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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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init aller Mittel- und Kleinstaaten, nnr ist sie selten so klar und consequent durch¬
geführt worden wie hier, wo sie eine tausendjährige von Erfolg gekrönte Ge¬
schichte hat.

Daraus erklärt sich ganz naturgemäß Alles und unter andern: anch die gegen¬
wärtige Stellung Baierns zu Oestreich und Preußen. Aber man darf nicht über"
sehen, daß die bairischen Staatsmänner trotz ihrer trefflichen Schule doch auch
noch als Menschen unter dem Einflüsse vielgestaltiger Vorurtheile und Leiden¬
schaften stehen, die im Ganzen ihrer Wirksamkeit zwar keine andere Richtung, aber
doch hie und da eine eigenthümliche Färbung geben.

König Ludwig, eine der charakteristischen Erscheinungen der modernen
deutschen Geschichte, ist zugleich der typische Repräsentant für das Verhältniß
der bairischen Herrscher zu dem Systeme. Man hat sich oft und zum Theil mit
bitterer Ironie über sein Deutschthum lustig gemacht, und doch war es gewiß bei
ihm ehrlich gemeint. Er ist ihm als Kronprinz in der schwierigsten Lage treu
geblieben, er hat sich offen und ungescheut Napoleon, Montgelas und seinem Vater
gegenüber, der freilich uur eine Kreatur von beiden war, dazu bekannt, und nicht
blos seine Zukunft, sondern sogar sein Leben dafür auf's Spiel gesetzt. Daß er
das Spiel gewann, wer konnte das 1809 nach der Schlacht bei Eckmühl voraus¬
sehen? Er selbst gewiß am wenigsten, denn eine klare geschichtliche Divinations-
gabe war seinem phantastischen Naturell versagt. Auch später ist er unter
fortwährenden peinlichen und verletzenden Anfechtungen von Seiten der specifisch-
bairischen Partei seiner alten Liebe tren geblieben, bis er den Thron bestieg und
auf einmal der bayrischeste aller Wittelsbacher wurde. Trotz aller genialen Anfluge,
war er doch nicht aus dem Stoffe, aus dem die wahren genialen Gestalten ge¬
formt sind. Seine Genialität brachte es nur bis zu einer barocken Romantik, und
durch diese machte das System ihn sich dienstbar. Im besten Glauben der deut¬
scheste aller Deutschen zu sein, schlug er doch Deutschland so tiefe Wunden, wie
kaum einer seiner Vorgänger. Zwar klafften sie nicht weit und das Blut floß
nicht stromweise von .ihnen, und daher hielt sie der Philister uicht für
gefährlich, aber ich zweifle, ob der Rheinbund und die Nymphenburger Tractate
schädlicher für Deutschland gewesen sind, als die Allianz des Ultramontanis-
mus mit dem Particularismus, die nnter ihm in München vollzogen wurde.
Gewiß wäre derselbe Manu, dem einst wegen seiner rebellischen Gesinnung, seiner
"Felonie" gegen den erhabenen Protector des Rheinbundes Tod oder Ausschlie¬
ßung von der Negierung gedroht war, als König im Stande gewesen, einen
neuen Rheinbund zu schließen, und gewiß, wie ich mit Bestimmtheit behaupte,
ohne sich eines innern Abfalls von seiner früheren Gesinnung bewußt zu werden.
Hatte man ihn ja doch überzeugt, daß Baiern und die Wittelsbacher der eigent¬
liche Kern Deutschlands, daß jede Opposition gegen Oestreich und in den späteren
Jahren seiner Negierung gegen Preußen ein so zu sagen geheiligtes Widerstreben


init aller Mittel- und Kleinstaaten, nnr ist sie selten so klar und consequent durch¬
geführt worden wie hier, wo sie eine tausendjährige von Erfolg gekrönte Ge¬
schichte hat.

Daraus erklärt sich ganz naturgemäß Alles und unter andern: anch die gegen¬
wärtige Stellung Baierns zu Oestreich und Preußen. Aber man darf nicht über»
sehen, daß die bairischen Staatsmänner trotz ihrer trefflichen Schule doch auch
noch als Menschen unter dem Einflüsse vielgestaltiger Vorurtheile und Leiden¬
schaften stehen, die im Ganzen ihrer Wirksamkeit zwar keine andere Richtung, aber
doch hie und da eine eigenthümliche Färbung geben.

König Ludwig, eine der charakteristischen Erscheinungen der modernen
deutschen Geschichte, ist zugleich der typische Repräsentant für das Verhältniß
der bairischen Herrscher zu dem Systeme. Man hat sich oft und zum Theil mit
bitterer Ironie über sein Deutschthum lustig gemacht, und doch war es gewiß bei
ihm ehrlich gemeint. Er ist ihm als Kronprinz in der schwierigsten Lage treu
geblieben, er hat sich offen und ungescheut Napoleon, Montgelas und seinem Vater
gegenüber, der freilich uur eine Kreatur von beiden war, dazu bekannt, und nicht
blos seine Zukunft, sondern sogar sein Leben dafür auf's Spiel gesetzt. Daß er
das Spiel gewann, wer konnte das 1809 nach der Schlacht bei Eckmühl voraus¬
sehen? Er selbst gewiß am wenigsten, denn eine klare geschichtliche Divinations-
gabe war seinem phantastischen Naturell versagt. Auch später ist er unter
fortwährenden peinlichen und verletzenden Anfechtungen von Seiten der specifisch-
bairischen Partei seiner alten Liebe tren geblieben, bis er den Thron bestieg und
auf einmal der bayrischeste aller Wittelsbacher wurde. Trotz aller genialen Anfluge,
war er doch nicht aus dem Stoffe, aus dem die wahren genialen Gestalten ge¬
formt sind. Seine Genialität brachte es nur bis zu einer barocken Romantik, und
durch diese machte das System ihn sich dienstbar. Im besten Glauben der deut¬
scheste aller Deutschen zu sein, schlug er doch Deutschland so tiefe Wunden, wie
kaum einer seiner Vorgänger. Zwar klafften sie nicht weit und das Blut floß
nicht stromweise von .ihnen, und daher hielt sie der Philister uicht für
gefährlich, aber ich zweifle, ob der Rheinbund und die Nymphenburger Tractate
schädlicher für Deutschland gewesen sind, als die Allianz des Ultramontanis-
mus mit dem Particularismus, die nnter ihm in München vollzogen wurde.
Gewiß wäre derselbe Manu, dem einst wegen seiner rebellischen Gesinnung, seiner
„Felonie" gegen den erhabenen Protector des Rheinbundes Tod oder Ausschlie¬
ßung von der Negierung gedroht war, als König im Stande gewesen, einen
neuen Rheinbund zu schließen, und gewiß, wie ich mit Bestimmtheit behaupte,
ohne sich eines innern Abfalls von seiner früheren Gesinnung bewußt zu werden.
Hatte man ihn ja doch überzeugt, daß Baiern und die Wittelsbacher der eigent¬
liche Kern Deutschlands, daß jede Opposition gegen Oestreich und in den späteren
Jahren seiner Negierung gegen Preußen ein so zu sagen geheiligtes Widerstreben


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[0264] init aller Mittel- und Kleinstaaten, nnr ist sie selten so klar und consequent durch¬ geführt worden wie hier, wo sie eine tausendjährige von Erfolg gekrönte Ge¬ schichte hat. Daraus erklärt sich ganz naturgemäß Alles und unter andern: anch die gegen¬ wärtige Stellung Baierns zu Oestreich und Preußen. Aber man darf nicht über» sehen, daß die bairischen Staatsmänner trotz ihrer trefflichen Schule doch auch noch als Menschen unter dem Einflüsse vielgestaltiger Vorurtheile und Leiden¬ schaften stehen, die im Ganzen ihrer Wirksamkeit zwar keine andere Richtung, aber doch hie und da eine eigenthümliche Färbung geben. König Ludwig, eine der charakteristischen Erscheinungen der modernen deutschen Geschichte, ist zugleich der typische Repräsentant für das Verhältniß der bairischen Herrscher zu dem Systeme. Man hat sich oft und zum Theil mit bitterer Ironie über sein Deutschthum lustig gemacht, und doch war es gewiß bei ihm ehrlich gemeint. Er ist ihm als Kronprinz in der schwierigsten Lage treu geblieben, er hat sich offen und ungescheut Napoleon, Montgelas und seinem Vater gegenüber, der freilich uur eine Kreatur von beiden war, dazu bekannt, und nicht blos seine Zukunft, sondern sogar sein Leben dafür auf's Spiel gesetzt. Daß er das Spiel gewann, wer konnte das 1809 nach der Schlacht bei Eckmühl voraus¬ sehen? Er selbst gewiß am wenigsten, denn eine klare geschichtliche Divinations- gabe war seinem phantastischen Naturell versagt. Auch später ist er unter fortwährenden peinlichen und verletzenden Anfechtungen von Seiten der specifisch- bairischen Partei seiner alten Liebe tren geblieben, bis er den Thron bestieg und auf einmal der bayrischeste aller Wittelsbacher wurde. Trotz aller genialen Anfluge, war er doch nicht aus dem Stoffe, aus dem die wahren genialen Gestalten ge¬ formt sind. Seine Genialität brachte es nur bis zu einer barocken Romantik, und durch diese machte das System ihn sich dienstbar. Im besten Glauben der deut¬ scheste aller Deutschen zu sein, schlug er doch Deutschland so tiefe Wunden, wie kaum einer seiner Vorgänger. Zwar klafften sie nicht weit und das Blut floß nicht stromweise von .ihnen, und daher hielt sie der Philister uicht für gefährlich, aber ich zweifle, ob der Rheinbund und die Nymphenburger Tractate schädlicher für Deutschland gewesen sind, als die Allianz des Ultramontanis- mus mit dem Particularismus, die nnter ihm in München vollzogen wurde. Gewiß wäre derselbe Manu, dem einst wegen seiner rebellischen Gesinnung, seiner „Felonie" gegen den erhabenen Protector des Rheinbundes Tod oder Ausschlie¬ ßung von der Negierung gedroht war, als König im Stande gewesen, einen neuen Rheinbund zu schließen, und gewiß, wie ich mit Bestimmtheit behaupte, ohne sich eines innern Abfalls von seiner früheren Gesinnung bewußt zu werden. Hatte man ihn ja doch überzeugt, daß Baiern und die Wittelsbacher der eigent¬ liche Kern Deutschlands, daß jede Opposition gegen Oestreich und in den späteren Jahren seiner Negierung gegen Preußen ein so zu sagen geheiligtes Widerstreben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/264>, abgerufen am 23.07.2024.