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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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signale zur befreundeten Galerieseite u. s. w. bereits im Uebermaaß angewendet,
vom Viceprästdenten Beseler nicht beschwichtigt, dagegen durch einen Blick des
herrschgewohnten Auges Gagerns wenigstens einige Male unterbrochen worden
waren -- raste der parlamentarische Orkan los. Venedey stürzte mit klagender
Stimme auf die Tribüne, hatte wieder 45 Millionen hinter sich, welche durch
jenen Antrag verrathen waren und befahl Uebergang zur motivirten Tagesordnung.
Moritz Hartmann suchte in einer durch sein scharfes S. etwas genirten Dithyrambe Hrn.
VenHey's Forderung noch zu überbieten, indem er Tagesordnung ohne Motivi-
rung verordnete. Einen Zuhörer ans der Galerie hörte ich diese Forderung er¬
klären, das heiße: eine Sache unangesehen bei Seite legen, weil man sich geistig
zu schwach fühle, sie zu verstehe". Es war dies jedenfalls nicht persönlich auf
Herrn Hartmann gemünzt.

Am Schlüsse jener Sitzung lagerte tiefe Bestürzung über den Männern,
welche eine wirkliche Einheit Deutschlands, ein wirkliches deutsches Reich als höch¬
stes Ziel ihres Lebens festhalten. Denn daß ein solches nicht zu Staude kommen
kann mit Oestreich -- darüber zweifelt nur, wer weder die Geschichte noch
Oestreich selber kennt. Dazu war Gagern vergeudet, nutzlos vergeudet der
edelste Deutsche, der Washington unserer Revolution.

In der nächsten Sitzung stimmten sämmtliche Oestreicher und die Ultra-
montanen mit der Linken, Süddeutschland gegen Mittel- und Norddeutschland,
der Katholizismus und katholisch geneigte Protestantismus gegen das lutherische
Element. Im pariser Hofe hatte sich der Club der Oestreicher constituirt. Am
21. December reiste Herr v. Schmerling in der Richtung gen Wien, und schon
in Leipzig nahm er die Berufung zum östreichischen Bevollmächtigten bei der
Centralgewalt in Empfang.

Das war das Weihnachten des großen Revolutionsjahres 1848, welches mau
Deutschland in Frankfurt bereitete.




Der Belagerungszustand von Berlin.

So ist es denn ausgeübt, das Recht der rettenden That, die entsetzlichen Gestal¬
ten sind verschwunden von unsern Straßen und ein verwesender Reichscommissar kann
dreist eintreten in die Ringmauern Berlins, ohne sich vorher in Potsdam mit Hoff-
mannstropscn und Lnu alö ^vio^ne zu versorgen. Die Stadt des Weißbiers hat ihr
ganzes sashionables Ansehen wiedergewonnen, die alte Gemüthlichkeit und jener bekannte
naseweise, aber harmlose Eckenstehcrwitz sind aufs Neue bei ihren Bürgern eingekehrt
und haben die politisirendc Kannengießcrci verdrängt. Eins nur macht mich besorgt:
der Traum eines rothen Republikaners hängt noch immer an den Schaufenstern aus.
Ist das bloße Vergeßlichkeit seitens des Oberbefehlshabers in den Marken oder steckt ein
diplomatischer Kniff dahinter? will man ihn nochmals als Einschüchterungsmittel be"
nutzen? -- Im übrigen aber ist Alles in der herrlichsten Ordnung; Niemand erwähnt
mehr der Schreckenszeitcn der Anarchie, wenigstens nicht ohne sich zu segnen und zu


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signale zur befreundeten Galerieseite u. s. w. bereits im Uebermaaß angewendet,
vom Viceprästdenten Beseler nicht beschwichtigt, dagegen durch einen Blick des
herrschgewohnten Auges Gagerns wenigstens einige Male unterbrochen worden
waren — raste der parlamentarische Orkan los. Venedey stürzte mit klagender
Stimme auf die Tribüne, hatte wieder 45 Millionen hinter sich, welche durch
jenen Antrag verrathen waren und befahl Uebergang zur motivirten Tagesordnung.
Moritz Hartmann suchte in einer durch sein scharfes S. etwas genirten Dithyrambe Hrn.
VenHey's Forderung noch zu überbieten, indem er Tagesordnung ohne Motivi-
rung verordnete. Einen Zuhörer ans der Galerie hörte ich diese Forderung er¬
klären, das heiße: eine Sache unangesehen bei Seite legen, weil man sich geistig
zu schwach fühle, sie zu verstehe«. Es war dies jedenfalls nicht persönlich auf
Herrn Hartmann gemünzt.

Am Schlüsse jener Sitzung lagerte tiefe Bestürzung über den Männern,
welche eine wirkliche Einheit Deutschlands, ein wirkliches deutsches Reich als höch¬
stes Ziel ihres Lebens festhalten. Denn daß ein solches nicht zu Staude kommen
kann mit Oestreich — darüber zweifelt nur, wer weder die Geschichte noch
Oestreich selber kennt. Dazu war Gagern vergeudet, nutzlos vergeudet der
edelste Deutsche, der Washington unserer Revolution.

In der nächsten Sitzung stimmten sämmtliche Oestreicher und die Ultra-
montanen mit der Linken, Süddeutschland gegen Mittel- und Norddeutschland,
der Katholizismus und katholisch geneigte Protestantismus gegen das lutherische
Element. Im pariser Hofe hatte sich der Club der Oestreicher constituirt. Am
21. December reiste Herr v. Schmerling in der Richtung gen Wien, und schon
in Leipzig nahm er die Berufung zum östreichischen Bevollmächtigten bei der
Centralgewalt in Empfang.

Das war das Weihnachten des großen Revolutionsjahres 1848, welches mau
Deutschland in Frankfurt bereitete.




Der Belagerungszustand von Berlin.

So ist es denn ausgeübt, das Recht der rettenden That, die entsetzlichen Gestal¬
ten sind verschwunden von unsern Straßen und ein verwesender Reichscommissar kann
dreist eintreten in die Ringmauern Berlins, ohne sich vorher in Potsdam mit Hoff-
mannstropscn und Lnu alö ^vio^ne zu versorgen. Die Stadt des Weißbiers hat ihr
ganzes sashionables Ansehen wiedergewonnen, die alte Gemüthlichkeit und jener bekannte
naseweise, aber harmlose Eckenstehcrwitz sind aufs Neue bei ihren Bürgern eingekehrt
und haben die politisirendc Kannengießcrci verdrängt. Eins nur macht mich besorgt:
der Traum eines rothen Republikaners hängt noch immer an den Schaufenstern aus.
Ist das bloße Vergeßlichkeit seitens des Oberbefehlshabers in den Marken oder steckt ein
diplomatischer Kniff dahinter? will man ihn nochmals als Einschüchterungsmittel be«
nutzen? — Im übrigen aber ist Alles in der herrlichsten Ordnung; Niemand erwähnt
mehr der Schreckenszeitcn der Anarchie, wenigstens nicht ohne sich zu segnen und zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/161>, abgerufen am 22.12.2024.