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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Das Goldland Californien und seine Bedeutung
für uns.



Die Märchen aus 100 l Nacht werden wieder lebendig. Wie einst Sindbad
der Seefahrer, so ziehen jetzt Tausende, ungeheure Taschen in den Aankeeröcken,
aus Onkel Sam's Land nach der Küste des Gotthards. Der Arzt gießt die Me¬
dizinflasche verächtlich auf das Bett des Patienten, der Advocat fährt in die Reise¬
stiefeln und Kläger und Verklagter ziehen versöhnt hinter ihm her, und lassen
das Haus, um das sie processirten, den Ratten; der Matrose entläuft seinem Schiffs
der Schuster seiner Kugellampe, der Schneider dem Bügeleisen; Alle stürzen über
Hals und Kopf nach dem Lande der Verheißung, um Sand zu waschen. Mit
Urwaldsäxten und Federmessern wird in die Erde gewühlt, jeder Stand, jedes
Alter beugt seinen Rücken, um auf außerordentlichem Wege schnell zu werden,
was man nach ordentlichem Lauf der Dinge nnr laugsam und selten wird -- reich,
glücklich! Und wie immer folgen der Habgier auf dem Fuße auch hier die wider¬
lichen Dämonen: Betrug, Raub, Mort, Auflösung alles sittlichen Lebens und zu¬
letzt -- der Hunger. Auch er. Wo ein Laib Brod mit 2 Thalern bezahlt wird,
muß der verhungern, welcher täglich nur einen zu verzehren hat.

Wir sind glücklicherweise so weit von der neuen Goldqnelle entfernt, daß das
Unheil, welches mit dem glänzenden Metall ans ihr aufsteigt, uns schwerlich er¬
reichen wird. Und wie ein Märchen mögen wir die Zeitungsberichte über das
Treiben im Goldwäscherlande ohne leidenschaftliche Aufregung lesen. Aber der cal-
culireude Verstand hat auch unsere Zukunft mit jenen Entdeckungen in Verbin¬
dung gebracht. Und da es klar ist, daß die nachhaltige Ausgiebigkeit der
amerikanischen Fundorte die Masse des Goldes sehr vermehren, also seinen hohen
Werth auch bei uns verringern wird, so ist von achtungswerthen Stimmen in den
Vereinigten Staaten und bei uns versucht worden, die Folgen, welche diese be¬
vorstehende Veränderung des GvldwerthS auf den Geld- und Güterverkehr der ge¬
stimmten Erde ausüben müsse, zu erklären. Am Schluß eines interessanten Artikels
über Californien in der Beilage zu Nro. 17 des preußischen Staatsanzeigers wird
als amerikanische Ansicht dargestellt, daß selbst bei einem jährlichen Gewinn von
3 bis 4 Millionen Dollar an Gold diese Summe durch die wachsende Be¬
völkerung, die Handelsenergie und steigenden Luxusbedürfnisse Amerikas schnell und
vollständig in Vertrieb kommen müsse, daß aber allerdings von Amerika eine Art von
Goldfluth über die Erde strömen werde. Sobald diese sich in's Gleichgewicht
setzt, würde eine allgemeine Erhöhung der Preise und eine Entwerthung der
Geldrenten und Dividenden sehr bald eintreten. -- Dies ist für Nordamerika


Das Goldland Californien und seine Bedeutung
für uns.



Die Märchen aus 100 l Nacht werden wieder lebendig. Wie einst Sindbad
der Seefahrer, so ziehen jetzt Tausende, ungeheure Taschen in den Aankeeröcken,
aus Onkel Sam's Land nach der Küste des Gotthards. Der Arzt gießt die Me¬
dizinflasche verächtlich auf das Bett des Patienten, der Advocat fährt in die Reise¬
stiefeln und Kläger und Verklagter ziehen versöhnt hinter ihm her, und lassen
das Haus, um das sie processirten, den Ratten; der Matrose entläuft seinem Schiffs
der Schuster seiner Kugellampe, der Schneider dem Bügeleisen; Alle stürzen über
Hals und Kopf nach dem Lande der Verheißung, um Sand zu waschen. Mit
Urwaldsäxten und Federmessern wird in die Erde gewühlt, jeder Stand, jedes
Alter beugt seinen Rücken, um auf außerordentlichem Wege schnell zu werden,
was man nach ordentlichem Lauf der Dinge nnr laugsam und selten wird — reich,
glücklich! Und wie immer folgen der Habgier auf dem Fuße auch hier die wider¬
lichen Dämonen: Betrug, Raub, Mort, Auflösung alles sittlichen Lebens und zu¬
letzt — der Hunger. Auch er. Wo ein Laib Brod mit 2 Thalern bezahlt wird,
muß der verhungern, welcher täglich nur einen zu verzehren hat.

Wir sind glücklicherweise so weit von der neuen Goldqnelle entfernt, daß das
Unheil, welches mit dem glänzenden Metall ans ihr aufsteigt, uns schwerlich er¬
reichen wird. Und wie ein Märchen mögen wir die Zeitungsberichte über das
Treiben im Goldwäscherlande ohne leidenschaftliche Aufregung lesen. Aber der cal-
culireude Verstand hat auch unsere Zukunft mit jenen Entdeckungen in Verbin¬
dung gebracht. Und da es klar ist, daß die nachhaltige Ausgiebigkeit der
amerikanischen Fundorte die Masse des Goldes sehr vermehren, also seinen hohen
Werth auch bei uns verringern wird, so ist von achtungswerthen Stimmen in den
Vereinigten Staaten und bei uns versucht worden, die Folgen, welche diese be¬
vorstehende Veränderung des GvldwerthS auf den Geld- und Güterverkehr der ge¬
stimmten Erde ausüben müsse, zu erklären. Am Schluß eines interessanten Artikels
über Californien in der Beilage zu Nro. 17 des preußischen Staatsanzeigers wird
als amerikanische Ansicht dargestellt, daß selbst bei einem jährlichen Gewinn von
3 bis 4 Millionen Dollar an Gold diese Summe durch die wachsende Be¬
völkerung, die Handelsenergie und steigenden Luxusbedürfnisse Amerikas schnell und
vollständig in Vertrieb kommen müsse, daß aber allerdings von Amerika eine Art von
Goldfluth über die Erde strömen werde. Sobald diese sich in's Gleichgewicht
setzt, würde eine allgemeine Erhöhung der Preise und eine Entwerthung der
Geldrenten und Dividenden sehr bald eintreten. — Dies ist für Nordamerika


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[0178] Das Goldland Californien und seine Bedeutung für uns. Die Märchen aus 100 l Nacht werden wieder lebendig. Wie einst Sindbad der Seefahrer, so ziehen jetzt Tausende, ungeheure Taschen in den Aankeeröcken, aus Onkel Sam's Land nach der Küste des Gotthards. Der Arzt gießt die Me¬ dizinflasche verächtlich auf das Bett des Patienten, der Advocat fährt in die Reise¬ stiefeln und Kläger und Verklagter ziehen versöhnt hinter ihm her, und lassen das Haus, um das sie processirten, den Ratten; der Matrose entläuft seinem Schiffs der Schuster seiner Kugellampe, der Schneider dem Bügeleisen; Alle stürzen über Hals und Kopf nach dem Lande der Verheißung, um Sand zu waschen. Mit Urwaldsäxten und Federmessern wird in die Erde gewühlt, jeder Stand, jedes Alter beugt seinen Rücken, um auf außerordentlichem Wege schnell zu werden, was man nach ordentlichem Lauf der Dinge nnr laugsam und selten wird — reich, glücklich! Und wie immer folgen der Habgier auf dem Fuße auch hier die wider¬ lichen Dämonen: Betrug, Raub, Mort, Auflösung alles sittlichen Lebens und zu¬ letzt — der Hunger. Auch er. Wo ein Laib Brod mit 2 Thalern bezahlt wird, muß der verhungern, welcher täglich nur einen zu verzehren hat. Wir sind glücklicherweise so weit von der neuen Goldqnelle entfernt, daß das Unheil, welches mit dem glänzenden Metall ans ihr aufsteigt, uns schwerlich er¬ reichen wird. Und wie ein Märchen mögen wir die Zeitungsberichte über das Treiben im Goldwäscherlande ohne leidenschaftliche Aufregung lesen. Aber der cal- culireude Verstand hat auch unsere Zukunft mit jenen Entdeckungen in Verbin¬ dung gebracht. Und da es klar ist, daß die nachhaltige Ausgiebigkeit der amerikanischen Fundorte die Masse des Goldes sehr vermehren, also seinen hohen Werth auch bei uns verringern wird, so ist von achtungswerthen Stimmen in den Vereinigten Staaten und bei uns versucht worden, die Folgen, welche diese be¬ vorstehende Veränderung des GvldwerthS auf den Geld- und Güterverkehr der ge¬ stimmten Erde ausüben müsse, zu erklären. Am Schluß eines interessanten Artikels über Californien in der Beilage zu Nro. 17 des preußischen Staatsanzeigers wird als amerikanische Ansicht dargestellt, daß selbst bei einem jährlichen Gewinn von 3 bis 4 Millionen Dollar an Gold diese Summe durch die wachsende Be¬ völkerung, die Handelsenergie und steigenden Luxusbedürfnisse Amerikas schnell und vollständig in Vertrieb kommen müsse, daß aber allerdings von Amerika eine Art von Goldfluth über die Erde strömen werde. Sobald diese sich in's Gleichgewicht setzt, würde eine allgemeine Erhöhung der Preise und eine Entwerthung der Geldrenten und Dividenden sehr bald eintreten. — Dies ist für Nordamerika

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/178>, abgerufen am 22.12.2024.