Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.dem JulWnigthnm an den Leib, weil es den Ernst des demokratischen Bewußt¬ dem JulWnigthnm an den Leib, weil es den Ernst des demokratischen Bewußt¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278025"/> <p xml:id="ID_111" prev="#ID_110" next="#ID_112"> dem JulWnigthnm an den Leib, weil es den Ernst des demokratischen Bewußt¬<lb/> seins auf frivole Weise verhöhnt, und seines Ursprungs gänzlich vergessen hatte.<lb/> Der Thron des Bürgerkönigs wurde zertrümmert — man proklamirte die demo¬<lb/> kratische Republik. So hatte denn die Leidenschaft des Pariser Volkes ein be¬<lb/> stimmtes, erfaßbares Ziel; nach den Tuillerien strömte die aufgeregte Menge. .....<lb/> Dem deutschen Volke in seiner Gesammtheit fehlte aber jene concrete, lebendige<lb/> Einheit des Interesses. Denn die Einheit Deutschlands war nur ein abstrakter,<lb/> ideeller Mittelpunkt, der dem Volke höchstens in der lyrischen Unmittelbarkeit des<lb/> Arndt'schen Vaterlandsliedes verständlich wurde, da es aber auf diese Weise das<lb/> einige Volksthum der Deutschen mit der staatlichen Einheit verwechseln mußte, so<lb/> führte diese unreflectirte Auffassung gleich vom Hanse aus ein Mißverständniß mit<lb/> sich. Weil nun das Problem, das in Deutschland zu lösen war, durchaus nicht<lb/> im Bereiche des Mutterwitzes der Massen lag, so mußte es gleich im Vorhinein<lb/> den gewiegten Staatsmännern der Nation überlassen bleiben; nud die Frankfur¬<lb/> ter Versammlung genoß im Gegensatze zu der preußischen Constituante das seltene<lb/> Glück, sich von der souveränen Ignoranz der Menge unabhängig zu erhalten,<lb/> theils, weil sie ihren Ursprung nicht geradezu von der Barrikade herleitete und<lb/> nicht dem bloßen Faustrecht der Revolution ihre Existenz zu danken hatte, theils<lb/> weil ihre Aufgabe eine vermittelte, eine formelle ist, die mit den unmittelbaren,<lb/> materiellen Wünsche» und Begierden des großen Publikums weniger zu schaffen<lb/> hat. So hat sich denn in Frankfurt eine edle wohlthätige Aristokratie der Vernunft<lb/> und Einsicht gegenüber dem eitlen Beginnen jener Democratie geltend gemacht,<lb/> welche dem Volke deu Hof machen, und ihm freilich mit Leichtigkeit deu Glaube»<lb/> an die unbedingte Weisheit der Massen beibringen. In Oestreich dagegen brachte<lb/> man für die Märzvevolution weder den Reichthum an Erfahrungen, de» die fran¬<lb/> zösische Geschichte darbietet, noch auch deu ausgiebigen Fond der Bildung mit,<lb/> der in Deutschland schon so lange bereit gelegen. Vielmehr lag der östreichischen<lb/> Bewegung nur das alte quälende Bewußtsein von dem Misere der öffentlichen<lb/> Zustände, und das unbestimmte Verlangen, daß es besser werden müsse, zu Grunde;<lb/> ohne daß man sich jedoch bei der scheinbar unüberwindliche» Festigkeit des Be¬<lb/> stehenden die Mühe gegeben hätte, jene Wünsche aus ihrer träumerischen Unbe¬<lb/> stimmtheit zu erlösen, und ihnen eine genauere Fassung zu geben. Frankreich gilt<lb/> in der ganzen neuern Geschichte als der eigentlich vulkanische Boden, wo die<lb/> Gesellschaft unter gewaltigen Erschütterungen sich emporwirft, und in wilder Be¬<lb/> wegung eine vernünftige Form ihrer Existenz, in dithyrambischer Ueberspanntheit<lb/> einen ihr zusagenden Rhythmus sucht. Paris liegt wie Neapel am Fuße eines<lb/> Vesuvs; es ist der Montmartre, den zwar kein Naturforscher, wohl aber der Hi¬<lb/> storiker als Vulkan gelten lassen wird. Während in Frankreich von jeher das<lb/> Volk zunächst darauf angewiesen war, durch Erfahrung klug zu werden: so ging<lb/> in Deutschland gleich im Anfange der Kampf dahin, daß die vernünftige Einsicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
dem JulWnigthnm an den Leib, weil es den Ernst des demokratischen Bewußt¬
seins auf frivole Weise verhöhnt, und seines Ursprungs gänzlich vergessen hatte.
Der Thron des Bürgerkönigs wurde zertrümmert — man proklamirte die demo¬
kratische Republik. So hatte denn die Leidenschaft des Pariser Volkes ein be¬
stimmtes, erfaßbares Ziel; nach den Tuillerien strömte die aufgeregte Menge. .....
Dem deutschen Volke in seiner Gesammtheit fehlte aber jene concrete, lebendige
Einheit des Interesses. Denn die Einheit Deutschlands war nur ein abstrakter,
ideeller Mittelpunkt, der dem Volke höchstens in der lyrischen Unmittelbarkeit des
Arndt'schen Vaterlandsliedes verständlich wurde, da es aber auf diese Weise das
einige Volksthum der Deutschen mit der staatlichen Einheit verwechseln mußte, so
führte diese unreflectirte Auffassung gleich vom Hanse aus ein Mißverständniß mit
sich. Weil nun das Problem, das in Deutschland zu lösen war, durchaus nicht
im Bereiche des Mutterwitzes der Massen lag, so mußte es gleich im Vorhinein
den gewiegten Staatsmännern der Nation überlassen bleiben; nud die Frankfur¬
ter Versammlung genoß im Gegensatze zu der preußischen Constituante das seltene
Glück, sich von der souveränen Ignoranz der Menge unabhängig zu erhalten,
theils, weil sie ihren Ursprung nicht geradezu von der Barrikade herleitete und
nicht dem bloßen Faustrecht der Revolution ihre Existenz zu danken hatte, theils
weil ihre Aufgabe eine vermittelte, eine formelle ist, die mit den unmittelbaren,
materiellen Wünsche» und Begierden des großen Publikums weniger zu schaffen
hat. So hat sich denn in Frankfurt eine edle wohlthätige Aristokratie der Vernunft
und Einsicht gegenüber dem eitlen Beginnen jener Democratie geltend gemacht,
welche dem Volke deu Hof machen, und ihm freilich mit Leichtigkeit deu Glaube»
an die unbedingte Weisheit der Massen beibringen. In Oestreich dagegen brachte
man für die Märzvevolution weder den Reichthum an Erfahrungen, de» die fran¬
zösische Geschichte darbietet, noch auch deu ausgiebigen Fond der Bildung mit,
der in Deutschland schon so lange bereit gelegen. Vielmehr lag der östreichischen
Bewegung nur das alte quälende Bewußtsein von dem Misere der öffentlichen
Zustände, und das unbestimmte Verlangen, daß es besser werden müsse, zu Grunde;
ohne daß man sich jedoch bei der scheinbar unüberwindliche» Festigkeit des Be¬
stehenden die Mühe gegeben hätte, jene Wünsche aus ihrer träumerischen Unbe¬
stimmtheit zu erlösen, und ihnen eine genauere Fassung zu geben. Frankreich gilt
in der ganzen neuern Geschichte als der eigentlich vulkanische Boden, wo die
Gesellschaft unter gewaltigen Erschütterungen sich emporwirft, und in wilder Be¬
wegung eine vernünftige Form ihrer Existenz, in dithyrambischer Ueberspanntheit
einen ihr zusagenden Rhythmus sucht. Paris liegt wie Neapel am Fuße eines
Vesuvs; es ist der Montmartre, den zwar kein Naturforscher, wohl aber der Hi¬
storiker als Vulkan gelten lassen wird. Während in Frankreich von jeher das
Volk zunächst darauf angewiesen war, durch Erfahrung klug zu werden: so ging
in Deutschland gleich im Anfange der Kampf dahin, daß die vernünftige Einsicht
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