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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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großen Märzcatastrophe noch nirgends so ganz handgreiflich und aller Beschöni¬
gungen bar zu Tage gekommen, und doch steht es hier nicht viel anders als dort
aus. -- Sobald von Ncichswegcu Anstalt zum Mediatisiren gemacht worden
wäre, hätte man zunächst auf eine Wiederholung der schandbaren Scenen der Jahre
180 t und 2 zu rechnen gehabt. Der weiße Czar im Norden und die weiße Re¬
publik im Westen und unsere deutschen Fürsten -- genau dasselbe Personale wie
damals, und ich wette, die zweite Vorstellung des Stücks hätte der ersten, wenig¬
stens so viel auf den guten Willen der Schauspieler ankam, nichts nachgegeben.
Dazu der Chorus der residenzlerischen Spießbürger, groß und klein, mit seinem
Familienjammer und seinen dumpfen Auti- und Sympathien, seinem Hochmuth
und seiner Faulheit; der Polyp der Bureaukratie, der hungrige Hofadel -- Himmel
und Hölle würden sie in Bewegung gesetzt haben und uicht etwa mit Gebeten und
Processionen; und es hätte wahrhaftig eines Drachentödters, gewaltiger noch als
Apoll oder Siegfried, bedurft, um der aus allen Ecken und Enden hervorznäugcln-
den hundertköpfigen Brut den Garaus zu machen. Wo wäre der zu finden ge¬
wesen? Ich sehe mich unter all den 45 Millionen vergebens um, und deshalb ist's
gut, daß das Experiment unterblieben ist.

Aber das sind nur Traumbilder, wie die Sachen wirklich standen, hätte die
Nationalversammlung höchstens in Champagnerrausche der Maitage das Aufhören
dieser oder jener Dynastie und ihres Städtchens decretiren können, später und be¬
sonders in dem so durch und durch nüchternen December wäre ein ähnlicher Be¬
schluß für eine plötzliche Anwandlung von Tollheit gehalten worden.

sonach war der panische Schrecken bei den Betheiligten in jeder Hinsicht
überflüssig. Sie konnten so gut wissen, wie die andern es wußten, daß man von
Frankfurt aus Fürsten und Völker ruhig in der angestammten Misere lassen würde-
Seht dessen überall Adressenpropaganda, in größter Stille Volksversammlungen,
Notenwechsel und Conrricre nach allen Himmelsgegenden, kurz Aufregung und Be¬
stürzung vom Thron bis zur Hütte. Es war, als sei bereits das Absetznngsdecret
unterwegs und als rüste man sich noch zu dem letzten Verzweiflungskampf für die
theuren Penaten. Mail bedenke nur, was daS heißen will, wenn in einem fast
nur von einzeln wohnenden Ackerleuten bevölkerten Ländchen wie Lippe-Detmold
in kaum drei Wochen eine Niescnpetition oder Protestation mit zehntausend Unter¬
schriften bedeckt zu Stande kommen soll. Wo Hunderttausende in den Kreis einer
Ringmauer gebannt sind, in London, Paris, Wien, Berlin ist es kein Kunststück,
wohl aber, wo sich uach den gewöhnlichen statistischen Angaben kaum Zehntausend
finden, die ihren Namen schreiben können.

Schmerling ist inzwischen gefallen, aber es spuken noch so manche kleine An¬
denken an demselben vor unseren Augen herum, und besonders seine Mediatisations-
Plänchen, für die er ohne auf das Parlament Rücksicht zu nehmen, mancherlei
eingefädelt hatte, haben ihn überdauert, aber wohl antes nur, um baldig hinter


großen Märzcatastrophe noch nirgends so ganz handgreiflich und aller Beschöni¬
gungen bar zu Tage gekommen, und doch steht es hier nicht viel anders als dort
aus. — Sobald von Ncichswegcu Anstalt zum Mediatisiren gemacht worden
wäre, hätte man zunächst auf eine Wiederholung der schandbaren Scenen der Jahre
180 t und 2 zu rechnen gehabt. Der weiße Czar im Norden und die weiße Re¬
publik im Westen und unsere deutschen Fürsten — genau dasselbe Personale wie
damals, und ich wette, die zweite Vorstellung des Stücks hätte der ersten, wenig¬
stens so viel auf den guten Willen der Schauspieler ankam, nichts nachgegeben.
Dazu der Chorus der residenzlerischen Spießbürger, groß und klein, mit seinem
Familienjammer und seinen dumpfen Auti- und Sympathien, seinem Hochmuth
und seiner Faulheit; der Polyp der Bureaukratie, der hungrige Hofadel — Himmel
und Hölle würden sie in Bewegung gesetzt haben und uicht etwa mit Gebeten und
Processionen; und es hätte wahrhaftig eines Drachentödters, gewaltiger noch als
Apoll oder Siegfried, bedurft, um der aus allen Ecken und Enden hervorznäugcln-
den hundertköpfigen Brut den Garaus zu machen. Wo wäre der zu finden ge¬
wesen? Ich sehe mich unter all den 45 Millionen vergebens um, und deshalb ist's
gut, daß das Experiment unterblieben ist.

Aber das sind nur Traumbilder, wie die Sachen wirklich standen, hätte die
Nationalversammlung höchstens in Champagnerrausche der Maitage das Aufhören
dieser oder jener Dynastie und ihres Städtchens decretiren können, später und be¬
sonders in dem so durch und durch nüchternen December wäre ein ähnlicher Be¬
schluß für eine plötzliche Anwandlung von Tollheit gehalten worden.

sonach war der panische Schrecken bei den Betheiligten in jeder Hinsicht
überflüssig. Sie konnten so gut wissen, wie die andern es wußten, daß man von
Frankfurt aus Fürsten und Völker ruhig in der angestammten Misere lassen würde-
Seht dessen überall Adressenpropaganda, in größter Stille Volksversammlungen,
Notenwechsel und Conrricre nach allen Himmelsgegenden, kurz Aufregung und Be¬
stürzung vom Thron bis zur Hütte. Es war, als sei bereits das Absetznngsdecret
unterwegs und als rüste man sich noch zu dem letzten Verzweiflungskampf für die
theuren Penaten. Mail bedenke nur, was daS heißen will, wenn in einem fast
nur von einzeln wohnenden Ackerleuten bevölkerten Ländchen wie Lippe-Detmold
in kaum drei Wochen eine Niescnpetition oder Protestation mit zehntausend Unter¬
schriften bedeckt zu Stande kommen soll. Wo Hunderttausende in den Kreis einer
Ringmauer gebannt sind, in London, Paris, Wien, Berlin ist es kein Kunststück,
wohl aber, wo sich uach den gewöhnlichen statistischen Angaben kaum Zehntausend
finden, die ihren Namen schreiben können.

Schmerling ist inzwischen gefallen, aber es spuken noch so manche kleine An¬
denken an demselben vor unseren Augen herum, und besonders seine Mediatisations-
Plänchen, für die er ohne auf das Parlament Rücksicht zu nehmen, mancherlei
eingefädelt hatte, haben ihn überdauert, aber wohl antes nur, um baldig hinter


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[0189] großen Märzcatastrophe noch nirgends so ganz handgreiflich und aller Beschöni¬ gungen bar zu Tage gekommen, und doch steht es hier nicht viel anders als dort aus. — Sobald von Ncichswegcu Anstalt zum Mediatisiren gemacht worden wäre, hätte man zunächst auf eine Wiederholung der schandbaren Scenen der Jahre 180 t und 2 zu rechnen gehabt. Der weiße Czar im Norden und die weiße Re¬ publik im Westen und unsere deutschen Fürsten — genau dasselbe Personale wie damals, und ich wette, die zweite Vorstellung des Stücks hätte der ersten, wenig¬ stens so viel auf den guten Willen der Schauspieler ankam, nichts nachgegeben. Dazu der Chorus der residenzlerischen Spießbürger, groß und klein, mit seinem Familienjammer und seinen dumpfen Auti- und Sympathien, seinem Hochmuth und seiner Faulheit; der Polyp der Bureaukratie, der hungrige Hofadel — Himmel und Hölle würden sie in Bewegung gesetzt haben und uicht etwa mit Gebeten und Processionen; und es hätte wahrhaftig eines Drachentödters, gewaltiger noch als Apoll oder Siegfried, bedurft, um der aus allen Ecken und Enden hervorznäugcln- den hundertköpfigen Brut den Garaus zu machen. Wo wäre der zu finden ge¬ wesen? Ich sehe mich unter all den 45 Millionen vergebens um, und deshalb ist's gut, daß das Experiment unterblieben ist. Aber das sind nur Traumbilder, wie die Sachen wirklich standen, hätte die Nationalversammlung höchstens in Champagnerrausche der Maitage das Aufhören dieser oder jener Dynastie und ihres Städtchens decretiren können, später und be¬ sonders in dem so durch und durch nüchternen December wäre ein ähnlicher Be¬ schluß für eine plötzliche Anwandlung von Tollheit gehalten worden. sonach war der panische Schrecken bei den Betheiligten in jeder Hinsicht überflüssig. Sie konnten so gut wissen, wie die andern es wußten, daß man von Frankfurt aus Fürsten und Völker ruhig in der angestammten Misere lassen würde- Seht dessen überall Adressenpropaganda, in größter Stille Volksversammlungen, Notenwechsel und Conrricre nach allen Himmelsgegenden, kurz Aufregung und Be¬ stürzung vom Thron bis zur Hütte. Es war, als sei bereits das Absetznngsdecret unterwegs und als rüste man sich noch zu dem letzten Verzweiflungskampf für die theuren Penaten. Mail bedenke nur, was daS heißen will, wenn in einem fast nur von einzeln wohnenden Ackerleuten bevölkerten Ländchen wie Lippe-Detmold in kaum drei Wochen eine Niescnpetition oder Protestation mit zehntausend Unter¬ schriften bedeckt zu Stande kommen soll. Wo Hunderttausende in den Kreis einer Ringmauer gebannt sind, in London, Paris, Wien, Berlin ist es kein Kunststück, wohl aber, wo sich uach den gewöhnlichen statistischen Angaben kaum Zehntausend finden, die ihren Namen schreiben können. Schmerling ist inzwischen gefallen, aber es spuken noch so manche kleine An¬ denken an demselben vor unseren Augen herum, und besonders seine Mediatisations- Plänchen, für die er ohne auf das Parlament Rücksicht zu nehmen, mancherlei eingefädelt hatte, haben ihn überdauert, aber wohl antes nur, um baldig hinter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/189>, abgerufen am 23.12.2024.