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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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zustande befinden, und Ungarn für Oestreich erobert wird, träumt man in Krem-
sier von der möglichen Freiheit in dem künftigen Oestreich, schasst im Traume den
Adel ab, und dichtet ein Utopien in 3(1 Paragraphen. Unsere Regierung läßt
aber vorläufig dem kleinen Dillctantcnthcater zu Krcmfler eine mäßige Bühnen-
freiheit -- weil ohnehin nicht über diesen Winter hinaus dort gespielt werden wird.


I. K.
Der Reichstag in Kremsier und die Oestreicher.

Die außerordentliche Spannung, welche in den letzten Wochen der östreichische
Reichstag in Kremsier erzeugt hatte, mußte demselben beweisen, welches Vertrauen ans
seine Wirksamkeit er noch im Volke genösse. Mit gleichem Zurufe munterte die Presse
Böhmens, wie die Oestreichs, die gesammten Vertreter der Nationen auf, lieber Gefahr
zu lausen, die Auslösung zu erleiden, als in Folge der plötzlichen Erklärung Stadion'S
irgend wie nachgiebig zu erscheinen. Die Nachricht einer Verbinvuug der Rechten mit
der Linken am Reichstage hat die extremsten Hoffnungen hervorgebracht; die Journa¬
listen freuten sich des frischen Luftzuges, welcher die Gemüther unserer Patrioten durch¬
ziehe und in Prag wurde der unerwartete Ruf gehört: daß "endlich" die Rechte ihre
und der Czechen Ehre rette. Die Gerüchte über sehr ucche Auflösung der Kammer
waren allgemein, so daß die ministerielle Presse Wiens eben so ernstlich dieselben be¬
sprach, als die Deputaten in der Kammer.

Dies sind deutliche Beweise, welche Theilnahme der Kammer von allen Seiten
und von allen Nationen geschenkt wurde. Erinnern wir uus nun, daß in dieser Kam¬
mer im September schon, ja auch eine" Monat früher, in dem magyarcusrcuudlichen
Wien jener demonstrative Auftritt geschah, wo die Einheit der östreichischen Völker als
Hauptziel die Regierung und einer großen Partei verlangt wurde, und wie von da
die bis jetzt noch völlig unklare Zusammensetzung eiuer östreichischen Kammer aus
allen Nationen, Polen, Ungarn und Italienern gepredigt ward, wie die Petitionen
der siebenbürgischen Sachsen und die Vorschläge der Kroate" nicht minder als die kaiser¬
lichen Proclamationen den Zusammentritt dieses Reichstages in Aussicht stellten!

Die Großartigkeit der Idee, welche Borrvsch in der Numpfkammcr Wiens wäh¬
rend der Octobcrercignisse unter allgemeinem Enthusiasmus derselben Wiener verkündigte,
die nicht blos gegen die Art und Weise, sondern überhaupt gegen die Einmischung der
Negierung in den ungarischen Kampf die Waffen ergriffen, hat im Volke Bewunderung
erregt, und es ist uicht Eine Stimme laut geworden, welche ein anderes Mittel ge¬
wußt hätte, um die Einigung Oestreichs zugleich mit allen Garantien der Kraft, Frei¬
heit und Entwicklung zu erzielen. Die Armee hat mittlerweile mit ihren centralisirten
Corps an allen Punkten der ausgedehnten Monarchie eine eigenthümliche Einheit rasch wieder
hergestellt und in diesen Tagen sogar dasselbe bürgerliche und Strafgesetz über alle diese
früher so verschiedenen Lande ausgebreitet, indem das Standrecht und das Kriegsgesctz
gegenwärtig nicht blos in dem Königreiche Polen, sondern auch i" Italien und im
ganzen ungarischen Antheile aufgepflanzt sind, die Civilbehördcn nnter die Militär¬
gerichte gestellt, alle Clubs, jede Presse, jedes nationale oder politische Abzeichen und
somit jeder Versuch der nationalen Separationen ohne irgend eine Ausnahme vom
Grunde aus vernichtet wurden.

Deutschland selber hat in der Schwierigkeit zwischen zwei Großmächten einig zu wer¬
den, manche Fäden abgeschnitten, welche an dem einen Theile Oestreichs seitwärts zogen,


zustande befinden, und Ungarn für Oestreich erobert wird, träumt man in Krem-
sier von der möglichen Freiheit in dem künftigen Oestreich, schasst im Traume den
Adel ab, und dichtet ein Utopien in 3(1 Paragraphen. Unsere Regierung läßt
aber vorläufig dem kleinen Dillctantcnthcater zu Krcmfler eine mäßige Bühnen-
freiheit -- weil ohnehin nicht über diesen Winter hinaus dort gespielt werden wird.


I. K.
Der Reichstag in Kremsier und die Oestreicher.

Die außerordentliche Spannung, welche in den letzten Wochen der östreichische
Reichstag in Kremsier erzeugt hatte, mußte demselben beweisen, welches Vertrauen ans
seine Wirksamkeit er noch im Volke genösse. Mit gleichem Zurufe munterte die Presse
Böhmens, wie die Oestreichs, die gesammten Vertreter der Nationen auf, lieber Gefahr
zu lausen, die Auslösung zu erleiden, als in Folge der plötzlichen Erklärung Stadion'S
irgend wie nachgiebig zu erscheinen. Die Nachricht einer Verbinvuug der Rechten mit
der Linken am Reichstage hat die extremsten Hoffnungen hervorgebracht; die Journa¬
listen freuten sich des frischen Luftzuges, welcher die Gemüther unserer Patrioten durch¬
ziehe und in Prag wurde der unerwartete Ruf gehört: daß „endlich" die Rechte ihre
und der Czechen Ehre rette. Die Gerüchte über sehr ucche Auflösung der Kammer
waren allgemein, so daß die ministerielle Presse Wiens eben so ernstlich dieselben be¬
sprach, als die Deputaten in der Kammer.

Dies sind deutliche Beweise, welche Theilnahme der Kammer von allen Seiten
und von allen Nationen geschenkt wurde. Erinnern wir uus nun, daß in dieser Kam¬
mer im September schon, ja auch eine» Monat früher, in dem magyarcusrcuudlichen
Wien jener demonstrative Auftritt geschah, wo die Einheit der östreichischen Völker als
Hauptziel die Regierung und einer großen Partei verlangt wurde, und wie von da
die bis jetzt noch völlig unklare Zusammensetzung eiuer östreichischen Kammer aus
allen Nationen, Polen, Ungarn und Italienern gepredigt ward, wie die Petitionen
der siebenbürgischen Sachsen und die Vorschläge der Kroate» nicht minder als die kaiser¬
lichen Proclamationen den Zusammentritt dieses Reichstages in Aussicht stellten!

Die Großartigkeit der Idee, welche Borrvsch in der Numpfkammcr Wiens wäh¬
rend der Octobcrercignisse unter allgemeinem Enthusiasmus derselben Wiener verkündigte,
die nicht blos gegen die Art und Weise, sondern überhaupt gegen die Einmischung der
Negierung in den ungarischen Kampf die Waffen ergriffen, hat im Volke Bewunderung
erregt, und es ist uicht Eine Stimme laut geworden, welche ein anderes Mittel ge¬
wußt hätte, um die Einigung Oestreichs zugleich mit allen Garantien der Kraft, Frei¬
heit und Entwicklung zu erzielen. Die Armee hat mittlerweile mit ihren centralisirten
Corps an allen Punkten der ausgedehnten Monarchie eine eigenthümliche Einheit rasch wieder
hergestellt und in diesen Tagen sogar dasselbe bürgerliche und Strafgesetz über alle diese
früher so verschiedenen Lande ausgebreitet, indem das Standrecht und das Kriegsgesctz
gegenwärtig nicht blos in dem Königreiche Polen, sondern auch i» Italien und im
ganzen ungarischen Antheile aufgepflanzt sind, die Civilbehördcn nnter die Militär¬
gerichte gestellt, alle Clubs, jede Presse, jedes nationale oder politische Abzeichen und
somit jeder Versuch der nationalen Separationen ohne irgend eine Ausnahme vom
Grunde aus vernichtet wurden.

Deutschland selber hat in der Schwierigkeit zwischen zwei Großmächten einig zu wer¬
den, manche Fäden abgeschnitten, welche an dem einen Theile Oestreichs seitwärts zogen,


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[0204] zustande befinden, und Ungarn für Oestreich erobert wird, träumt man in Krem- sier von der möglichen Freiheit in dem künftigen Oestreich, schasst im Traume den Adel ab, und dichtet ein Utopien in 3(1 Paragraphen. Unsere Regierung läßt aber vorläufig dem kleinen Dillctantcnthcater zu Krcmfler eine mäßige Bühnen- freiheit -- weil ohnehin nicht über diesen Winter hinaus dort gespielt werden wird. I. K. Der Reichstag in Kremsier und die Oestreicher. Die außerordentliche Spannung, welche in den letzten Wochen der östreichische Reichstag in Kremsier erzeugt hatte, mußte demselben beweisen, welches Vertrauen ans seine Wirksamkeit er noch im Volke genösse. Mit gleichem Zurufe munterte die Presse Böhmens, wie die Oestreichs, die gesammten Vertreter der Nationen auf, lieber Gefahr zu lausen, die Auslösung zu erleiden, als in Folge der plötzlichen Erklärung Stadion'S irgend wie nachgiebig zu erscheinen. Die Nachricht einer Verbinvuug der Rechten mit der Linken am Reichstage hat die extremsten Hoffnungen hervorgebracht; die Journa¬ listen freuten sich des frischen Luftzuges, welcher die Gemüther unserer Patrioten durch¬ ziehe und in Prag wurde der unerwartete Ruf gehört: daß „endlich" die Rechte ihre und der Czechen Ehre rette. Die Gerüchte über sehr ucche Auflösung der Kammer waren allgemein, so daß die ministerielle Presse Wiens eben so ernstlich dieselben be¬ sprach, als die Deputaten in der Kammer. Dies sind deutliche Beweise, welche Theilnahme der Kammer von allen Seiten und von allen Nationen geschenkt wurde. Erinnern wir uus nun, daß in dieser Kam¬ mer im September schon, ja auch eine» Monat früher, in dem magyarcusrcuudlichen Wien jener demonstrative Auftritt geschah, wo die Einheit der östreichischen Völker als Hauptziel die Regierung und einer großen Partei verlangt wurde, und wie von da die bis jetzt noch völlig unklare Zusammensetzung eiuer östreichischen Kammer aus allen Nationen, Polen, Ungarn und Italienern gepredigt ward, wie die Petitionen der siebenbürgischen Sachsen und die Vorschläge der Kroate» nicht minder als die kaiser¬ lichen Proclamationen den Zusammentritt dieses Reichstages in Aussicht stellten! Die Großartigkeit der Idee, welche Borrvsch in der Numpfkammcr Wiens wäh¬ rend der Octobcrercignisse unter allgemeinem Enthusiasmus derselben Wiener verkündigte, die nicht blos gegen die Art und Weise, sondern überhaupt gegen die Einmischung der Negierung in den ungarischen Kampf die Waffen ergriffen, hat im Volke Bewunderung erregt, und es ist uicht Eine Stimme laut geworden, welche ein anderes Mittel ge¬ wußt hätte, um die Einigung Oestreichs zugleich mit allen Garantien der Kraft, Frei¬ heit und Entwicklung zu erzielen. Die Armee hat mittlerweile mit ihren centralisirten Corps an allen Punkten der ausgedehnten Monarchie eine eigenthümliche Einheit rasch wieder hergestellt und in diesen Tagen sogar dasselbe bürgerliche und Strafgesetz über alle diese früher so verschiedenen Lande ausgebreitet, indem das Standrecht und das Kriegsgesctz gegenwärtig nicht blos in dem Königreiche Polen, sondern auch i» Italien und im ganzen ungarischen Antheile aufgepflanzt sind, die Civilbehördcn nnter die Militär¬ gerichte gestellt, alle Clubs, jede Presse, jedes nationale oder politische Abzeichen und somit jeder Versuch der nationalen Separationen ohne irgend eine Ausnahme vom Grunde aus vernichtet wurden. Deutschland selber hat in der Schwierigkeit zwischen zwei Großmächten einig zu wer¬ den, manche Fäden abgeschnitten, welche an dem einen Theile Oestreichs seitwärts zogen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/204>, abgerufen am 22.12.2024.