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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Namen not'ilitirt. Aber Ottfried überwog mit Recht, weil er zugleich die freie
Selbstbestimmung ausdrückte.

Nach dieser Einleitung gehn wir an die Exposition des Stücks.

Erster Act. Gottfried hat seine Rolle in der "Gesellschaft" als Götz zu
allgemeiner Zufriedenheit gespielt, er fühlte keinen Abstand mehr gegen den Adel,
in dessen Reihen er sich bewegte, bis er sich in eine adlige Dame verliebte, und
nun die Erfahrung machen mußte, daß man über die Unterschiede des Bluts doch
nicht hinauskäme. Tief verletzt, faßte er einen raschen Entschluß, zog sich von sei¬
nem bisherigen Umgang zurück, und machte zu Fuß eine Reise durch Frankreich,
Italien u. s. w., bis nach Syrakus, wie Seume. Da er nun von Hanse keine
Unterstützung erhält, auch keinen bestimmten Erwerbszweig hat -- er hat beiläufig
ein Jahr Theologie, ein Jahr Jurisprudenz, ein Jahr Philosophie studirt --
so stößt dem Dichter die Frage ans: wovon hat er in der Zeit gelebt? Gutzkow
ist nicht naiv genug, die Antwort schuldig zu bleiben, er ist Pragmatiker. Gott¬
fried hat seine Reise als Büchertrödler gemacht. Seine frühere Erwerbsquelle,
während seines Lebens in den höhern Cirkeln, das gewiß sehr kostspielig war,
wird nur andeutungsweise berührt: glückliches Spiel. Der deutsche Dichter hat
weder die Kraft, die Sache mit französischer Leichtfertigkeit zu behandeln, der ordi¬
nären Moral eine aristokratisch-frivole entgegenzustellen, noch die Energie der
tiefen Schaam.

Drei Jahre hat Gottfried auf seiner Reise zugebracht, da zieht's ihn nach
der Heimath. Er hält sich einige Zeit in der Nähe des Vaterhauses bei einem
redlichen Förster auf, vom Vater wohl bemerkt aber ignorirt. So hätte die Sache
noch lange fortgehn können, aber ein junges Mädchen, Agnes, das sich zum Be¬
such im Pfarrhause aufhielt, hat sich vorgenommen, Vater und Sohn zu versöhnen.
Der Vater hat eben eine Predigt vom Verlornen Sohn gehalten, und setzt sich
mit seineu Gästen zu Tisch, da tritt als unerwarteter Gast, von Agnes heimlich
bestellt, der Sohn ein. Nachdem die erste Ueberraschung vorüber ist, nehmen
Vater und Sohn Gelegenheit, sich gegen einander auszusprechen. Gottfried erzählt
seine vorhin skizzirten Lebensschicksale, es findet sich, daß er doch immer viel An¬
hänglichkeit an die Familie bewahrt habe, und als er zuletzt erwähnt, "ein Engel
sei ihm erschienen", der ihn vollends auf den rechten Weg geleitet, ist die Ver¬
söhnung fertig. Agnes tritt hinzu, im Bunde die dritte; Verlobung, Gruppe.
Das Stück wäre zu Ende, wenn nicht einige Andeutungen, die Familie Agnesens
betreffend, vermuthen ließen, daß von dort uns sich nicht unbeträchtliche Hinder¬
nisse dem erwünschten Schluß wenigstens einige Acte hindurch entgegenstellen dürsten.

Der zweite Act führt uns in das Innere dieser Familie. Agnes ist die
Aschenbrödel deS Hauses. Ihr Vater, ein eitler, lächerlicher Commerzienrath,
gefällt sich darin, die Rolle des Empfindsamen zu spielen, und hat sein ganzes
Herz seiner ältern Tochter Sidonia zugewendet, die früher schon einmal an einen


Namen not'ilitirt. Aber Ottfried überwog mit Recht, weil er zugleich die freie
Selbstbestimmung ausdrückte.

Nach dieser Einleitung gehn wir an die Exposition des Stücks.

Erster Act. Gottfried hat seine Rolle in der „Gesellschaft" als Götz zu
allgemeiner Zufriedenheit gespielt, er fühlte keinen Abstand mehr gegen den Adel,
in dessen Reihen er sich bewegte, bis er sich in eine adlige Dame verliebte, und
nun die Erfahrung machen mußte, daß man über die Unterschiede des Bluts doch
nicht hinauskäme. Tief verletzt, faßte er einen raschen Entschluß, zog sich von sei¬
nem bisherigen Umgang zurück, und machte zu Fuß eine Reise durch Frankreich,
Italien u. s. w., bis nach Syrakus, wie Seume. Da er nun von Hanse keine
Unterstützung erhält, auch keinen bestimmten Erwerbszweig hat — er hat beiläufig
ein Jahr Theologie, ein Jahr Jurisprudenz, ein Jahr Philosophie studirt —
so stößt dem Dichter die Frage ans: wovon hat er in der Zeit gelebt? Gutzkow
ist nicht naiv genug, die Antwort schuldig zu bleiben, er ist Pragmatiker. Gott¬
fried hat seine Reise als Büchertrödler gemacht. Seine frühere Erwerbsquelle,
während seines Lebens in den höhern Cirkeln, das gewiß sehr kostspielig war,
wird nur andeutungsweise berührt: glückliches Spiel. Der deutsche Dichter hat
weder die Kraft, die Sache mit französischer Leichtfertigkeit zu behandeln, der ordi¬
nären Moral eine aristokratisch-frivole entgegenzustellen, noch die Energie der
tiefen Schaam.

Drei Jahre hat Gottfried auf seiner Reise zugebracht, da zieht's ihn nach
der Heimath. Er hält sich einige Zeit in der Nähe des Vaterhauses bei einem
redlichen Förster auf, vom Vater wohl bemerkt aber ignorirt. So hätte die Sache
noch lange fortgehn können, aber ein junges Mädchen, Agnes, das sich zum Be¬
such im Pfarrhause aufhielt, hat sich vorgenommen, Vater und Sohn zu versöhnen.
Der Vater hat eben eine Predigt vom Verlornen Sohn gehalten, und setzt sich
mit seineu Gästen zu Tisch, da tritt als unerwarteter Gast, von Agnes heimlich
bestellt, der Sohn ein. Nachdem die erste Ueberraschung vorüber ist, nehmen
Vater und Sohn Gelegenheit, sich gegen einander auszusprechen. Gottfried erzählt
seine vorhin skizzirten Lebensschicksale, es findet sich, daß er doch immer viel An¬
hänglichkeit an die Familie bewahrt habe, und als er zuletzt erwähnt, „ein Engel
sei ihm erschienen", der ihn vollends auf den rechten Weg geleitet, ist die Ver¬
söhnung fertig. Agnes tritt hinzu, im Bunde die dritte; Verlobung, Gruppe.
Das Stück wäre zu Ende, wenn nicht einige Andeutungen, die Familie Agnesens
betreffend, vermuthen ließen, daß von dort uns sich nicht unbeträchtliche Hinder¬
nisse dem erwünschten Schluß wenigstens einige Acte hindurch entgegenstellen dürsten.

Der zweite Act führt uns in das Innere dieser Familie. Agnes ist die
Aschenbrödel deS Hauses. Ihr Vater, ein eitler, lächerlicher Commerzienrath,
gefällt sich darin, die Rolle des Empfindsamen zu spielen, und hat sein ganzes
Herz seiner ältern Tochter Sidonia zugewendet, die früher schon einmal an einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/100>, abgerufen am 23.07.2024.