Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Söhne des Vaterlands in die der Berliner Hungerleider spazieren zu machen.
Dann wieder die Handelsfreiheit, die auch nur ein preußischer Pfiff ist, um
Baiern an den Bettelstab zu bringen und endlich das Wirksamste von Allem, das Ge¬
spenst der Gewerbefreiheit. Ich glaube nicht, daß eS ein anderes eben so unseliges
Gespenst in der weiten Welt gibt, denn stündlich und an hundert Orte" zugleich
wird es aus seiner Nacht heraufbeschworen, die großen Kinder zu schrecken und
einzuschläfern.

Mitunter mischt sich auch ein pfäfftscher Ton ein, und im Accord zu den an¬
deren thut er seine Wirkung. Allein würde er sicherlich verhallen. Aber wenn man
erst die Köpfe duselig und wirr gemacht, wenn man dem Philister Angst für seinen
Säckel eingejagt hat, dann macht es Eindruck, wenn man ihm sagt: "sieh Lieber,
diese Burschen werden Dir zugleich Deine Religion nehmen und Dich in die Hölle
bringen." Ganz glaubt er es freilich nicht, aber so halb und halb wird ihm die
Sache doch begreiflich und nun fühlt er erst recht den Werth seines bairischen
reinen Blutes, wodurch er eine Art von Anweisung ans ein exquisites Diesseits
und Jenseits als Pathengeschenk mit bekommen hat. --

Uevrigens ist der bairische Particularismus bei aller innern Blutsverwandtschaft
mit den andern Species, ans die Deutschland stolz ist, doch wesentlich verschie¬
den von ihnen. -- Er hat eine gewisse innere Berechtigung durch eine tausend¬
jährige Geschichte. Dadurch find alle Adern des Volkslebens, sie mögen Namen
haben, welchen sie wollen, von ihm durchströmt und seine einzelnen Erscheinungen
stehen in einer Art organischem Zusammenhange.

Noch wird die Einheitsidee mir von einer kleinen Schaar Auserwähl¬
ter vertreten und diese bilden eine verfolgte Gemeinde, die ihren Gottesdienst
bei verschlossenen Thüren und ohne Orgelton und Glockenklang hält. -- Man
bedenke nur, wie die Vertreter der Einheit überall in Deutschland eine achtung¬
gebietende Stellung einnehmen, und weder vor sich noch vor der Masse die äußer¬
sten Konsequenzen ihrer Principien zu verhüllen oder umzubiegen nöthig haben,
und vergleiche damit das schüchterne und kleinlaute Häuflein der wahrhaft Deutsch¬
gesinnten in Baiern.

Wie stimmt aber mit dem Gesagten meine vorhin ausgesprochene Behaup¬
tung, daß es der bairischen Regierung höchstens nur für kurze Zeit, aber nicht
auf die Dauer möglich sei, die Leidenschaften des Volks bis zu förmlichem
etwa bewaffnetem Widerstreben gegen die verwirklichte Einheit aufzustacheln?

Die politische Unmündigkeit, die in Baiern trotz aller konstitutionellen Phra¬
sen seit beinahe dreißig Jahren noch immer herrscht, hat einem System der in¬
nern Politik, das in der genauesten Wechselwirkung zu dem bereits Charakteristrten
der äußern steht, bis in die neueste Zeit freien Spielraum gelassen. Es war ur¬
sprünglich ein Mischmasch von Napoleons und Metternichs Absolutismus, aber
wie es gewöhnlich bei solchen Mischungen geht, nur das Schlechteste von beiden


Söhne des Vaterlands in die der Berliner Hungerleider spazieren zu machen.
Dann wieder die Handelsfreiheit, die auch nur ein preußischer Pfiff ist, um
Baiern an den Bettelstab zu bringen und endlich das Wirksamste von Allem, das Ge¬
spenst der Gewerbefreiheit. Ich glaube nicht, daß eS ein anderes eben so unseliges
Gespenst in der weiten Welt gibt, denn stündlich und an hundert Orte» zugleich
wird es aus seiner Nacht heraufbeschworen, die großen Kinder zu schrecken und
einzuschläfern.

Mitunter mischt sich auch ein pfäfftscher Ton ein, und im Accord zu den an¬
deren thut er seine Wirkung. Allein würde er sicherlich verhallen. Aber wenn man
erst die Köpfe duselig und wirr gemacht, wenn man dem Philister Angst für seinen
Säckel eingejagt hat, dann macht es Eindruck, wenn man ihm sagt: „sieh Lieber,
diese Burschen werden Dir zugleich Deine Religion nehmen und Dich in die Hölle
bringen." Ganz glaubt er es freilich nicht, aber so halb und halb wird ihm die
Sache doch begreiflich und nun fühlt er erst recht den Werth seines bairischen
reinen Blutes, wodurch er eine Art von Anweisung ans ein exquisites Diesseits
und Jenseits als Pathengeschenk mit bekommen hat. --

Uevrigens ist der bairische Particularismus bei aller innern Blutsverwandtschaft
mit den andern Species, ans die Deutschland stolz ist, doch wesentlich verschie¬
den von ihnen. — Er hat eine gewisse innere Berechtigung durch eine tausend¬
jährige Geschichte. Dadurch find alle Adern des Volkslebens, sie mögen Namen
haben, welchen sie wollen, von ihm durchströmt und seine einzelnen Erscheinungen
stehen in einer Art organischem Zusammenhange.

Noch wird die Einheitsidee mir von einer kleinen Schaar Auserwähl¬
ter vertreten und diese bilden eine verfolgte Gemeinde, die ihren Gottesdienst
bei verschlossenen Thüren und ohne Orgelton und Glockenklang hält. — Man
bedenke nur, wie die Vertreter der Einheit überall in Deutschland eine achtung¬
gebietende Stellung einnehmen, und weder vor sich noch vor der Masse die äußer¬
sten Konsequenzen ihrer Principien zu verhüllen oder umzubiegen nöthig haben,
und vergleiche damit das schüchterne und kleinlaute Häuflein der wahrhaft Deutsch¬
gesinnten in Baiern.

Wie stimmt aber mit dem Gesagten meine vorhin ausgesprochene Behaup¬
tung, daß es der bairischen Regierung höchstens nur für kurze Zeit, aber nicht
auf die Dauer möglich sei, die Leidenschaften des Volks bis zu förmlichem
etwa bewaffnetem Widerstreben gegen die verwirklichte Einheit aufzustacheln?

Die politische Unmündigkeit, die in Baiern trotz aller konstitutionellen Phra¬
sen seit beinahe dreißig Jahren noch immer herrscht, hat einem System der in¬
nern Politik, das in der genauesten Wechselwirkung zu dem bereits Charakteristrten
der äußern steht, bis in die neueste Zeit freien Spielraum gelassen. Es war ur¬
sprünglich ein Mischmasch von Napoleons und Metternichs Absolutismus, aber
wie es gewöhnlich bei solchen Mischungen geht, nur das Schlechteste von beiden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278260"/>
          <p xml:id="ID_1116" prev="#ID_1115"> Söhne des Vaterlands in die der Berliner Hungerleider spazieren zu machen.<lb/>
Dann wieder die Handelsfreiheit, die auch nur ein preußischer Pfiff ist, um<lb/>
Baiern an den Bettelstab zu bringen und endlich das Wirksamste von Allem, das Ge¬<lb/>
spenst der Gewerbefreiheit. Ich glaube nicht, daß eS ein anderes eben so unseliges<lb/>
Gespenst in der weiten Welt gibt, denn stündlich und an hundert Orte» zugleich<lb/>
wird es aus seiner Nacht heraufbeschworen, die großen Kinder zu schrecken und<lb/>
einzuschläfern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117"> Mitunter mischt sich auch ein pfäfftscher Ton ein, und im Accord zu den an¬<lb/>
deren thut er seine Wirkung. Allein würde er sicherlich verhallen. Aber wenn man<lb/>
erst die Köpfe duselig und wirr gemacht, wenn man dem Philister Angst für seinen<lb/>
Säckel eingejagt hat, dann macht es Eindruck, wenn man ihm sagt: &#x201E;sieh Lieber,<lb/>
diese Burschen werden Dir zugleich Deine Religion nehmen und Dich in die Hölle<lb/>
bringen." Ganz glaubt er es freilich nicht, aber so halb und halb wird ihm die<lb/>
Sache doch begreiflich und nun fühlt er erst recht den Werth seines bairischen<lb/>
reinen Blutes, wodurch er eine Art von Anweisung ans ein exquisites Diesseits<lb/>
und Jenseits als Pathengeschenk mit bekommen hat. --</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118"> Uevrigens ist der bairische Particularismus bei aller innern Blutsverwandtschaft<lb/>
mit den andern Species, ans die Deutschland stolz ist, doch wesentlich verschie¬<lb/>
den von ihnen. &#x2014; Er hat eine gewisse innere Berechtigung durch eine tausend¬<lb/>
jährige Geschichte. Dadurch find alle Adern des Volkslebens, sie mögen Namen<lb/>
haben, welchen sie wollen, von ihm durchströmt und seine einzelnen Erscheinungen<lb/>
stehen in einer Art organischem Zusammenhange.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Noch wird die Einheitsidee mir von einer kleinen Schaar Auserwähl¬<lb/>
ter vertreten und diese bilden eine verfolgte Gemeinde, die ihren Gottesdienst<lb/>
bei verschlossenen Thüren und ohne Orgelton und Glockenklang hält. &#x2014; Man<lb/>
bedenke nur, wie die Vertreter der Einheit überall in Deutschland eine achtung¬<lb/>
gebietende Stellung einnehmen, und weder vor sich noch vor der Masse die äußer¬<lb/>
sten Konsequenzen ihrer Principien zu verhüllen oder umzubiegen nöthig haben,<lb/>
und vergleiche damit das schüchterne und kleinlaute Häuflein der wahrhaft Deutsch¬<lb/>
gesinnten in Baiern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1120"> Wie stimmt aber mit dem Gesagten meine vorhin ausgesprochene Behaup¬<lb/>
tung, daß es der bairischen Regierung höchstens nur für kurze Zeit, aber nicht<lb/>
auf die Dauer möglich sei, die Leidenschaften des Volks bis zu förmlichem<lb/>
etwa bewaffnetem Widerstreben gegen die verwirklichte Einheit aufzustacheln?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1121" next="#ID_1122"> Die politische Unmündigkeit, die in Baiern trotz aller konstitutionellen Phra¬<lb/>
sen seit beinahe dreißig Jahren noch immer herrscht, hat einem System der in¬<lb/>
nern Politik, das in der genauesten Wechselwirkung zu dem bereits Charakteristrten<lb/>
der äußern steht, bis in die neueste Zeit freien Spielraum gelassen. Es war ur¬<lb/>
sprünglich ein Mischmasch von Napoleons und Metternichs Absolutismus, aber<lb/>
wie es gewöhnlich bei solchen Mischungen geht, nur das Schlechteste von beiden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] Söhne des Vaterlands in die der Berliner Hungerleider spazieren zu machen. Dann wieder die Handelsfreiheit, die auch nur ein preußischer Pfiff ist, um Baiern an den Bettelstab zu bringen und endlich das Wirksamste von Allem, das Ge¬ spenst der Gewerbefreiheit. Ich glaube nicht, daß eS ein anderes eben so unseliges Gespenst in der weiten Welt gibt, denn stündlich und an hundert Orte» zugleich wird es aus seiner Nacht heraufbeschworen, die großen Kinder zu schrecken und einzuschläfern. Mitunter mischt sich auch ein pfäfftscher Ton ein, und im Accord zu den an¬ deren thut er seine Wirkung. Allein würde er sicherlich verhallen. Aber wenn man erst die Köpfe duselig und wirr gemacht, wenn man dem Philister Angst für seinen Säckel eingejagt hat, dann macht es Eindruck, wenn man ihm sagt: „sieh Lieber, diese Burschen werden Dir zugleich Deine Religion nehmen und Dich in die Hölle bringen." Ganz glaubt er es freilich nicht, aber so halb und halb wird ihm die Sache doch begreiflich und nun fühlt er erst recht den Werth seines bairischen reinen Blutes, wodurch er eine Art von Anweisung ans ein exquisites Diesseits und Jenseits als Pathengeschenk mit bekommen hat. -- Uevrigens ist der bairische Particularismus bei aller innern Blutsverwandtschaft mit den andern Species, ans die Deutschland stolz ist, doch wesentlich verschie¬ den von ihnen. — Er hat eine gewisse innere Berechtigung durch eine tausend¬ jährige Geschichte. Dadurch find alle Adern des Volkslebens, sie mögen Namen haben, welchen sie wollen, von ihm durchströmt und seine einzelnen Erscheinungen stehen in einer Art organischem Zusammenhange. Noch wird die Einheitsidee mir von einer kleinen Schaar Auserwähl¬ ter vertreten und diese bilden eine verfolgte Gemeinde, die ihren Gottesdienst bei verschlossenen Thüren und ohne Orgelton und Glockenklang hält. — Man bedenke nur, wie die Vertreter der Einheit überall in Deutschland eine achtung¬ gebietende Stellung einnehmen, und weder vor sich noch vor der Masse die äußer¬ sten Konsequenzen ihrer Principien zu verhüllen oder umzubiegen nöthig haben, und vergleiche damit das schüchterne und kleinlaute Häuflein der wahrhaft Deutsch¬ gesinnten in Baiern. Wie stimmt aber mit dem Gesagten meine vorhin ausgesprochene Behaup¬ tung, daß es der bairischen Regierung höchstens nur für kurze Zeit, aber nicht auf die Dauer möglich sei, die Leidenschaften des Volks bis zu förmlichem etwa bewaffnetem Widerstreben gegen die verwirklichte Einheit aufzustacheln? Die politische Unmündigkeit, die in Baiern trotz aller konstitutionellen Phra¬ sen seit beinahe dreißig Jahren noch immer herrscht, hat einem System der in¬ nern Politik, das in der genauesten Wechselwirkung zu dem bereits Charakteristrten der äußern steht, bis in die neueste Zeit freien Spielraum gelassen. Es war ur¬ sprünglich ein Mischmasch von Napoleons und Metternichs Absolutismus, aber wie es gewöhnlich bei solchen Mischungen geht, nur das Schlechteste von beiden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/272>, abgerufen am 23.07.2024.