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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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beiden Gewalten zu vermitteln und vorbereitend anzuknüpfen. Ein weiteres aber
untergeordnetes Organ für diesen Zweck wären die Regierungsbevollmächtigter.

Wir können die Ansichten und Befürchtungen Derer nicht theilen, welche in
einem solchen Ausgang des deutschen Verfassungswerkes nur das t-tit üccoinpli
einer gescheiterten, oder, wie man sich ausgedrückt bat, abortirten Revolution
sehen. Es ist verdientermaßen selten, daß ein großes Resultat durch einen stür¬
mischen, unklaren Anlauf erreicht oder vielmehr anticipirt wird; denn wirklich er¬
reichen lassen sich politische Gestaltungen für alle Ewigkeit nur durch geduldige
Arbeit und Ausdauer. Wenn wirklich eine allgemeine Blasirtheit die Folge da¬
von sein sollte, daß das große Ziel der dentschen Einheit nicht in dem gewaltigen
Anlauf dieses Jahres mit einem Male erkämpft worden, so gestehen wir nur, daß
die deutsche Zukunft hoffnungslos ist. Aber wer berechtigt uns zu dieser Befürch¬
tung? Unsere Pflicht ist, unermüdlich die Keime der Einheit zu pflegen und die
öffentliche Meinung über das, was unmittelbar dringlich und möglich ist, aufzu¬
klären. Von dem Siege jenes Enthusiasmus, der alle ungeebneten Verhältnisse
mit einem Male überströmen möchte, ist gar nicht die Rede. Die Einheit muß
mit diesen Verhältnissen kämpfen, so wie so. ES fragt sich nur, welche Basis
günstiger ist, ob die der formell schon begründeten, strengeren Einheit mit dem
Nachdruck Preußens, oder die leichtere Föderativsorm. Im letzteren Falle würde
das Werk der Einheit mit langsamen, aber unaufhaltsamen Gange fortschreiten
und jeder weitere Schritt wurde auf einem einzelnen klar erkannten, unabweisba¬
ren Bedürfniß berufen. Der Inhalt der Einheit würde Stück für Stück erobert,
während der jetzige Einheitsdrang auf der unbestimmten Vorstellung unserer allge¬
meinen Aufgabe beruht.

Deutschland würde so nach und nach doch zu einer parlamentarischen Regie¬
rung gelangen, wenn mau will, vielleicht zu einer republikanischen Form. Nur
darf man republikanisch in diesem Sinn nicht verwechseln mit der augenblicklich ge¬
rechtfertigten Bedeutung dieses Wortes, wo Republikaner nichts bedeutet als Jn-
dustrieritter und Unmündige, die von jenen am Narrenseil gezogen werden.

Die deutsche Einheit wäre dann nur noch eine Aufgabe der innern Entwickelung,
denn nach Außen läßt sich schon bei der leichteren Form der Einheit eine gemein¬
same Vertretung und eine Kriegsverfassung denken, welche Deutschland vor Erobe¬
rung sicher stellt. Das Letztere ist die Aussage einer so gewichtigen Autorität, wie
Radowitz.

Hinderlicher ist die mangelnde volle Einheit, wenn Deutschland in der äußern
Politik eine aktive Rolle spielen soll. Allein die Hauptaufgabe einer activen deut¬
schen Politik, die Ausbreitung der deutschen Macht nach Osten fällt Oestreich zu
und für andere Fälle wird das parlamentarische Leben Staatsmänner hervorbrin¬
gen, die im rechten Moment die Nation anch ohne die Handhabe einer einfachen
Form fortzureißen verstehen.


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beiden Gewalten zu vermitteln und vorbereitend anzuknüpfen. Ein weiteres aber
untergeordnetes Organ für diesen Zweck wären die Regierungsbevollmächtigter.

Wir können die Ansichten und Befürchtungen Derer nicht theilen, welche in
einem solchen Ausgang des deutschen Verfassungswerkes nur das t-tit üccoinpli
einer gescheiterten, oder, wie man sich ausgedrückt bat, abortirten Revolution
sehen. Es ist verdientermaßen selten, daß ein großes Resultat durch einen stür¬
mischen, unklaren Anlauf erreicht oder vielmehr anticipirt wird; denn wirklich er¬
reichen lassen sich politische Gestaltungen für alle Ewigkeit nur durch geduldige
Arbeit und Ausdauer. Wenn wirklich eine allgemeine Blasirtheit die Folge da¬
von sein sollte, daß das große Ziel der dentschen Einheit nicht in dem gewaltigen
Anlauf dieses Jahres mit einem Male erkämpft worden, so gestehen wir nur, daß
die deutsche Zukunft hoffnungslos ist. Aber wer berechtigt uns zu dieser Befürch¬
tung? Unsere Pflicht ist, unermüdlich die Keime der Einheit zu pflegen und die
öffentliche Meinung über das, was unmittelbar dringlich und möglich ist, aufzu¬
klären. Von dem Siege jenes Enthusiasmus, der alle ungeebneten Verhältnisse
mit einem Male überströmen möchte, ist gar nicht die Rede. Die Einheit muß
mit diesen Verhältnissen kämpfen, so wie so. ES fragt sich nur, welche Basis
günstiger ist, ob die der formell schon begründeten, strengeren Einheit mit dem
Nachdruck Preußens, oder die leichtere Föderativsorm. Im letzteren Falle würde
das Werk der Einheit mit langsamen, aber unaufhaltsamen Gange fortschreiten
und jeder weitere Schritt wurde auf einem einzelnen klar erkannten, unabweisba¬
ren Bedürfniß berufen. Der Inhalt der Einheit würde Stück für Stück erobert,
während der jetzige Einheitsdrang auf der unbestimmten Vorstellung unserer allge¬
meinen Aufgabe beruht.

Deutschland würde so nach und nach doch zu einer parlamentarischen Regie¬
rung gelangen, wenn mau will, vielleicht zu einer republikanischen Form. Nur
darf man republikanisch in diesem Sinn nicht verwechseln mit der augenblicklich ge¬
rechtfertigten Bedeutung dieses Wortes, wo Republikaner nichts bedeutet als Jn-
dustrieritter und Unmündige, die von jenen am Narrenseil gezogen werden.

Die deutsche Einheit wäre dann nur noch eine Aufgabe der innern Entwickelung,
denn nach Außen läßt sich schon bei der leichteren Form der Einheit eine gemein¬
same Vertretung und eine Kriegsverfassung denken, welche Deutschland vor Erobe¬
rung sicher stellt. Das Letztere ist die Aussage einer so gewichtigen Autorität, wie
Radowitz.

Hinderlicher ist die mangelnde volle Einheit, wenn Deutschland in der äußern
Politik eine aktive Rolle spielen soll. Allein die Hauptaufgabe einer activen deut¬
schen Politik, die Ausbreitung der deutschen Macht nach Osten fällt Oestreich zu
und für andere Fälle wird das parlamentarische Leben Staatsmänner hervorbrin¬
gen, die im rechten Moment die Nation anch ohne die Handhabe einer einfachen
Form fortzureißen verstehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/35>, abgerufen am 23.07.2024.