>
sammt ihren Ständen in Frage, denn sie nahm die volle Souveränität für sich<lb/>
in Anspruch, und schien es von ihrem Belieben abhängen zu lassen, in wie<lb/>
weit überhaupt noch von einem selbstständigen preußischen Staat die Rede sein<lb/>
könne. Sie mußte jeden Augenblick der preußischen Opposition als Stichwort<lb/>
dienen, theils aus wirklicher Sympathie, theils weil man die Mittel nicht sehr<lb/>
ansah.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2740" next="#ID_2741"> Die schwierige Lage des Ministeriums wurde uoch vermehrt theils durch den<lb/>
dänischen Krieg, in welchen man sich, wie man jetzt wohl allgemein zugestehen<lb/>
dürfte, ziemlich leichtsinnig eingelassen hatte, obgleich ich daraus der Regierung<lb/>
keinen Vorwurf machen will, denn bei der damaligen Aufregung des deutsch¬<lb/>
patriotischen Fanatismus hätte wohl jede andere ähnlich gehandelt, theils durch<lb/>
die Unruhen in Posen, die man durch verzeihliche, aber immer sehr schlimme Ver-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] des Tages das Ministerium auf constitutionelle Weise gedeckt war, noch auch selbst in Beziehung auf die Vollendung des Verfassungswerkes. Das erste nicht, denn man konnte der Versammlung, die nach der Natur der Dinge so lange zusammen¬ bleiben mußte, bis sie ihre Aufgabe, den Verfassungsentwurf, vollendet hatte, die Rechte einer constitutionellen Kammer nicht zugesteh»: theils weil eine solche die Verfassung, die erst gegründet werden sollte, als rechtsbeständig bereits voraussehe, theils weil sie in Collisionsfällen eine Appellativ» ans Volk zuläßt. Es kamen aber uoch zwei Umstände hinzu, welche im Voraus die Wirksamkeit dieser Versammlung gefährden mußten. Durch die Urwahle» wurde eine Schicht des Volkes ins politische Leben gezogen, die bisher weder irgend welche Berührung mit demselben, noch auch nur eine» Begriff davon gehabt hatte, und die nun voraus¬ sichtlich entweder den Händen der radicalen Partei anheimfalle» mußte, die ihr ohne weitere Umstände goldene Berge verhieß, oder sich aus Unverstand in eng¬ herzige, obwohl sehr natürliche Sonderinteresscn verstricken, die eine bestimmte politische Richtung des ganzen Verfassungswerkes nicht zuließen. Es geschah bei¬ des; ein guter Theil der Versammlung bestand aus solchen Leuten, die K tout prix Opposition machten, theils aus solchen, die lediglich dazu gewählt waren, ihren Committenten einige Morgen Landes oder einige Kühe mehr zu verschaffen, und die nun bei jeder politischen Frage, die über diesen Gesichtskreis hinaufginge mit offnem Munde dasaßen, und nicht wußte», was sie dazu denken sollten. Der Portefeuille-Jäger, deren Erscheinen nach dem langen Druck des Absolutismus nur zu natürlich war, ganz zu geschweige«! U»d mit einer solchen Versäumt»»g sollte nicht nur die Verfassung vereinbart, sondern es sollte anch, was viel schlim¬ mer war, mit ihr regiert werden! Der zweite Umstand war die gleichzeitige Einberufung der deutschen Natio¬ nalversammlung. Nicht nnr daß sie die besten Kräfte absorbirte, welche die neue Entwickelung Preußens mit den alten ständischen Bestrebungen hätten in Rapport setzen können; sie stellte auch zugleich die ganze Aufgabe der preußischen Regierung sammt ihren Ständen in Frage, denn sie nahm die volle Souveränität für sich in Anspruch, und schien es von ihrem Belieben abhängen zu lassen, in wie weit überhaupt noch von einem selbstständigen preußischen Staat die Rede sein könne. Sie mußte jeden Augenblick der preußischen Opposition als Stichwort dienen, theils aus wirklicher Sympathie, theils weil man die Mittel nicht sehr ansah. Die schwierige Lage des Ministeriums wurde uoch vermehrt theils durch den dänischen Krieg, in welchen man sich, wie man jetzt wohl allgemein zugestehen dürfte, ziemlich leichtsinnig eingelassen hatte, obgleich ich daraus der Regierung keinen Vorwurf machen will, denn bei der damaligen Aufregung des deutsch¬ patriotischen Fanatismus hätte wohl jede andere ähnlich gehandelt, theils durch die Unruhen in Posen, die man durch verzeihliche, aber immer sehr schlimme Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/492>, abgerufen am 23.07.2024.