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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Wald.

Dieser Schmerz dauert mich, mein Fräulein, er macht Ihrem Her¬

zen Ehre.

Nicht auf mich kommt es an, und was ich flehte. Der Knabe,


Gertr.

Ihr Sohn, sein Glück ist es, um das ich sorge. Ist die Fürstin eine gute Frau?

Sie ist gütig, wo sie liebt.


Wald.
Gertr.

Wird sie den Kleinen lieben, für sein Gedeihen sorgen, ihn selbst

lehren, was Recht und Unrecht ist?

Ich hoffe, sie wird es.


Wald.
Gertr.

Aber seine Zukunft? Es ist ein Unglück für verlaßne Kinder von

reichen Leuten erzogen zu werden. Sie lernen viel gebrauchen und viel sür sich
fordern, und wenn ein Zufall ihnen die künstlichen Stützen nimmt, so stehen sie
schwach und kränklich, und jeder Windstoß zerbricht sie. -- Will die gnädige Frau
das Kind als ihr eignes annehmen und dafür sorgen, daß seine spätere Zukunft
so prächtig wird, wie seine Erziehung?


Wald.

Das, mein Fräulein, weiß ich nicht.

O dann erbarmen Sie sich des Kindes, erbarmen Sie sich meiner,


Gertr.

und verschenken Sie den Hans nicht. Sehen Sie ihn an, er ist gesund an Leib
und Seele, er ist gewiß noch sehr unwissend, aber er hat ein gutes Gefühl für
Alles, was brav und schön ist. Lassen Sie den Knaben mir; wenn er so fort¬
wächst, Sie können aus ihm machen was Sie wollen, er wird keinem Stand Un-
ehre bringen, er wird fröhlich, er wird arbeitsam sein, er wird sich mit Wenigem
begnügen, o lassen Sie den Knaben mir! -- Ich will ihn noch sorgsamer Pflegen,
seine Lehrstunden will ich verdoppeln, damit er schneller vorwärts kommt, denn
es ist wahr, im Schreiben ist er noch zurück, aber er rechnet schon gut. --
Ich will ihn auch recht sauber und zierlich kleiden, wenn Ihnen das Freude
macht, aber ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen lieb ist, lassen Sie den Kna¬
ben mir.


Wald.

Sie vergessen, Fräulein, daß ich jetzt die Pflicht habe, nach mei¬

ner Einsicht über den Knaben zu bestimmen.


Gertr.
(sich abwendend).

Ja, Sie sind sein Vater, und ich -- bin seine

Mutter nicht.


Wald.

Wenn ich hier störrig bleibe, so verfluchen mich alle Geschöpfe, die

jemals Vater- und Mnttergcfühle verspürt haben. In allen Ammenmährchen werde
ich als Oger, als Ungeheuer eingeführt, die Sperlinge auf der Straße hacken in
mich herein, und die Katzen ringen unter den Backöfen weinend die Pfoten über meine
Ruchlosigkeit. -- Ich muß ihr den Knaben lassen, das ist klar.--Mein Fräu¬
lein, Sie empfinden sehr warm für das Kind fremden Leichtsinns.


Gertr.

Es ist mir nicht fremd, es ist verwachsen mit meinem Leben. --

(finster)
Wann sollen wir Ihren Sohn der Dame übergeben?

Nein, bei Gott, Sie sollen ihn behalten. Ich wäre das, wofür


Wald.
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Wald.

Dieser Schmerz dauert mich, mein Fräulein, er macht Ihrem Her¬

zen Ehre.

Nicht auf mich kommt es an, und was ich flehte. Der Knabe,


Gertr.

Ihr Sohn, sein Glück ist es, um das ich sorge. Ist die Fürstin eine gute Frau?

Sie ist gütig, wo sie liebt.


Wald.
Gertr.

Wird sie den Kleinen lieben, für sein Gedeihen sorgen, ihn selbst

lehren, was Recht und Unrecht ist?

Ich hoffe, sie wird es.


Wald.
Gertr.

Aber seine Zukunft? Es ist ein Unglück für verlaßne Kinder von

reichen Leuten erzogen zu werden. Sie lernen viel gebrauchen und viel sür sich
fordern, und wenn ein Zufall ihnen die künstlichen Stützen nimmt, so stehen sie
schwach und kränklich, und jeder Windstoß zerbricht sie. — Will die gnädige Frau
das Kind als ihr eignes annehmen und dafür sorgen, daß seine spätere Zukunft
so prächtig wird, wie seine Erziehung?


Wald.

Das, mein Fräulein, weiß ich nicht.

O dann erbarmen Sie sich des Kindes, erbarmen Sie sich meiner,


Gertr.

und verschenken Sie den Hans nicht. Sehen Sie ihn an, er ist gesund an Leib
und Seele, er ist gewiß noch sehr unwissend, aber er hat ein gutes Gefühl für
Alles, was brav und schön ist. Lassen Sie den Knaben mir; wenn er so fort¬
wächst, Sie können aus ihm machen was Sie wollen, er wird keinem Stand Un-
ehre bringen, er wird fröhlich, er wird arbeitsam sein, er wird sich mit Wenigem
begnügen, o lassen Sie den Knaben mir! — Ich will ihn noch sorgsamer Pflegen,
seine Lehrstunden will ich verdoppeln, damit er schneller vorwärts kommt, denn
es ist wahr, im Schreiben ist er noch zurück, aber er rechnet schon gut. —
Ich will ihn auch recht sauber und zierlich kleiden, wenn Ihnen das Freude
macht, aber ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen lieb ist, lassen Sie den Kna¬
ben mir.


Wald.

Sie vergessen, Fräulein, daß ich jetzt die Pflicht habe, nach mei¬

ner Einsicht über den Knaben zu bestimmen.


Gertr.
(sich abwendend).

Ja, Sie sind sein Vater, und ich — bin seine

Mutter nicht.


Wald.

Wenn ich hier störrig bleibe, so verfluchen mich alle Geschöpfe, die

jemals Vater- und Mnttergcfühle verspürt haben. In allen Ammenmährchen werde
ich als Oger, als Ungeheuer eingeführt, die Sperlinge auf der Straße hacken in
mich herein, und die Katzen ringen unter den Backöfen weinend die Pfoten über meine
Ruchlosigkeit. — Ich muß ihr den Knaben lassen, das ist klar.--Mein Fräu¬
lein, Sie empfinden sehr warm für das Kind fremden Leichtsinns.


Gertr.

Es ist mir nicht fremd, es ist verwachsen mit meinem Leben. —

(finster)
Wann sollen wir Ihren Sohn der Dame übergeben?

Nein, bei Gott, Sie sollen ihn behalten. Ich wäre das, wofür


Wald.
37*
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[0299] Wald. Dieser Schmerz dauert mich, mein Fräulein, er macht Ihrem Her¬ zen Ehre. Nicht auf mich kommt es an, und was ich flehte. Der Knabe, Gertr. Ihr Sohn, sein Glück ist es, um das ich sorge. Ist die Fürstin eine gute Frau? Sie ist gütig, wo sie liebt. Wald. Gertr. Wird sie den Kleinen lieben, für sein Gedeihen sorgen, ihn selbst lehren, was Recht und Unrecht ist? Ich hoffe, sie wird es. Wald. Gertr. Aber seine Zukunft? Es ist ein Unglück für verlaßne Kinder von reichen Leuten erzogen zu werden. Sie lernen viel gebrauchen und viel sür sich fordern, und wenn ein Zufall ihnen die künstlichen Stützen nimmt, so stehen sie schwach und kränklich, und jeder Windstoß zerbricht sie. — Will die gnädige Frau das Kind als ihr eignes annehmen und dafür sorgen, daß seine spätere Zukunft so prächtig wird, wie seine Erziehung? Wald. Das, mein Fräulein, weiß ich nicht. O dann erbarmen Sie sich des Kindes, erbarmen Sie sich meiner, Gertr. und verschenken Sie den Hans nicht. Sehen Sie ihn an, er ist gesund an Leib und Seele, er ist gewiß noch sehr unwissend, aber er hat ein gutes Gefühl für Alles, was brav und schön ist. Lassen Sie den Knaben mir; wenn er so fort¬ wächst, Sie können aus ihm machen was Sie wollen, er wird keinem Stand Un- ehre bringen, er wird fröhlich, er wird arbeitsam sein, er wird sich mit Wenigem begnügen, o lassen Sie den Knaben mir! — Ich will ihn noch sorgsamer Pflegen, seine Lehrstunden will ich verdoppeln, damit er schneller vorwärts kommt, denn es ist wahr, im Schreiben ist er noch zurück, aber er rechnet schon gut. — Ich will ihn auch recht sauber und zierlich kleiden, wenn Ihnen das Freude macht, aber ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen lieb ist, lassen Sie den Kna¬ ben mir. Wald. Sie vergessen, Fräulein, daß ich jetzt die Pflicht habe, nach mei¬ ner Einsicht über den Knaben zu bestimmen. Gertr. (sich abwendend). Ja, Sie sind sein Vater, und ich — bin seine Mutter nicht. Wald. Wenn ich hier störrig bleibe, so verfluchen mich alle Geschöpfe, die jemals Vater- und Mnttergcfühle verspürt haben. In allen Ammenmährchen werde ich als Oger, als Ungeheuer eingeführt, die Sperlinge auf der Straße hacken in mich herein, und die Katzen ringen unter den Backöfen weinend die Pfoten über meine Ruchlosigkeit. — Ich muß ihr den Knaben lassen, das ist klar.--Mein Fräu¬ lein, Sie empfinden sehr warm für das Kind fremden Leichtsinns. Gertr. Es ist mir nicht fremd, es ist verwachsen mit meinem Leben. — (finster) Wann sollen wir Ihren Sohn der Dame übergeben? Nein, bei Gott, Sie sollen ihn behalten. Ich wäre das, wofür Wald. 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/299>, abgerufen am 23.07.2024.