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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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offenbar der Preis, aber sie ist naiv in dieser liebenswürdigen Beschäftigung, sie
hat keine Hintergedanken. Blättert im Charivari, so habt ihr den Inhalt ihres
Glaubenssystems: anmuthige Grisetten und brave Unterofficiere ist ihr Positives,
die bons de>til-^col8 von Paris, die Friedens-Philister, der Gegenstand ihres Witzes.

Wenn man nur sagen könnte, daß die Partei dieser Bourgeoisie, die Partei
der Quasi-Legitimität, um einen Grad reicher an sittlichem Inhalt gewesen wäre!
Die Partei der reichen Banquiers, der alten, friedfertigen Marschälle von Frank¬
reich und jener liederlichen jungen Aristokratie, die ans dem Finanzschwindel der
Revolution und des Kaiserreichs hervorgegangen war, -- der Politiker der Kue
8t. ttonore. Mit der Vertreibung der Jesuiten und des Faubourg Se. Germain
aus dem engeren Kreise der Politik war ihr Zweck erreicht; nun wollte sie Frie¬
de" und Ordnung, um ihre Börsengeschäfte ungestört treiben, ihre Töchter in
Bällen und Salons ruhig ausstellen zu können. Casimir Perier, der einzige
Staatsmann von Umsicht und Ausdauer, den Frankreich seit der Julirevolution
gehabt, hat diesem System die Herrschaft errungen. Nach seinem Tode bot die
conservative Partei ein klägliches Bild; Louis Philipp war zu sehr Familienvater,
zu sehr durch seine mannigfachen Schicksale an Behutsamkeit gewöhnt, zu unfähig
jedes consequent festgehaltenen Entschlusses, als daß er -- bei den Franzosen ein
unumgängliches Bedürfniß -- dem Volk hätte imponiren können. Er war con¬
sequent, aber zäh, nicht hart; die Zähigkeit haßt der Franzose, und die Popula¬
rität des Regenschirms und der ineillvui-v rhmbliqiiö war um so schneller dahin,
da der König in sich selbst nicht Kraft und Festigkeit genug fühlte, um nicht mit
seinen alten Feinden, dein legitimistischen Adel und selbst dem Clerus, zu buhlen,
wenn sie ihm irgend einen Schritt entgegenkamen. Seine Minister waren durch¬
gehend" untergeordnete Werkzeuge seiner Politik, bis er endlich in Guizot einen
höchst unbequemen Theoretiker fand und den Doctrinärs die Zügel überlassen
mußte, um nur seine Partei in irgend eine Form zu bringen. ES gibt keinen
größern Gegensatz als zwischen diesen beiden Männern; Guizot ist eine deutsche
Natur, systematisch bis zur Bornirtheit, und in dem starren, hochmüthigen Be¬
wußtsein seiner allein selig machenden formalen Doctrin alles Inhalts vergessen.
Er meinte es ehrlich mit seiner conservativen Politik, so weit sein persönlicher
Ehrgeiz es zugab; aus dem Conflict seines Ehrgeizes und seiner Principien ist
sein Beitritt zu jener Koalition zu erklären, die für einen Augenblick die Geltung
der Couservateurs zu erschüttern drohte. Ehrlichkeit ist für die Beurtheilung eines
Staatsmannes eine sehr unbestimmte Bezeichnung; Guizot hat sich persönlich von
der Faulheit und Korruption, der ziemlich alle Organe des officiellen Frankreich
verfallen waren, rein erhalten, er hat, um mich eines Byronschen Ausdrucks zu
bedienen, das Vaterland gratis ruinirt; aber er hat die allgemeine Selbstsucht,
die er vorfand, trefflich ausgebeutet und seine Regierung lediglich auf den gemei¬
nen Egoismus begründet. Bei einer napoleonisch orgauistrten Polizei, einem Pitt'"


offenbar der Preis, aber sie ist naiv in dieser liebenswürdigen Beschäftigung, sie
hat keine Hintergedanken. Blättert im Charivari, so habt ihr den Inhalt ihres
Glaubenssystems: anmuthige Grisetten und brave Unterofficiere ist ihr Positives,
die bons de>til-^col8 von Paris, die Friedens-Philister, der Gegenstand ihres Witzes.

Wenn man nur sagen könnte, daß die Partei dieser Bourgeoisie, die Partei
der Quasi-Legitimität, um einen Grad reicher an sittlichem Inhalt gewesen wäre!
Die Partei der reichen Banquiers, der alten, friedfertigen Marschälle von Frank¬
reich und jener liederlichen jungen Aristokratie, die ans dem Finanzschwindel der
Revolution und des Kaiserreichs hervorgegangen war, — der Politiker der Kue
8t. ttonore. Mit der Vertreibung der Jesuiten und des Faubourg Se. Germain
aus dem engeren Kreise der Politik war ihr Zweck erreicht; nun wollte sie Frie¬
de» und Ordnung, um ihre Börsengeschäfte ungestört treiben, ihre Töchter in
Bällen und Salons ruhig ausstellen zu können. Casimir Perier, der einzige
Staatsmann von Umsicht und Ausdauer, den Frankreich seit der Julirevolution
gehabt, hat diesem System die Herrschaft errungen. Nach seinem Tode bot die
conservative Partei ein klägliches Bild; Louis Philipp war zu sehr Familienvater,
zu sehr durch seine mannigfachen Schicksale an Behutsamkeit gewöhnt, zu unfähig
jedes consequent festgehaltenen Entschlusses, als daß er — bei den Franzosen ein
unumgängliches Bedürfniß — dem Volk hätte imponiren können. Er war con¬
sequent, aber zäh, nicht hart; die Zähigkeit haßt der Franzose, und die Popula¬
rität des Regenschirms und der ineillvui-v rhmbliqiiö war um so schneller dahin,
da der König in sich selbst nicht Kraft und Festigkeit genug fühlte, um nicht mit
seinen alten Feinden, dein legitimistischen Adel und selbst dem Clerus, zu buhlen,
wenn sie ihm irgend einen Schritt entgegenkamen. Seine Minister waren durch¬
gehend« untergeordnete Werkzeuge seiner Politik, bis er endlich in Guizot einen
höchst unbequemen Theoretiker fand und den Doctrinärs die Zügel überlassen
mußte, um nur seine Partei in irgend eine Form zu bringen. ES gibt keinen
größern Gegensatz als zwischen diesen beiden Männern; Guizot ist eine deutsche
Natur, systematisch bis zur Bornirtheit, und in dem starren, hochmüthigen Be¬
wußtsein seiner allein selig machenden formalen Doctrin alles Inhalts vergessen.
Er meinte es ehrlich mit seiner conservativen Politik, so weit sein persönlicher
Ehrgeiz es zugab; aus dem Conflict seines Ehrgeizes und seiner Principien ist
sein Beitritt zu jener Koalition zu erklären, die für einen Augenblick die Geltung
der Couservateurs zu erschüttern drohte. Ehrlichkeit ist für die Beurtheilung eines
Staatsmannes eine sehr unbestimmte Bezeichnung; Guizot hat sich persönlich von
der Faulheit und Korruption, der ziemlich alle Organe des officiellen Frankreich
verfallen waren, rein erhalten, er hat, um mich eines Byronschen Ausdrucks zu
bedienen, das Vaterland gratis ruinirt; aber er hat die allgemeine Selbstsucht,
die er vorfand, trefflich ausgebeutet und seine Regierung lediglich auf den gemei¬
nen Egoismus begründet. Bei einer napoleonisch orgauistrten Polizei, einem Pitt'«


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/22>, abgerufen am 23.07.2024.