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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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hervorsticht und den Ministertitel bei Seite gelegt, der überhaupt seit Einrichtung
der Constitution die alte büreaukratische Legitimität verloren hat. Die Prinzen,
wie der König, gehn noch immer in Uniform, der Staat Friedrichs des Großen
will seine Färbung nicht aufgeben, trotz seiner innern Metamorphose. Ich muß
übrigens gestehen, daß in einzelnen Fällen, wo ein wirkliches Pictätsverhältniß
vorwaltet, wie bei dem einfachen und rührenden Begräbniß des edlen Prinzen
Waldemar, dieser kriegerische Anstrich sich nicht schlecht ausnimmt.

Im Uebrigen darf man sich das militärische Band, das die Hauptstadt ein¬
schnürt, nicht gar zu enge vorstellen. Mit den sentimentalen Redensarten von
dem Uebermaß der Spionage u. tgi. hat es nicht viel auf sich; die nichtsnutzige
Gassenlitcratnr ist freilich - theilweise, denn man findet noch hinlängliche Spuren
-- suspendirt, die Clubs sind geschlossen, aber in den Bierkneipen, oder wo man
sonst die Geselligkeit sucht, wird gerade so frei gesprochen, als ob es keinen Obcr-
kvmmandantcu der Marken gebe. Der einzige Unterschied gegen flüher ist, daß
mau uicht mehr schaarenweise auf den Straßen brüllt. Nichts kann ungeschickter
sein, als ein Vergleich mit dem Wiener Belagerungszustand. Man durste nur
bei dem großen Narrenfest der "Freimüthigen an'in Hut" bei Kroll gewesen sein,
um alle Besorgniß vor der Unterdrückung des freien Berlincrthums fahren zu
lasse". Zuerst treten in einer Reihe von Maskenwitzeu die sämmtlichen Stich-
wörter des Radicalismus in Scene, dann wurde ein vollständiges Drama aufge¬
führt: "I^Sisti-ne" oder der passive Widerstand, gedichtet von mehreren Gelehrten
des Kladderadatsch," in welchem der alte ehrliche Aristophanes auf eine höchst er¬
götzliche Weise ins Berlinische übersetzt war. Sie erinnern sich an den Inhalt.
Die griechischen Weiber sind des peloponnesischen Krieges überdrüssig und greifen
zu einem verzweifelten Mittel; sie versagen ihren Männern bis zum Friedensschluß
Vie ehelichen Pflichten. Die Anwendung können Sie Sich leicht vorstellen, da
Sie die Berliner kennen und Sich an einzeln? Austritte bei der Entwaffnung der
Bnrgcrwehr erinnern werden.

Ein anderes Product deS Berliner BolkswitzeS will ich Ihnen aber ausführ¬
lich geben. Seit einem Monat wird täglich ans dem Friedrichwilhelmstädtischen
Theater in der Schumauustraßc -- einem der Märzerrungenschaften -- eine poli¬
tische Posse aufgeführt: Eigenthum ist Diebstahl oder der Traum eines
rothen Republikaners. Es ist uicht ein eigentliches Vvlksthcarer, die hö¬
hern Stände halten es auch für ihre Pflicht, sich wenigstens einmal das Ding
anzusehen, und selbst der König hat seine Absicht ausgedrückt, eS zu besuchen,
worauf man in aller Eile eine künstliche Loge eingerichtet hat. Ein paar obscöne
Anspielungen auf seine Persönlichkeit wird man dann wohl weglassen. Die Idee
ist ans den Französischen. Ursprünglich hat Cham die Abneigung der Bourgeoisie
gegen die wunderlichen Einfälle des Communismus in seinen gewöhnlichen gro¬
tesken Carricaturen ausgedrückt, dann hat man ein vollständiges Vaudeville darau"


hervorsticht und den Ministertitel bei Seite gelegt, der überhaupt seit Einrichtung
der Constitution die alte büreaukratische Legitimität verloren hat. Die Prinzen,
wie der König, gehn noch immer in Uniform, der Staat Friedrichs des Großen
will seine Färbung nicht aufgeben, trotz seiner innern Metamorphose. Ich muß
übrigens gestehen, daß in einzelnen Fällen, wo ein wirkliches Pictätsverhältniß
vorwaltet, wie bei dem einfachen und rührenden Begräbniß des edlen Prinzen
Waldemar, dieser kriegerische Anstrich sich nicht schlecht ausnimmt.

Im Uebrigen darf man sich das militärische Band, das die Hauptstadt ein¬
schnürt, nicht gar zu enge vorstellen. Mit den sentimentalen Redensarten von
dem Uebermaß der Spionage u. tgi. hat es nicht viel auf sich; die nichtsnutzige
Gassenlitcratnr ist freilich - theilweise, denn man findet noch hinlängliche Spuren
— suspendirt, die Clubs sind geschlossen, aber in den Bierkneipen, oder wo man
sonst die Geselligkeit sucht, wird gerade so frei gesprochen, als ob es keinen Obcr-
kvmmandantcu der Marken gebe. Der einzige Unterschied gegen flüher ist, daß
mau uicht mehr schaarenweise auf den Straßen brüllt. Nichts kann ungeschickter
sein, als ein Vergleich mit dem Wiener Belagerungszustand. Man durste nur
bei dem großen Narrenfest der „Freimüthigen an'in Hut" bei Kroll gewesen sein,
um alle Besorgniß vor der Unterdrückung des freien Berlincrthums fahren zu
lasse». Zuerst treten in einer Reihe von Maskenwitzeu die sämmtlichen Stich-
wörter des Radicalismus in Scene, dann wurde ein vollständiges Drama aufge¬
führt: „I^Sisti-ne» oder der passive Widerstand, gedichtet von mehreren Gelehrten
des Kladderadatsch," in welchem der alte ehrliche Aristophanes auf eine höchst er¬
götzliche Weise ins Berlinische übersetzt war. Sie erinnern sich an den Inhalt.
Die griechischen Weiber sind des peloponnesischen Krieges überdrüssig und greifen
zu einem verzweifelten Mittel; sie versagen ihren Männern bis zum Friedensschluß
Vie ehelichen Pflichten. Die Anwendung können Sie Sich leicht vorstellen, da
Sie die Berliner kennen und Sich an einzeln? Austritte bei der Entwaffnung der
Bnrgcrwehr erinnern werden.

Ein anderes Product deS Berliner BolkswitzeS will ich Ihnen aber ausführ¬
lich geben. Seit einem Monat wird täglich ans dem Friedrichwilhelmstädtischen
Theater in der Schumauustraßc — einem der Märzerrungenschaften — eine poli¬
tische Posse aufgeführt: Eigenthum ist Diebstahl oder der Traum eines
rothen Republikaners. Es ist uicht ein eigentliches Vvlksthcarer, die hö¬
hern Stände halten es auch für ihre Pflicht, sich wenigstens einmal das Ding
anzusehen, und selbst der König hat seine Absicht ausgedrückt, eS zu besuchen,
worauf man in aller Eile eine künstliche Loge eingerichtet hat. Ein paar obscöne
Anspielungen auf seine Persönlichkeit wird man dann wohl weglassen. Die Idee
ist ans den Französischen. Ursprünglich hat Cham die Abneigung der Bourgeoisie
gegen die wunderlichen Einfälle des Communismus in seinen gewöhnlichen gro¬
tesken Carricaturen ausgedrückt, dann hat man ein vollständiges Vaudeville darau»


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[0474] hervorsticht und den Ministertitel bei Seite gelegt, der überhaupt seit Einrichtung der Constitution die alte büreaukratische Legitimität verloren hat. Die Prinzen, wie der König, gehn noch immer in Uniform, der Staat Friedrichs des Großen will seine Färbung nicht aufgeben, trotz seiner innern Metamorphose. Ich muß übrigens gestehen, daß in einzelnen Fällen, wo ein wirkliches Pictätsverhältniß vorwaltet, wie bei dem einfachen und rührenden Begräbniß des edlen Prinzen Waldemar, dieser kriegerische Anstrich sich nicht schlecht ausnimmt. Im Uebrigen darf man sich das militärische Band, das die Hauptstadt ein¬ schnürt, nicht gar zu enge vorstellen. Mit den sentimentalen Redensarten von dem Uebermaß der Spionage u. tgi. hat es nicht viel auf sich; die nichtsnutzige Gassenlitcratnr ist freilich - theilweise, denn man findet noch hinlängliche Spuren — suspendirt, die Clubs sind geschlossen, aber in den Bierkneipen, oder wo man sonst die Geselligkeit sucht, wird gerade so frei gesprochen, als ob es keinen Obcr- kvmmandantcu der Marken gebe. Der einzige Unterschied gegen flüher ist, daß mau uicht mehr schaarenweise auf den Straßen brüllt. Nichts kann ungeschickter sein, als ein Vergleich mit dem Wiener Belagerungszustand. Man durste nur bei dem großen Narrenfest der „Freimüthigen an'in Hut" bei Kroll gewesen sein, um alle Besorgniß vor der Unterdrückung des freien Berlincrthums fahren zu lasse». Zuerst treten in einer Reihe von Maskenwitzeu die sämmtlichen Stich- wörter des Radicalismus in Scene, dann wurde ein vollständiges Drama aufge¬ führt: „I^Sisti-ne» oder der passive Widerstand, gedichtet von mehreren Gelehrten des Kladderadatsch," in welchem der alte ehrliche Aristophanes auf eine höchst er¬ götzliche Weise ins Berlinische übersetzt war. Sie erinnern sich an den Inhalt. Die griechischen Weiber sind des peloponnesischen Krieges überdrüssig und greifen zu einem verzweifelten Mittel; sie versagen ihren Männern bis zum Friedensschluß Vie ehelichen Pflichten. Die Anwendung können Sie Sich leicht vorstellen, da Sie die Berliner kennen und Sich an einzeln? Austritte bei der Entwaffnung der Bnrgcrwehr erinnern werden. Ein anderes Product deS Berliner BolkswitzeS will ich Ihnen aber ausführ¬ lich geben. Seit einem Monat wird täglich ans dem Friedrichwilhelmstädtischen Theater in der Schumauustraßc — einem der Märzerrungenschaften — eine poli¬ tische Posse aufgeführt: Eigenthum ist Diebstahl oder der Traum eines rothen Republikaners. Es ist uicht ein eigentliches Vvlksthcarer, die hö¬ hern Stände halten es auch für ihre Pflicht, sich wenigstens einmal das Ding anzusehen, und selbst der König hat seine Absicht ausgedrückt, eS zu besuchen, worauf man in aller Eile eine künstliche Loge eingerichtet hat. Ein paar obscöne Anspielungen auf seine Persönlichkeit wird man dann wohl weglassen. Die Idee ist ans den Französischen. Ursprünglich hat Cham die Abneigung der Bourgeoisie gegen die wunderlichen Einfälle des Communismus in seinen gewöhnlichen gro¬ tesken Carricaturen ausgedrückt, dann hat man ein vollständiges Vaudeville darau»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/474>, abgerufen am 23.07.2024.