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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Den Wittclsbachern sind ihre Sünden gegen Deutschland seit jenem Otto,
der einen deutschen Kaiser in der Stunde erschlug, wo er die Einheit des Reichs
so gut wie neu geschaffen hatte, bis zu einem andern Otto in unsern Tagen, für
den viel deutsches Geld und deutsche Kraft kläglich vergeudet worden ist, so oft
und eindringlich vorgehalten worden, daß sie als allgemein bekannt vorausgesetzt
werden können. Wer weiß nicht von der perfiden Politik des Stifters der ka¬
tholischen Ligne, oder der Söldlinge Ludwig XIV n. XV, vom Rheinbund und
dem Nieder Vertrag zu erzählen? Es scheint ein eigenthümliches Fatum über dem
Fürstenhause zu walten, ungefähr wie die Heldensage des Mittelalters den Verrath
gegen den von Gott gesalbten Kaiser und Lehnsherrn in dem Hause der Mainzer
von Vater zu Sohn sich fortzeugeu läßt. —

Wirklich waltet auch hier ein Fatum, uur nicht im Sinne mystischer Roman¬
tik, sondern in sofern, als die besondere Eigenthümlichkeit des Einzelnen durch
eine Verkettung geschichtlicher Verhältnisse von vorn herein bedingt und «ach einer
besonderen Richtung hingedrängt wird. Je bedeutsamer der Platz ist, der dem
Einzelnen angewiesen wird, desto mehr muß er sich die Einflüsse desselben gefallen
lassen; will er das uicht, so mag er zusehn, ob er mit dem nöthigen Vorrath
von Genialität ausgerüstet ist, daun kann er die ihm angebahnte Straße verlas¬
sen und jedenfalls etwas Bedeutendes, ohne viel Glück aber nichts nachhalti¬
ges schassen. Fehlt dieses, ich möchte sagen göttliche über allen Zweifel erhabene
Vertrauen auf den eigenen Genius, dann ist es doch immer für den Einzelnen
und die Welt am besten, sich ganz auf der gebahnten Straße zu halten. — Nie¬
mand wird mit der schärfsten Brille unter der stattlichen Reihe der Wittelsbacher
eine geniale Figur herausfinden; sie hielten es, wie ihre Nachbarn in der Wie¬
ner Kaiserburg, stets in Sachen des Geistes mit einem leidlichen j»hev mille-u;
wo einmal etwas Geniales aufblitzen will, wird es reichlich durch irgend eine un-
verhältnißmäßige Beschränktheit oder Verkümmerung auf einer andern Seite auf¬
gewogen; es führt höchstens zu einzelnen grotesken, niemals zu großen, wenn
auch tragisch großen Aeußerungen. — Solchen Menschen, die seit sechshun¬
dert Jahren die Gesammtsumme vou Hab und Gut von Varcr auf den Sohn
forterbten, kann man nicht zumuthen, daß sie nach Ablauf eines halben Jahrtau¬
sends plötzlich ihre Art ändern. Deutschland hat sie mehr als einmal geächtet
und verbannt, aber mit der Zähigkeit einer verfolgten Secte sind sie ihrem Glau¬
ben doch treu geblieben, weil es für sie eben keinen andern gab, weil es der
höchste war, zu welchem sich ihr Geist aufschwingen konnte.

Die Hauptartikel davon lauten ungefähr so: unser Haus ist das älteste, le¬
gitimste, ehrwürdigste, frömmste unter allen deutschen Fürstenhäusern, aber von
Anfang an vom Unglück verfolgt, zurückgesetzt und gekränkt. — Neben uus und
zum Theil dnrch unsere angeborne Gutmütigkeit und Duldsamkeit gehegt und ge¬
pflegt, sind andere viel jüngere, viel weniger legitime, viel frivolere Reiser em-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/261>, abgerufen am 06.01.2025.