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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mit, wieder in demselben alten Gegensatze. Zuerst wurde die wüste Stegreifcomödie
durch Gottsched, der selbst noch ein gelehrter Pedant der alten Zeit war, aber
Maaß und Form der antikisirenden französischen Komödie einführte, und durch
große Schauspielercharaktere, wie die Neuberin einer war, vernichtet, dann tritt
mit Lesstng und den Schauspieler Eckhof die Schönheit in Dichtung und Dar¬
stellung ein, die geniale Gewalt der Kunst wurde durch das Genie Schröters und
seine Germanistrung Shakespeares empfunden, und Goethe und Schiller rissen auf
ihrem Fluge die Kunst mit sich fort, zu einer Höhe, wo sich deutsche Natur und
antike Schönheit in einer originalen, neuen Verbindung zusammenfaßten. Zu gleicher
Zeit aber entstand eine Reaction des deutschen Gemüthes gegen den plötzlichen
Aufschwung, welchen die Kunst durch das Herbeiziehen so ungeheurer fremdartiger
Bildungselemente genommen hatte. Es wiederholt sich das alte Gegenspiel der
Gelehrten und Volkskraft, jetzt freilich in weit höherem Gebiet, innerhalb der Grenzen
des Schönen. Wenn Lessing noch, wie früher Hans Sachs, in der Empfindungsweise
des deutschen Volkes festgewurzelt hatte, so trat die Weimarische Schule ihr schon an¬
spruchsvoll gegenüber, bildete sich schon in Ifflands Familiendramen und Schauspieler¬
schule eine Reaction der bürgerlichen Behaglichkeit gegen den übermüthigen Kunstflug
der idealistischen Dichter; schon Kotzebue stöhnte dem Tagesgeschmack der Massen,
verflachte und höhlte die Charaktere bis zur Gemeinheit, und seit ihm gewann die
Trivialität, der ungebildete Appetit des Volkes immer mehr Bühnenraum. Wohl
hatte sich auch der Geschmack der Menge sehr umgewandelt, der Deutsche hatte
sein öffentliches Leben verloren, war Familienmensch geworden und neben den
Tugenden einer ehrbaren Häuslichkeit, war eine weichliche Sentimentalität, klein¬
liche Neugierde und philiströse Engbrüstigkeit in ihn gefahren. Diesen Tugenden
und Schwächen diente die Kunst, gemüthliches Stillleben, pikante Familienanekdoten,
unbedeutende Liebesintriguen liefen zahllos und zerrinnend, wie Queckfilbertropfen,
über die Bühne. Immer matter wurde der Kampf der Idealisten, vereinzelte Erfolge
konnten dem populären Element nicht die Waage halten. Von Süddeutschland
drang die Burleske aus alle Theater und selbst diese wurde mit jedem Jahr platter
und gemeiner. Freilich blieb der Nation ihr großer Vorrath von Dramen höheren
Styls, der ganze unendliche Schatz von ästhetischem Wissen, Shakespeare, Cal-
deron, sogar Sophokles standen neben Goethe und Schiller als gepriesene Statuen
am Eingange der Schauspielhäuser, aber ihr Einfluß auf deu Geschmack des
Publikums wurde, ehrlich gestanden, immer unbedeutender. Noch ist es nicht
besser. Noch ist der alte Gegensatz zwischen Gelehrten und Volk nicht überwunden,
Goethe und Schiller sind in diesem Sinn gelehrte Dichter und die Blüthe der
dramatischen Kunst, welche sie hervorlockten, verkümmerte daran. Die Dramen,
welche sie und ihre Nachfolger schrieben, waren "Bücherdramen", oft wirksamer
beim Lesen als bei der Aufführung, sie kannten nicht oder ignorirten die Lebens¬
bedingungen eines Theaterstücks. Und neben und nach ihnen, welch verschiedene


mit, wieder in demselben alten Gegensatze. Zuerst wurde die wüste Stegreifcomödie
durch Gottsched, der selbst noch ein gelehrter Pedant der alten Zeit war, aber
Maaß und Form der antikisirenden französischen Komödie einführte, und durch
große Schauspielercharaktere, wie die Neuberin einer war, vernichtet, dann tritt
mit Lesstng und den Schauspieler Eckhof die Schönheit in Dichtung und Dar¬
stellung ein, die geniale Gewalt der Kunst wurde durch das Genie Schröters und
seine Germanistrung Shakespeares empfunden, und Goethe und Schiller rissen auf
ihrem Fluge die Kunst mit sich fort, zu einer Höhe, wo sich deutsche Natur und
antike Schönheit in einer originalen, neuen Verbindung zusammenfaßten. Zu gleicher
Zeit aber entstand eine Reaction des deutschen Gemüthes gegen den plötzlichen
Aufschwung, welchen die Kunst durch das Herbeiziehen so ungeheurer fremdartiger
Bildungselemente genommen hatte. Es wiederholt sich das alte Gegenspiel der
Gelehrten und Volkskraft, jetzt freilich in weit höherem Gebiet, innerhalb der Grenzen
des Schönen. Wenn Lessing noch, wie früher Hans Sachs, in der Empfindungsweise
des deutschen Volkes festgewurzelt hatte, so trat die Weimarische Schule ihr schon an¬
spruchsvoll gegenüber, bildete sich schon in Ifflands Familiendramen und Schauspieler¬
schule eine Reaction der bürgerlichen Behaglichkeit gegen den übermüthigen Kunstflug
der idealistischen Dichter; schon Kotzebue stöhnte dem Tagesgeschmack der Massen,
verflachte und höhlte die Charaktere bis zur Gemeinheit, und seit ihm gewann die
Trivialität, der ungebildete Appetit des Volkes immer mehr Bühnenraum. Wohl
hatte sich auch der Geschmack der Menge sehr umgewandelt, der Deutsche hatte
sein öffentliches Leben verloren, war Familienmensch geworden und neben den
Tugenden einer ehrbaren Häuslichkeit, war eine weichliche Sentimentalität, klein¬
liche Neugierde und philiströse Engbrüstigkeit in ihn gefahren. Diesen Tugenden
und Schwächen diente die Kunst, gemüthliches Stillleben, pikante Familienanekdoten,
unbedeutende Liebesintriguen liefen zahllos und zerrinnend, wie Queckfilbertropfen,
über die Bühne. Immer matter wurde der Kampf der Idealisten, vereinzelte Erfolge
konnten dem populären Element nicht die Waage halten. Von Süddeutschland
drang die Burleske aus alle Theater und selbst diese wurde mit jedem Jahr platter
und gemeiner. Freilich blieb der Nation ihr großer Vorrath von Dramen höheren
Styls, der ganze unendliche Schatz von ästhetischem Wissen, Shakespeare, Cal-
deron, sogar Sophokles standen neben Goethe und Schiller als gepriesene Statuen
am Eingange der Schauspielhäuser, aber ihr Einfluß auf deu Geschmack des
Publikums wurde, ehrlich gestanden, immer unbedeutender. Noch ist es nicht
besser. Noch ist der alte Gegensatz zwischen Gelehrten und Volk nicht überwunden,
Goethe und Schiller sind in diesem Sinn gelehrte Dichter und die Blüthe der
dramatischen Kunst, welche sie hervorlockten, verkümmerte daran. Die Dramen,
welche sie und ihre Nachfolger schrieben, waren „Bücherdramen", oft wirksamer
beim Lesen als bei der Aufführung, sie kannten nicht oder ignorirten die Lebens¬
bedingungen eines Theaterstücks. Und neben und nach ihnen, welch verschiedene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/140>, abgerufen am 23.07.2024.