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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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schen Intelligenz, garantut und erhalten werdsn, eben so wie sie dessen Integrität
bisher mit ausdauernder Kraft allein gewahrt haben. --

Außer deu hier genannten Persönlichkeiten, welche der Zeitgeschichte angehö¬
ren, finden wir im "rothen Igel" zu jener Zeit noch ein gemischtes Publikum,
welches den neutralen Boden im Entroezimmer besetzt hielt. Es besteht zumeist
aus jungen Banquiers, Börsenmännern und practizirenden Doctoren, welche unter
der Fahne des Radicalismus ein aufgeklärtes Schwarzgelbthum verfechten. Ihnen
dient die Politik als angenehme Würze bei ihrer wohlbestellten Tafel, sie debat-
tiren über die wichtigsten und inhaltschweren Tagesfragen in derselben leichten,
frivolen Weise, wie sie vor den Märztagen über Tänzerinnen, Theater und Con-
zerte sich amüsirt hatten, sie betrachten die Notabilitäten der Kammer mit derselben
Neugierde und drängen sich zu ihrer Bekanntschaft mit demselben Kitzel befriedigter
Eitelkeit, wie sie in den Tagen des schwelgerischen Absolutismus den Fetzen eines
Elster'schen Schnupftuches oder den modernen Frack eines fremden Gesandten be¬
gafft und sich zu eigen gemacht hatten.

Bei dieser Classe Menschen, welchen der ganze großartige Wechsel der Er¬
scheinungen in der modernen Weltgeschichte nichts als ein unerwarteter Zusam¬
menstoß von verschiedenartigen Börsenachrichtcn ist, deren Einfluß sich im Steigen
und Fallen der Course sehr empfindlich und einleuchtend fühlbar macht, bei diesen
nüchternen Speculationsseclen gilt nun allerdings der Satz: l'emxoi" ankamen-,
nur in seiner ersten Hälfte. Die zweite Hälfte desselben wahr zu machen, über¬
lassen sie den Modejournalen, ihren Schreibern und Haarkräuslcrn, oder den
Launen ihrer Gläubiger, welche je nach den Zeitverhältnissen Wechsel prolongiren
oder mit Schuldarrcst drohen. Die practizirenden Doctoren, welche wir ebenfalls
erwähnt, halten bekanntlich stets mit den Ansichten des Geldbeutels eng zusammen,
sie sind überdies gewöhnt, je nach Beschaffenheit ihrer Patienten, reactionär, li¬
beral, radical oder gänzlich unerfahren in der Politik zu sein. Die Revolution war
übrigens durch ihre fieberhaften Aufregungen den Stadtärzten so lange günstig,
als die Besitzenden noch nicht vor den Nadicalcuren der Demokraten die Flucht
ergriffen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkte hielten auch die Wiener Doctoren mit
der Entwicklung der Revolution gleichen Schritt und ihre Betheiligung an der
academischen Legion und an dem politischen Treiben war nicht gering. Doch mit
dem Monat September, wo die ersten Emigrationen von Seite ihrer besten Kun¬
den stattfanden, traten sie entschieden zur Fahne der Stockconservativen über. Die
Stürmer und Abzekchen der Legion schwanden in dem Maße von ihren Gestalten,
als die zarten Lillets <Zmix mit den glänzenden Jnlagen sich minderten. Im
October war fast kein einziger ausübender Arzt mehr in den Reihen der Legion
zu finden.


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schen Intelligenz, garantut und erhalten werdsn, eben so wie sie dessen Integrität
bisher mit ausdauernder Kraft allein gewahrt haben. —

Außer deu hier genannten Persönlichkeiten, welche der Zeitgeschichte angehö¬
ren, finden wir im „rothen Igel" zu jener Zeit noch ein gemischtes Publikum,
welches den neutralen Boden im Entroezimmer besetzt hielt. Es besteht zumeist
aus jungen Banquiers, Börsenmännern und practizirenden Doctoren, welche unter
der Fahne des Radicalismus ein aufgeklärtes Schwarzgelbthum verfechten. Ihnen
dient die Politik als angenehme Würze bei ihrer wohlbestellten Tafel, sie debat-
tiren über die wichtigsten und inhaltschweren Tagesfragen in derselben leichten,
frivolen Weise, wie sie vor den Märztagen über Tänzerinnen, Theater und Con-
zerte sich amüsirt hatten, sie betrachten die Notabilitäten der Kammer mit derselben
Neugierde und drängen sich zu ihrer Bekanntschaft mit demselben Kitzel befriedigter
Eitelkeit, wie sie in den Tagen des schwelgerischen Absolutismus den Fetzen eines
Elster'schen Schnupftuches oder den modernen Frack eines fremden Gesandten be¬
gafft und sich zu eigen gemacht hatten.

Bei dieser Classe Menschen, welchen der ganze großartige Wechsel der Er¬
scheinungen in der modernen Weltgeschichte nichts als ein unerwarteter Zusam¬
menstoß von verschiedenartigen Börsenachrichtcn ist, deren Einfluß sich im Steigen
und Fallen der Course sehr empfindlich und einleuchtend fühlbar macht, bei diesen
nüchternen Speculationsseclen gilt nun allerdings der Satz: l'emxoi» ankamen-,
nur in seiner ersten Hälfte. Die zweite Hälfte desselben wahr zu machen, über¬
lassen sie den Modejournalen, ihren Schreibern und Haarkräuslcrn, oder den
Launen ihrer Gläubiger, welche je nach den Zeitverhältnissen Wechsel prolongiren
oder mit Schuldarrcst drohen. Die practizirenden Doctoren, welche wir ebenfalls
erwähnt, halten bekanntlich stets mit den Ansichten des Geldbeutels eng zusammen,
sie sind überdies gewöhnt, je nach Beschaffenheit ihrer Patienten, reactionär, li¬
beral, radical oder gänzlich unerfahren in der Politik zu sein. Die Revolution war
übrigens durch ihre fieberhaften Aufregungen den Stadtärzten so lange günstig,
als die Besitzenden noch nicht vor den Nadicalcuren der Demokraten die Flucht
ergriffen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkte hielten auch die Wiener Doctoren mit
der Entwicklung der Revolution gleichen Schritt und ihre Betheiligung an der
academischen Legion und an dem politischen Treiben war nicht gering. Doch mit
dem Monat September, wo die ersten Emigrationen von Seite ihrer besten Kun¬
den stattfanden, traten sie entschieden zur Fahne der Stockconservativen über. Die
Stürmer und Abzekchen der Legion schwanden in dem Maße von ihren Gestalten,
als die zarten Lillets <Zmix mit den glänzenden Jnlagen sich minderten. Im
October war fast kein einziger ausübender Arzt mehr in den Reihen der Legion
zu finden.


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[0113] schen Intelligenz, garantut und erhalten werdsn, eben so wie sie dessen Integrität bisher mit ausdauernder Kraft allein gewahrt haben. — Außer deu hier genannten Persönlichkeiten, welche der Zeitgeschichte angehö¬ ren, finden wir im „rothen Igel" zu jener Zeit noch ein gemischtes Publikum, welches den neutralen Boden im Entroezimmer besetzt hielt. Es besteht zumeist aus jungen Banquiers, Börsenmännern und practizirenden Doctoren, welche unter der Fahne des Radicalismus ein aufgeklärtes Schwarzgelbthum verfechten. Ihnen dient die Politik als angenehme Würze bei ihrer wohlbestellten Tafel, sie debat- tiren über die wichtigsten und inhaltschweren Tagesfragen in derselben leichten, frivolen Weise, wie sie vor den Märztagen über Tänzerinnen, Theater und Con- zerte sich amüsirt hatten, sie betrachten die Notabilitäten der Kammer mit derselben Neugierde und drängen sich zu ihrer Bekanntschaft mit demselben Kitzel befriedigter Eitelkeit, wie sie in den Tagen des schwelgerischen Absolutismus den Fetzen eines Elster'schen Schnupftuches oder den modernen Frack eines fremden Gesandten be¬ gafft und sich zu eigen gemacht hatten. Bei dieser Classe Menschen, welchen der ganze großartige Wechsel der Er¬ scheinungen in der modernen Weltgeschichte nichts als ein unerwarteter Zusam¬ menstoß von verschiedenartigen Börsenachrichtcn ist, deren Einfluß sich im Steigen und Fallen der Course sehr empfindlich und einleuchtend fühlbar macht, bei diesen nüchternen Speculationsseclen gilt nun allerdings der Satz: l'emxoi» ankamen-, nur in seiner ersten Hälfte. Die zweite Hälfte desselben wahr zu machen, über¬ lassen sie den Modejournalen, ihren Schreibern und Haarkräuslcrn, oder den Launen ihrer Gläubiger, welche je nach den Zeitverhältnissen Wechsel prolongiren oder mit Schuldarrcst drohen. Die practizirenden Doctoren, welche wir ebenfalls erwähnt, halten bekanntlich stets mit den Ansichten des Geldbeutels eng zusammen, sie sind überdies gewöhnt, je nach Beschaffenheit ihrer Patienten, reactionär, li¬ beral, radical oder gänzlich unerfahren in der Politik zu sein. Die Revolution war übrigens durch ihre fieberhaften Aufregungen den Stadtärzten so lange günstig, als die Besitzenden noch nicht vor den Nadicalcuren der Demokraten die Flucht ergriffen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkte hielten auch die Wiener Doctoren mit der Entwicklung der Revolution gleichen Schritt und ihre Betheiligung an der academischen Legion und an dem politischen Treiben war nicht gering. Doch mit dem Monat September, wo die ersten Emigrationen von Seite ihrer besten Kun¬ den stattfanden, traten sie entschieden zur Fahne der Stockconservativen über. Die Stürmer und Abzekchen der Legion schwanden in dem Maße von ihren Gestalten, als die zarten Lillets <Zmix mit den glänzenden Jnlagen sich minderten. Im October war fast kein einziger ausübender Arzt mehr in den Reihen der Legion zu finden. Br-nzboten. I. I8t».14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/113>, abgerufen am 23.07.2024.