Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.angelegt ist, ihn zum Mittelpunkt zu haben. In dieser Beziehung stelle ich unsern Ich breche den Brief ab; aber ich bin mit der Kunst des eleganten Berlins SrenzboKn. I. l""S.W
angelegt ist, ihn zum Mittelpunkt zu haben. In dieser Beziehung stelle ich unsern Ich breche den Brief ab; aber ich bin mit der Kunst des eleganten Berlins SrenzboKn. I. l»«S.W
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angelegt ist, ihn zum Mittelpunkt zu haben. In dieser Beziehung stelle ich unsern
Wohlbrück, der seine Individualität stets dem Gesammtausdruck unterordnet,
wesentlich vor. Aber es ist doch ein genialer Mensch, und man folgt seinem
Spiel immer mit Bewunderung, ich möchte sagen, mit Erstaunen. Beiläufig, wie
ist die sonstige Richtung unserer Zeit auf das Nivellirer aller Besonderheiten mit
dem Virtuosenthum, das sich in der Kunst trotz aller Reaction deö Klassicismus
geltend macht, in Einklang zu bringen? Ich denke, es ist mit dem Nivellirer,
der Demokratie und der Gleichheit kein so rechter Ernst; das Bestreben, sich vor¬
zudrängen, ist zwar allgemein geworden, und damit die allerbreiteste Grundlage
des Staatslebens gewonnen; aber von der Nothwendigkeit, sich unterzuordnen, hat
man keinen Begriff; man bildet wohl linke Centren, um die Tugend und Frei¬
heit in der Welt herzustellen, aber man will dann auch mit der Ausführung dieser
Errungenschaften betraut sein. Wenn alle Menschen den guten Beruf und den
guten Willen in sich fühlen, am Ministertisch zu sitzen, so ist diese Neigung
zwar insofern demokratisch, als sie sich gegen die bestehende Aristokratie richtet;
aber an eine eigentlich demokratische Umgestaltung deö Staates wird wohl erst
zu denken sei», wenn die „Tugend," wie Montesquieu sie der Republik vindicirt,
durch das aristokratische „Maaßhalten" ein wenig corrigirt sein wird. Der Wunsch,
sich ungenirt zu bewegen, ist noch nicht die Quelle der Freiheit.
Ich breche den Brief ab; aber ich bin mit der Kunst des eleganten Berlins
noch nicht fertig. Zum Schluß eine heitere Episode aus unserer altklugen Auf-
klärung. Sie haben wohl schon von dem Wunderkind gehört, das in der Schiffer¬
straße täglich eine »».geheure Menge von Menschen um sich versammelt, und durch
den persönliche» Umgang mit einem Engel oder einem ähnlichen Ungethüm inspi-
rirt, die Lahmen zum Gehen, die Tauben zum Hören bringt — ich weiß nicht,
ob sie auch schon Todte auferweckt hat. Man war geneigt, die Sache als einen
Ausfluß des Pietismus und der jetzt herrschenden Reaction zu betrachten, welche
das Volk wieder in den geistlichen Schaafstall einsperren wolle. Glauben Sie
nichts davon; die kleine coquette Person ist eine raffinirte Komödiantin, die sich
, in ihrem Umgang mit dem heiligen Geist und dem Publikum, das sie zum Glau¬
ben ermahnt, ziemlich ungenirt und impertinent bewegt, und das Publikum selbst
strömt nicht aus religiöser Inbrunst oder auch uur aus dem ernstlichen Wunsch,
curirt zu werden, sondern aus simpler Kuriosität vor diese c-,«-t uuov», die ein
Heiligthum umschließt; wie ins Affentheater, in die Polkakneipe, früher vor die
Sitzungen der Singakademie, zu Franz Lißt, in die lichtfreundlichen Protestver¬
sammlungen u, s. w. Wenn ein recht fürchterlicher Jesuit einmal herkommen wollte,
er würde den ungeheuersten Zulauf haben, aber ich versichere Sie, Berlin wird
darum nicht katholisch. Adieu für heute!
SrenzboKn. I. l»«S.W
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