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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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und wissen es mir nicht. In Preußen dachten wir nnr an Opposition gegen die
Negierung, erst hier in Leipzig, wo man den "Breuscu" überall mit verdächtigen
Blicken mißt, wo über jede Bierbank aus den Vaterland5blättern ein Katechis-
mus preußischer Verräihcrcicn angeklebt ist, erst hier fühlt man sich als Preußen,
als Angehörigen eines Staats, der etwas werth ist.

Was nun das angebliche Preußenthum der Grenzboten betrifft, so wird es
Sie erheitern, wenn ich Ihnen erzähle, daß unser Berliner Freund -- derselbe,
der die liebenswürdigen Portraits aus der Berliner Constituante gezeichnet hat,
-- mit vollster Ueberzeugung einen fanatischen Preußenhaß vorwarf, und diese
Ansicht als die in Berlin allgemein bezeichnete. Geschont haben wir weder den
Norden noch den Süden.

Der Preuße verträgt mehr, als irgend ein deutscher Stamm; keiner ist s"
bitter, so hämisch und so ungerecht angegriffen worden. Es gibt freilich Augen¬
blicke, wo uns die Geduld reißt. Die östreichische Nationaleitelkeit dagegen --
wenn ich von den östreichischen "Ausländern" auf das Volk schließen darf -- ist
so reizbar, daß ein Hauch sie verletzt. Adolf Wiesner, damals in Leipzig unser
guter Freund, ist ein abschreckendes Beispiel dieser Empfindlichkeit, die bei ihm
zur Monomanie geworden zu sein scheint.

Sie verzagen jetzt an Oestreich, weil Sie zu sanguinisch waren. Sie waren
freilich nicht, wie jener andere Freund, der uns bald nach den Märztagen in
tiefster Entzückung über seinen gütigen Kaiser schrieb, Ferdinand habe gerufen:
I loß uit schießen! und dabei böse Seitenblicke auf einen andern Monarchen warf,
der Kngeln an seine lieben Berliner adressirt habe. Nun, zuletzt hat der gütige
Kaiser doch schießen lassen. Man bedient sich der Waffen, die man hat, und auch
der allergütigste Kaiser wird , wenn es zum Aeußersten kommt, Pulver und Blei
den Angriffen seiner empörten Landeskinder entgegensetzen. Ein Guizot docirt,
während ein Cavaignac handelt. Windischgrätz hat die Rolle des Letztern vorgezogen.

Sie hielten den jugendlich schönen Anflug der ersten Begeisterung für den
genügenden Ersatz männlicher Energie und männlichen Bcrstandeö. Sie täuschten
Sich, und brechen nun über Oestreich den Stab. Ein Volk stirbt nicht so rasch,
Sie Kleingläubiger! Oestreich wird noch viel zu leiden, noch viel Illusionen zu
überwinden haben, aber seine gesunde Natur wird die Stürme überstehen. Der
Preuße wird Sie noch einmal am gastlichen Heerd des freien Oestreich besuchen,
und wir werden mit einander über den närrischen Einfall unserer beiden Völker
lachen, sich einander zu beneiden und anzufeinden. Adieu bis dahin.


I. S-


und wissen es mir nicht. In Preußen dachten wir nnr an Opposition gegen die
Negierung, erst hier in Leipzig, wo man den „Breuscu" überall mit verdächtigen
Blicken mißt, wo über jede Bierbank aus den Vaterland5blättern ein Katechis-
mus preußischer Verräihcrcicn angeklebt ist, erst hier fühlt man sich als Preußen,
als Angehörigen eines Staats, der etwas werth ist.

Was nun das angebliche Preußenthum der Grenzboten betrifft, so wird es
Sie erheitern, wenn ich Ihnen erzähle, daß unser Berliner Freund — derselbe,
der die liebenswürdigen Portraits aus der Berliner Constituante gezeichnet hat,
— mit vollster Ueberzeugung einen fanatischen Preußenhaß vorwarf, und diese
Ansicht als die in Berlin allgemein bezeichnete. Geschont haben wir weder den
Norden noch den Süden.

Der Preuße verträgt mehr, als irgend ein deutscher Stamm; keiner ist s»
bitter, so hämisch und so ungerecht angegriffen worden. Es gibt freilich Augen¬
blicke, wo uns die Geduld reißt. Die östreichische Nationaleitelkeit dagegen —
wenn ich von den östreichischen „Ausländern" auf das Volk schließen darf — ist
so reizbar, daß ein Hauch sie verletzt. Adolf Wiesner, damals in Leipzig unser
guter Freund, ist ein abschreckendes Beispiel dieser Empfindlichkeit, die bei ihm
zur Monomanie geworden zu sein scheint.

Sie verzagen jetzt an Oestreich, weil Sie zu sanguinisch waren. Sie waren
freilich nicht, wie jener andere Freund, der uns bald nach den Märztagen in
tiefster Entzückung über seinen gütigen Kaiser schrieb, Ferdinand habe gerufen:
I loß uit schießen! und dabei böse Seitenblicke auf einen andern Monarchen warf,
der Kngeln an seine lieben Berliner adressirt habe. Nun, zuletzt hat der gütige
Kaiser doch schießen lassen. Man bedient sich der Waffen, die man hat, und auch
der allergütigste Kaiser wird , wenn es zum Aeußersten kommt, Pulver und Blei
den Angriffen seiner empörten Landeskinder entgegensetzen. Ein Guizot docirt,
während ein Cavaignac handelt. Windischgrätz hat die Rolle des Letztern vorgezogen.

Sie hielten den jugendlich schönen Anflug der ersten Begeisterung für den
genügenden Ersatz männlicher Energie und männlichen Bcrstandeö. Sie täuschten
Sich, und brechen nun über Oestreich den Stab. Ein Volk stirbt nicht so rasch,
Sie Kleingläubiger! Oestreich wird noch viel zu leiden, noch viel Illusionen zu
überwinden haben, aber seine gesunde Natur wird die Stürme überstehen. Der
Preuße wird Sie noch einmal am gastlichen Heerd des freien Oestreich besuchen,
und wir werden mit einander über den närrischen Einfall unserer beiden Völker
lachen, sich einander zu beneiden und anzufeinden. Adieu bis dahin.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/232>, abgerufen am 03.07.2024.