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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Aeußerungen mancher Phrasenfeuerwerker hören, wie unangenehm die Gewalt jener
parlamentarischen Riesenkraft auf ihnen und ihren Fractionen laste, wie minder die
Ueberzeugung davon Gagerns Eintritt ins Ministerium befördern ließ, daß im
Gipfelstadtum der deutschen Krise (und sicherlich ist die Entscheidung der östreichisch¬
deutschen mit der Kaiserfrage als solches anzusehen) die vertrauenreichste und edelste
Persönlichkeit an die Spitze der Reichsverwaltung gestellt werden müsse, sondern
vielmehr die stille Hoffnung, diese gewaltige Kraft und diese unangetastete Persön¬
lichkeit werde in solcher Stellung durch zersplitternde Angriffe zur ferneren Unmög¬
lichkeit werden, nachdem sie bis dahin in ihrer Ganzheit unbesiegbar dagestanden
hatte. Vielleicht mag die Perfidie eines solchen Planes nebst seinen Consequenzen
den Gegnern der Größe selbst nicht in so klarer, nackter Weise bewußt gewesen
sein; aber als die Dinge nach dieser Seite eingelenkt hatten, ließ man sie doch
mit ähnlichen Neben- und Nachgedanken heimlich lächelnd weiter schreiten. --
Und wenn nun Gagern sich vernichtet, wenn nun die ganze Arbeit des Parlamentes
zerfällt, wenn nun gar nichts zu Stande kommt, am wenigsten eine deutsche Ein¬
heit und Spitze, irgend ein neuer deutscher staatlicher Bestand? Was dann?
Nichts weiter, als neue Revolution, ein neues Parlament, worin natürlich die
äußerste Linke alleinherrschend wird, die Wiederholung des ganzen Jammers des
Jahres 1848, nur daß dann Jeder als Vaterlandsverräther proscribirt wird, welcher
nicht auf die Permanenz der Revolution als Gipfel deutscher Volksseligkeit und
Staatsvollkommenheit schwört!

Auch Dahlmann's Rede zu Gunsten des absoluten Veto wieß darauf hin,
wie mit der Machtlosigkeitserklärung der obersten Staatsmacht durch ein nur be¬
dingtes Vereinigungsrecht die Revolution, oder vielmehr die staatsmörderische Un¬
sicherheit permanenter Revolte zur herrschenden Macht erhoben werde. Die Rede
war überhaupt eine Weihnachtsgabe an Deutschland, eben so voll edelsten Gehaltes,
ganz vom selben sichern Gepräge, wie die Worte "zur Beherzigung" in der ersten
Nummer des neuen Jahrganges der Deutschen Zeitung. Man kennt sie und hat
sie in den Kreisen besonnener Staatsgestaltuug ihrem gauzen Werthe nach gewür¬
digt. Wäre Dahlmann's Persönlichkeit für die Masse der Zuhörer wirksamer, wäre
sein Vortrag mächtiger, so müßte das Gewicht seiner Folgerungen, wenigstens in
dieser Frage, über die Abstimmung absolut entschieden haben. Aber sein persön¬
liches Erscheinen ist just der Gegensatz der parlamentarischen Wirkungsmittel, z. B.
Vincke's. Er steigt mühsam auf die Tribune und steht dort oben mit scheinbar
ganz in sich selbst hineingewandtem Antlitz. Er spricht langsam und leise, an
Deutlichkeit, wenigstens im Anfang der Rede, mit jenem nicht zu vergleichen.
Alle Nebendinge läßt er liegen, die aus der Masse etiva hervorbrechenden Gegen¬
äußerungen, für welche v. Vincke stets ein Wurfgeschoß erwiedernd bereit hält,
fallen unbeachtet am steinernen Ban der Dahlmann'schen Folgerungen nieder; er
ereifert sich nie, er stört und unterbricht sich nie. Er arbeitet seine That zu Ende


Aeußerungen mancher Phrasenfeuerwerker hören, wie unangenehm die Gewalt jener
parlamentarischen Riesenkraft auf ihnen und ihren Fractionen laste, wie minder die
Ueberzeugung davon Gagerns Eintritt ins Ministerium befördern ließ, daß im
Gipfelstadtum der deutschen Krise (und sicherlich ist die Entscheidung der östreichisch¬
deutschen mit der Kaiserfrage als solches anzusehen) die vertrauenreichste und edelste
Persönlichkeit an die Spitze der Reichsverwaltung gestellt werden müsse, sondern
vielmehr die stille Hoffnung, diese gewaltige Kraft und diese unangetastete Persön¬
lichkeit werde in solcher Stellung durch zersplitternde Angriffe zur ferneren Unmög¬
lichkeit werden, nachdem sie bis dahin in ihrer Ganzheit unbesiegbar dagestanden
hatte. Vielleicht mag die Perfidie eines solchen Planes nebst seinen Consequenzen
den Gegnern der Größe selbst nicht in so klarer, nackter Weise bewußt gewesen
sein; aber als die Dinge nach dieser Seite eingelenkt hatten, ließ man sie doch
mit ähnlichen Neben- und Nachgedanken heimlich lächelnd weiter schreiten. —
Und wenn nun Gagern sich vernichtet, wenn nun die ganze Arbeit des Parlamentes
zerfällt, wenn nun gar nichts zu Stande kommt, am wenigsten eine deutsche Ein¬
heit und Spitze, irgend ein neuer deutscher staatlicher Bestand? Was dann?
Nichts weiter, als neue Revolution, ein neues Parlament, worin natürlich die
äußerste Linke alleinherrschend wird, die Wiederholung des ganzen Jammers des
Jahres 1848, nur daß dann Jeder als Vaterlandsverräther proscribirt wird, welcher
nicht auf die Permanenz der Revolution als Gipfel deutscher Volksseligkeit und
Staatsvollkommenheit schwört!

Auch Dahlmann's Rede zu Gunsten des absoluten Veto wieß darauf hin,
wie mit der Machtlosigkeitserklärung der obersten Staatsmacht durch ein nur be¬
dingtes Vereinigungsrecht die Revolution, oder vielmehr die staatsmörderische Un¬
sicherheit permanenter Revolte zur herrschenden Macht erhoben werde. Die Rede
war überhaupt eine Weihnachtsgabe an Deutschland, eben so voll edelsten Gehaltes,
ganz vom selben sichern Gepräge, wie die Worte „zur Beherzigung" in der ersten
Nummer des neuen Jahrganges der Deutschen Zeitung. Man kennt sie und hat
sie in den Kreisen besonnener Staatsgestaltuug ihrem gauzen Werthe nach gewür¬
digt. Wäre Dahlmann's Persönlichkeit für die Masse der Zuhörer wirksamer, wäre
sein Vortrag mächtiger, so müßte das Gewicht seiner Folgerungen, wenigstens in
dieser Frage, über die Abstimmung absolut entschieden haben. Aber sein persön¬
liches Erscheinen ist just der Gegensatz der parlamentarischen Wirkungsmittel, z. B.
Vincke's. Er steigt mühsam auf die Tribune und steht dort oben mit scheinbar
ganz in sich selbst hineingewandtem Antlitz. Er spricht langsam und leise, an
Deutlichkeit, wenigstens im Anfang der Rede, mit jenem nicht zu vergleichen.
Alle Nebendinge läßt er liegen, die aus der Masse etiva hervorbrechenden Gegen¬
äußerungen, für welche v. Vincke stets ein Wurfgeschoß erwiedernd bereit hält,
fallen unbeachtet am steinernen Ban der Dahlmann'schen Folgerungen nieder; er
ereifert sich nie, er stört und unterbricht sich nie. Er arbeitet seine That zu Ende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/158>, abgerufen am 23.07.2024.