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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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sein Mißtrauen äußerte, hatte sie gewonnen. Entschiedene Anhänger der gesetzlichen
Ordnung, wurden sie doch durch den Schwindel des immer wachsenden Mißtrauens ge¬
gen die Reaction theilweise zu dem extremen Schritt der Steuerverweigerung verleitet.

Die eigentlichen Iiomines novi von parlamentarischem Talent saßen im linken
Centrum; es war die Partei Odillon Barrot, die sich bei dem ewigen Frieden
ennuyirt, die das Volk aufruft, um nur ein geeignetes Feld für ihre Thätigkeit
zu gewinnen, die allenfalls Reformbanquette provocirt, aber schwerlich sich dazu
entschließen wird, mit kühner Hand sich auf das ungesattelte Roß der Revolution
zu schwingen. Sie gehörten zum großen Theil den gebildeten Ständen an, und
konnten daher in einer fortgesetzten Anarchie ihre Rechnung nicht finden, aber sie
hatten den Uebermuth, mit ihr zu spielen.

Die stürmische Atmosphäre von Berlin und das miasmatisch sich fortpflanzende
Mißtrauen gegen jeden Schritt der Krone verschmolzen mit der Zeit diese hetero¬
genen Elemente in eine compacte Masse, aus der uur ein kleiner Theil der ehe¬
maligen Rechten sich ausschied. Zuletzt handelte sie in einem gewissen Schwindel,
man fragte nicht mehr wohin geht es? sondern nur immer vorwärts! bis hart an
dem Abgrund der wieder sich öffnenden Revolution ein Machtspruch ihr Einhalt gebot.

Es wäre nun ein höchst gefährlicher Irrthum, wenn man glauben wollte,
daß die Männer, welche jener Masse angehörten, heute noch bei ganz veränderter
Sachlage ans demselben Standpunkt sich finden müßten. Jenes Mißtrauen hat
keinen Inhalt mehr; es liegen Thatsachen vor, über die man ein Urtheil wird
fällen müssen. Es falle nun aus wie es wolle, zur Leidenschaft ist kein Grund
mehr vorhanden. Am schlimmsten wäre es aber, wenn jene Männer es ihrer
Ehre schuldig glaubten, in jene Stimmung, die im Rausch natürlich war, sich
jetzt künstlich wieder hineinforciren zu müssen. --

Mustern wir die Streitkräfte der neuen Kammer, so sehen wir uns zunächst
vergebens nach mehreren Namen um, die in der bisherigen Geschichte unserer
parlamentarischen Entwickelung vorangelenchtet haben. Das ist um so schlimmer,
da in der conservativen Partei nur wenig Doppelwahlcn sind -- ich zähle sechs
-- da ferner die zweite Kammer voraussichtlich der eigentliche Kampfschauplatz sein
wird. Ich setze daher beiläufig voraus, daß diejenigen uuter unsern Notabilitäten
(Gr. Am im, Vincke, Botel schwing!) n. s. w>), welche vielleicht für beide Kam¬
mern gewählt werden, unter allen Umständen die Wahl für die zweite vorziehn.
Wo anders aber, als in Deutschland, könnte es vorkommen, daß Männer wie
CampHausen und Hansemann in der Zahl der Deputirten fehlen! Camp¬
hausen ist bis jetzt nebst Vincke der vorzüglichste Repräsentant derjenigen Richtung
der preußischen Politik, welche ich nach der englischen Analogie mit dem Namen
der Whiggistischen bezeichnet habe; er hat in den alten Provincialständen, im
vereinigten Landtag, in den Ausschüssen, in dem deutschen Wechselcongreß, dann
am Ministertisch und vor der Constituante, endlich bei der deutscheu Centralgewalt,


Vrenjtoten. I. Isis. Z9

sein Mißtrauen äußerte, hatte sie gewonnen. Entschiedene Anhänger der gesetzlichen
Ordnung, wurden sie doch durch den Schwindel des immer wachsenden Mißtrauens ge¬
gen die Reaction theilweise zu dem extremen Schritt der Steuerverweigerung verleitet.

Die eigentlichen Iiomines novi von parlamentarischem Talent saßen im linken
Centrum; es war die Partei Odillon Barrot, die sich bei dem ewigen Frieden
ennuyirt, die das Volk aufruft, um nur ein geeignetes Feld für ihre Thätigkeit
zu gewinnen, die allenfalls Reformbanquette provocirt, aber schwerlich sich dazu
entschließen wird, mit kühner Hand sich auf das ungesattelte Roß der Revolution
zu schwingen. Sie gehörten zum großen Theil den gebildeten Ständen an, und
konnten daher in einer fortgesetzten Anarchie ihre Rechnung nicht finden, aber sie
hatten den Uebermuth, mit ihr zu spielen.

Die stürmische Atmosphäre von Berlin und das miasmatisch sich fortpflanzende
Mißtrauen gegen jeden Schritt der Krone verschmolzen mit der Zeit diese hetero¬
genen Elemente in eine compacte Masse, aus der uur ein kleiner Theil der ehe¬
maligen Rechten sich ausschied. Zuletzt handelte sie in einem gewissen Schwindel,
man fragte nicht mehr wohin geht es? sondern nur immer vorwärts! bis hart an
dem Abgrund der wieder sich öffnenden Revolution ein Machtspruch ihr Einhalt gebot.

Es wäre nun ein höchst gefährlicher Irrthum, wenn man glauben wollte,
daß die Männer, welche jener Masse angehörten, heute noch bei ganz veränderter
Sachlage ans demselben Standpunkt sich finden müßten. Jenes Mißtrauen hat
keinen Inhalt mehr; es liegen Thatsachen vor, über die man ein Urtheil wird
fällen müssen. Es falle nun aus wie es wolle, zur Leidenschaft ist kein Grund
mehr vorhanden. Am schlimmsten wäre es aber, wenn jene Männer es ihrer
Ehre schuldig glaubten, in jene Stimmung, die im Rausch natürlich war, sich
jetzt künstlich wieder hineinforciren zu müssen. —

Mustern wir die Streitkräfte der neuen Kammer, so sehen wir uns zunächst
vergebens nach mehreren Namen um, die in der bisherigen Geschichte unserer
parlamentarischen Entwickelung vorangelenchtet haben. Das ist um so schlimmer,
da in der conservativen Partei nur wenig Doppelwahlcn sind — ich zähle sechs
— da ferner die zweite Kammer voraussichtlich der eigentliche Kampfschauplatz sein
wird. Ich setze daher beiläufig voraus, daß diejenigen uuter unsern Notabilitäten
(Gr. Am im, Vincke, Botel schwing!) n. s. w>), welche vielleicht für beide Kam¬
mern gewählt werden, unter allen Umständen die Wahl für die zweite vorziehn.
Wo anders aber, als in Deutschland, könnte es vorkommen, daß Männer wie
CampHausen und Hansemann in der Zahl der Deputirten fehlen! Camp¬
hausen ist bis jetzt nebst Vincke der vorzüglichste Repräsentant derjenigen Richtung
der preußischen Politik, welche ich nach der englischen Analogie mit dem Namen
der Whiggistischen bezeichnet habe; er hat in den alten Provincialständen, im
vereinigten Landtag, in den Ausschüssen, in dem deutschen Wechselcongreß, dann
am Ministertisch und vor der Constituante, endlich bei der deutscheu Centralgewalt,


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[0313] sein Mißtrauen äußerte, hatte sie gewonnen. Entschiedene Anhänger der gesetzlichen Ordnung, wurden sie doch durch den Schwindel des immer wachsenden Mißtrauens ge¬ gen die Reaction theilweise zu dem extremen Schritt der Steuerverweigerung verleitet. Die eigentlichen Iiomines novi von parlamentarischem Talent saßen im linken Centrum; es war die Partei Odillon Barrot, die sich bei dem ewigen Frieden ennuyirt, die das Volk aufruft, um nur ein geeignetes Feld für ihre Thätigkeit zu gewinnen, die allenfalls Reformbanquette provocirt, aber schwerlich sich dazu entschließen wird, mit kühner Hand sich auf das ungesattelte Roß der Revolution zu schwingen. Sie gehörten zum großen Theil den gebildeten Ständen an, und konnten daher in einer fortgesetzten Anarchie ihre Rechnung nicht finden, aber sie hatten den Uebermuth, mit ihr zu spielen. Die stürmische Atmosphäre von Berlin und das miasmatisch sich fortpflanzende Mißtrauen gegen jeden Schritt der Krone verschmolzen mit der Zeit diese hetero¬ genen Elemente in eine compacte Masse, aus der uur ein kleiner Theil der ehe¬ maligen Rechten sich ausschied. Zuletzt handelte sie in einem gewissen Schwindel, man fragte nicht mehr wohin geht es? sondern nur immer vorwärts! bis hart an dem Abgrund der wieder sich öffnenden Revolution ein Machtspruch ihr Einhalt gebot. Es wäre nun ein höchst gefährlicher Irrthum, wenn man glauben wollte, daß die Männer, welche jener Masse angehörten, heute noch bei ganz veränderter Sachlage ans demselben Standpunkt sich finden müßten. Jenes Mißtrauen hat keinen Inhalt mehr; es liegen Thatsachen vor, über die man ein Urtheil wird fällen müssen. Es falle nun aus wie es wolle, zur Leidenschaft ist kein Grund mehr vorhanden. Am schlimmsten wäre es aber, wenn jene Männer es ihrer Ehre schuldig glaubten, in jene Stimmung, die im Rausch natürlich war, sich jetzt künstlich wieder hineinforciren zu müssen. — Mustern wir die Streitkräfte der neuen Kammer, so sehen wir uns zunächst vergebens nach mehreren Namen um, die in der bisherigen Geschichte unserer parlamentarischen Entwickelung vorangelenchtet haben. Das ist um so schlimmer, da in der conservativen Partei nur wenig Doppelwahlcn sind — ich zähle sechs — da ferner die zweite Kammer voraussichtlich der eigentliche Kampfschauplatz sein wird. Ich setze daher beiläufig voraus, daß diejenigen uuter unsern Notabilitäten (Gr. Am im, Vincke, Botel schwing!) n. s. w>), welche vielleicht für beide Kam¬ mern gewählt werden, unter allen Umständen die Wahl für die zweite vorziehn. Wo anders aber, als in Deutschland, könnte es vorkommen, daß Männer wie CampHausen und Hansemann in der Zahl der Deputirten fehlen! Camp¬ hausen ist bis jetzt nebst Vincke der vorzüglichste Repräsentant derjenigen Richtung der preußischen Politik, welche ich nach der englischen Analogie mit dem Namen der Whiggistischen bezeichnet habe; er hat in den alten Provincialständen, im vereinigten Landtag, in den Ausschüssen, in dem deutschen Wechselcongreß, dann am Ministertisch und vor der Constituante, endlich bei der deutscheu Centralgewalt, Vrenjtoten. I. Isis. Z9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/313>, abgerufen am 23.07.2024.