Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neu wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat
er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er
will nur dnrch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik:
"Alles ist blau oder uicht blau, frei oder nicht frei," oder positiv gesagt "radical
oder reactionär," eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die
aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik
verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach
meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬
lich ein PaihoS, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction
blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction sührt leichter zum Fa¬
natismus als die Phrase.

Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur
ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen
einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß
er mit Brill u. s. w. eine" Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme
jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen
als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze
gelten läßt -- des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬
heiten, wo er spricht ...... in der Bürgerwehrfrage -- in wenig Sätzen eine Reihe
von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate
des demokratischen Vereins schicken würde; -- es wäre wahrlich der Mühe werth,
die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn uicht mit jedem
Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der
gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬
pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬
nen köstlichen Fund begrüßen müßte -- ich sage, alles das ist begreiflich, denn
die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und
alles Recht. -- Und doch ist es mir unbegreiflich.




Merarische Novitäten.

l0) Geschichte des französischen Theaters während der ersten Re¬
volution. Nach dem Französischen von G. Schirges. Hamburg, Meißner
und Schirges.

Es war vor einigen Jahren die allgemeine Klage unserer dramatischen Dichter,
sie könnten kein gutes Schauspiel zu Stande bringen, denn wenn sie irgend einen su¬
blimen Gedanken erfunden hätten, so striche ihn der Censor, und wenn ihnen irgend
ein origineller Charakter ausgegangen wäre, so versperrten ihm die Hvfbühnen die Thür,
weil jede Originalität ein Verstoß gegen die Convenienz sei. Die Revolution ist nun


neu wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat
er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er
will nur dnrch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik:
„Alles ist blau oder uicht blau, frei oder nicht frei," oder positiv gesagt „radical
oder reactionär," eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die
aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik
verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach
meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬
lich ein PaihoS, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction
blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction sührt leichter zum Fa¬
natismus als die Phrase.

Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur
ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen
einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß
er mit Brill u. s. w. eine» Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme
jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen
als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze
gelten läßt — des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬
heiten, wo er spricht ...... in der Bürgerwehrfrage — in wenig Sätzen eine Reihe
von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate
des demokratischen Vereins schicken würde; — es wäre wahrlich der Mühe werth,
die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn uicht mit jedem
Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der
gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬
pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬
nen köstlichen Fund begrüßen müßte — ich sage, alles das ist begreiflich, denn
die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und
alles Recht. — Und doch ist es mir unbegreiflich.




Merarische Novitäten.

l0) Geschichte des französischen Theaters während der ersten Re¬
volution. Nach dem Französischen von G. Schirges. Hamburg, Meißner
und Schirges.

Es war vor einigen Jahren die allgemeine Klage unserer dramatischen Dichter,
sie könnten kein gutes Schauspiel zu Stande bringen, denn wenn sie irgend einen su¬
blimen Gedanken erfunden hätten, so striche ihn der Censor, und wenn ihnen irgend
ein origineller Charakter ausgegangen wäre, so versperrten ihm die Hvfbühnen die Thür,
weil jede Originalität ein Verstoß gegen die Convenienz sei. Die Revolution ist nun


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277890"/>
            <p xml:id="ID_1550" prev="#ID_1549"> neu wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat<lb/>
er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er<lb/>
will nur dnrch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik:<lb/>
&#x201E;Alles ist blau oder uicht blau, frei oder nicht frei," oder positiv gesagt &#x201E;radical<lb/>
oder reactionär," eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die<lb/>
aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik<lb/>
verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach<lb/>
meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬<lb/>
lich ein PaihoS, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction<lb/>
blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction sührt leichter zum Fa¬<lb/>
natismus als die Phrase.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1551"> Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur<lb/>
ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen<lb/>
einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß<lb/>
er mit Brill u. s. w. eine» Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme<lb/>
jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen<lb/>
als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze<lb/>
gelten läßt &#x2014; des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬<lb/>
heiten, wo er spricht ......   in der Bürgerwehrfrage &#x2014; in wenig Sätzen eine Reihe<lb/>
von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate<lb/>
des demokratischen Vereins schicken würde; &#x2014; es wäre wahrlich der Mühe werth,<lb/>
die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn uicht mit jedem<lb/>
Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der<lb/>
gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬<lb/>
pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬<lb/>
nen köstlichen Fund begrüßen müßte &#x2014; ich sage, alles das ist begreiflich, denn<lb/>
die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und<lb/>
alles Recht. &#x2014; Und doch ist es mir unbegreiflich.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Merarische Novitäten.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1552"> l0) Geschichte des französischen Theaters während der ersten Re¬<lb/>
volution. Nach dem Französischen von G. Schirges. Hamburg, Meißner<lb/>
und Schirges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1553" next="#ID_1554"> Es war vor einigen Jahren die allgemeine Klage unserer dramatischen Dichter,<lb/>
sie könnten kein gutes Schauspiel zu Stande bringen, denn wenn sie irgend einen su¬<lb/>
blimen Gedanken erfunden hätten, so striche ihn der Censor, und wenn ihnen irgend<lb/>
ein origineller Charakter ausgegangen wäre, so versperrten ihm die Hvfbühnen die Thür,<lb/>
weil jede Originalität ein Verstoß gegen die Convenienz sei. Die Revolution ist nun</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0460] neu wirklichen Inhalt zurück, um durch Gemessenheit zu imponiren. Daher hat er sich in die Clubs nicht eingelassen; er würde auch darin nichts ausrichten. Er will nur dnrch den Verstand wirken, durch die formelle Entweder-Oder Logik: „Alles ist blau oder uicht blau, frei oder nicht frei," oder positiv gesagt „radical oder reactionär," eine Logik, die in der Wissenschaft längst überwunden ist, die aber im Leben sich gerade jetzt unerträglich breit macht. Diese abstracte Logik verblendet gegen die Wirklichkeit, wie die Gewohnheit der Declamation, aber nach meinem Gefühl auf eine unangenehmere Weise. Denn der Phraseur ist doch wirk¬ lich ein PaihoS, wenn er sich auch zuerst hinein randalirt, aber die Abstraction blendet, ohne das Gefühl der Erhebung. Die Abstraction sührt leichter zum Fa¬ natismus als die Phrase. Es ist aus dem Gange, den die abstracte Opposition in diesem von Natur ehrenwerthen Charakter genommen hat, begreiflich, daß er sich in die Intriguen einer Partei einläßt, in der Held und ähnliche Subjecte eine Rolle spielen; daß er mit Brill u. s. w. eine» Abgeordneten der Untersuchung über die Theilnahme jener nichtswürdigen Zeughausplünderei entziehen will; daß er die ebenso infamen als lächerlichen Lügen der Meneurs seiner Partei ohne Weiteres als baare Münze gelten läßt — des guten Zweckes willen; daß er bei einer der wenigen Gelegen¬ heiten, wo er spricht ...... in der Bürgerwehrfrage — in wenig Sätzen eine Reihe von Verkehrtheiten, eine Theorie zu Tage fördert, wie sie sich für die Placate des demokratischen Vereins schicken würde; — es wäre wahrlich der Mühe werth, die Absurditäten dieser Bürgerwehrtheorie zu beleuchten, wenn uicht mit jedem Tage die Berliner Demokratie einen neuen Einfall auftischte, gegen welchen der gestrige ein Kinderspiel war, wenn man in der Bedlamsprache dieser neuen Pro¬ pheten nicht jeden Satz, der nicht geradezu nach dein Irrenhaus schmeckt, wie ei¬ nen köstlichen Fund begrüßen müßte — ich sage, alles das ist begreiflich, denn die Abstraction macht zuletzt blind gegen alle Realität, gegen alle Wahrheit und alles Recht. — Und doch ist es mir unbegreiflich. Merarische Novitäten. l0) Geschichte des französischen Theaters während der ersten Re¬ volution. Nach dem Französischen von G. Schirges. Hamburg, Meißner und Schirges. Es war vor einigen Jahren die allgemeine Klage unserer dramatischen Dichter, sie könnten kein gutes Schauspiel zu Stande bringen, denn wenn sie irgend einen su¬ blimen Gedanken erfunden hätten, so striche ihn der Censor, und wenn ihnen irgend ein origineller Charakter ausgegangen wäre, so versperrten ihm die Hvfbühnen die Thür, weil jede Originalität ein Verstoß gegen die Convenienz sei. Die Revolution ist nun

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/460
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/460>, abgerufen am 29.06.2024.