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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der in ihr dominirte, nicht anders fassen kann, die schlechthin thun konnte, wozu
sie irgend Lust hatte! Was hals es, wenn ihr von conservativer Seite die Ver-
einbarungstheorie entgegengehalten wurde? Wie sollen sich zwei Mächte verein¬
baren, die Verschiedenes wollen? Der Schwächere muß nachgeben. Herr v. Berg,
der geistreichste unter den politischen Aventuriers, die in dieser Versammlung den
Ton angeben, hat das ganz allerliebst ausgedrückt. "Das Volk hat eiuen Krieg
gegen die Krone geführt; es hat ihm beliebt, einen Waffenstillstand zu schließen,
und wir sind dazu da, die Friedensbedingungen zu formuliren. Erfüllen wir un¬
sere Aufgabe! geht die Krone auf unsere Bedingungen ein, t-uit mivux! wo nicht,
so ist der Waffenstillstand aufgehoben, und Glück und Zufall mögen dann ent¬
scheiden!" Ein Franzose hätte nicht einfacher sein können: rechts Krone, links
Volk; die Constituante mit der Friedensfahne in der Mitte, weist man sie zurück,
dann donet, ihr Fanfaren des Kriegs!

Die Praxis ist nicht so einfach: dafür waren die Folgen der Steuerverwei-
gerung der Prüfstein. Es zeigte sich, daß nicht das ganze Volk links stand.

Aber neben der Aufgabe, auf leerem Raum das lustige Schoß der neuen
Verfassung aufzubauen, stand noch die zweite: bei den laufenden Staatsgeschäften
-- denn der Gang dieses Uhrwerks kehrte sich nicht an die Fiction eines inhalt¬
losen Provisoriums -- thun, als sei das neue Gebäude bereits fertig, und man
habe sich nnr einzurichten. Die nöthigen Gesetze mußten erlassen, die Verwaltung
mußte controllirt werden. Auf eignen Kopf konnte die Krone nicht mehr handeln,
denn man hatte die Abschaffung des Absolutismus "auf den Barrikaden" decretirt;
die ständischen Institutionen, durch welche das neue constitutionelle Staatsleben
vermittelt werden sollte, waren noch nicht vorhanden, und so sah sich die Ver¬
sammlung in der üblen Lage, sich zugleich constituirend und constituirt verhalten
zu müssen. Als Constituante hatte sie nicht das mindeste Recht zur ständischen
Mitwirkung bei Regierungshandlungen; stattfinden sollte aber diese Mitwirkung,
und wem sollte man sie anders übertragen, als ihr? Sie hatte nicht Schuld
daran, daß man sie berufen hatte, die Welt wieder in ihre Fugen einzurenken!

Und nun, was für Kräfte brachte sie mit, um diese tragische Aufgabe zu
lösen? Es wäre jämmerlich mit dem "Staat der Intelligenz" beschaffen gewesen,
wenn diese Versammlung seinen Mikrokosmus hätte vorstellen sollen. Wenn wir
nicht jetzt die sächsischen Kammern vor uus hätten, so würde ich sagen, daß,noch
nie eine politische Versammlung das Bild einer so vollendeten Hilflosigkeit gewesen
wäre. Aber wie hätte es anders sein sollen! Wenigstens neun Zehntel der Wähler
hatten auch nicht die leiseste Ahnung davon, um was es sich eigentlich handelte.
Wen sollten sie nun wählen? Von dem bisherigen Staatsleben hatte man nichts
erfahren, Namen von Autorität waren nicht vorhanden, wenn mau die Paar vom ver¬
einigten Landtag ausnahm, und diese wurden noch zum großen Theil von der Pauls¬
kirche absorbirt, also die "Wühler," d. h. diejenigen Kreise, welche von der Bewe-


der in ihr dominirte, nicht anders fassen kann, die schlechthin thun konnte, wozu
sie irgend Lust hatte! Was hals es, wenn ihr von conservativer Seite die Ver-
einbarungstheorie entgegengehalten wurde? Wie sollen sich zwei Mächte verein¬
baren, die Verschiedenes wollen? Der Schwächere muß nachgeben. Herr v. Berg,
der geistreichste unter den politischen Aventuriers, die in dieser Versammlung den
Ton angeben, hat das ganz allerliebst ausgedrückt. „Das Volk hat eiuen Krieg
gegen die Krone geführt; es hat ihm beliebt, einen Waffenstillstand zu schließen,
und wir sind dazu da, die Friedensbedingungen zu formuliren. Erfüllen wir un¬
sere Aufgabe! geht die Krone auf unsere Bedingungen ein, t-uit mivux! wo nicht,
so ist der Waffenstillstand aufgehoben, und Glück und Zufall mögen dann ent¬
scheiden!" Ein Franzose hätte nicht einfacher sein können: rechts Krone, links
Volk; die Constituante mit der Friedensfahne in der Mitte, weist man sie zurück,
dann donet, ihr Fanfaren des Kriegs!

Die Praxis ist nicht so einfach: dafür waren die Folgen der Steuerverwei-
gerung der Prüfstein. Es zeigte sich, daß nicht das ganze Volk links stand.

Aber neben der Aufgabe, auf leerem Raum das lustige Schoß der neuen
Verfassung aufzubauen, stand noch die zweite: bei den laufenden Staatsgeschäften
— denn der Gang dieses Uhrwerks kehrte sich nicht an die Fiction eines inhalt¬
losen Provisoriums — thun, als sei das neue Gebäude bereits fertig, und man
habe sich nnr einzurichten. Die nöthigen Gesetze mußten erlassen, die Verwaltung
mußte controllirt werden. Auf eignen Kopf konnte die Krone nicht mehr handeln,
denn man hatte die Abschaffung des Absolutismus „auf den Barrikaden" decretirt;
die ständischen Institutionen, durch welche das neue constitutionelle Staatsleben
vermittelt werden sollte, waren noch nicht vorhanden, und so sah sich die Ver¬
sammlung in der üblen Lage, sich zugleich constituirend und constituirt verhalten
zu müssen. Als Constituante hatte sie nicht das mindeste Recht zur ständischen
Mitwirkung bei Regierungshandlungen; stattfinden sollte aber diese Mitwirkung,
und wem sollte man sie anders übertragen, als ihr? Sie hatte nicht Schuld
daran, daß man sie berufen hatte, die Welt wieder in ihre Fugen einzurenken!

Und nun, was für Kräfte brachte sie mit, um diese tragische Aufgabe zu
lösen? Es wäre jämmerlich mit dem „Staat der Intelligenz" beschaffen gewesen,
wenn diese Versammlung seinen Mikrokosmus hätte vorstellen sollen. Wenn wir
nicht jetzt die sächsischen Kammern vor uus hätten, so würde ich sagen, daß,noch
nie eine politische Versammlung das Bild einer so vollendeten Hilflosigkeit gewesen
wäre. Aber wie hätte es anders sein sollen! Wenigstens neun Zehntel der Wähler
hatten auch nicht die leiseste Ahnung davon, um was es sich eigentlich handelte.
Wen sollten sie nun wählen? Von dem bisherigen Staatsleben hatte man nichts
erfahren, Namen von Autorität waren nicht vorhanden, wenn mau die Paar vom ver¬
einigten Landtag ausnahm, und diese wurden noch zum großen Theil von der Pauls¬
kirche absorbirt, also die „Wühler," d. h. diejenigen Kreise, welche von der Bewe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/311>, abgerufen am 22.12.2024.