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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Genossen ihrer Scherze, Reiterkiwste und Schießübungen auf. Es war ein Leben
sehr einfach und doch voll kleiner Aufregungen, welche thuen Bedürfniß zu sein
schienen. Rohe Pferde zureiten, um die Wette rennen, gegen Einsatz nach der
Scheibe schießen, den ganzen Tag in müßiger Geschäftigkeit hin und her laufen
und dann bis spät nach Mitternacht mit kleinen und großen Damen des Hauses
bei einigen 20 Grad Neaumur tanzen, das war ihre Thätigkeit, bei welcher sie
eine erstaunliche Elasticität des Körpers und eine nervöse Unruhe zeigten, die ihnen
natürlich war, mich aber häufig ermüdete. Was die sächWe Race Arbeit nennt,
das thaten sie nie, und ich merkte, daß die Bauern des Dorfes dieselbe zweifel¬
hafte Tugend hatten. Diese waren stets bereit für die geringste Kleinigkeit in eine
i Entfernung von Z -- 4 Meilen Bote zu laufen, aber nie habe ich sie bei der
/Feld- und Hausarbeit auch nur auf eine Stunde in der ruhigen Energie eines
I emsigen Fleißes gesehen. Unter den jungen Männern, welche bei meinem Wirth
in Herberge lagen, zeigte der eine Neigung, sich an mich anzuschließen, vielleicht
weil er gehört hatte, daß ich jenseit des Meeres geboren sei. Er war der Füh¬
rer der gesammten Jugend und gelegentliche kurze Aeußerungen zu seinen Freun¬
den, welche wie Befehle klangen, verriethen, daß er sein Ansehn einer geheimen
politischen Organisation verdankte. Er hatte einen Körper wie Antinous und sei¬
nem runden Gesicht mit weichen Conturen standen die tiefen schwermüthigen Au¬
gen und ein rabenschwarzes Bärtchen ans der Lippe sehr wohl an. Er war seit
einem halben Jahr aus Paris gekommen und sein Name war sicher ein angenom¬
mener. Meine Unterhaltung mit ihm, wie mit seinen Gesellen, war lange Zeit
nichts als ein übermüthiges Plaudern über allerliebste Nichtswürdigkeiten, wie sich
daS in der französischen Sprache von selbst macht, und er war darin so sehr Meister,
daß er, der Einzige, mir den Eindruck eines reichen Geistes gemacht hatte. Aus
einem Spaziergange, wo ich längere Zeit mit ihm allein war, kam er ans das,
was seine Seele füllte, auf seine politischen Ansichten. Ich erschrak. Eine so
wüste Unklarheit, so naive Unwissenheit mit Bruchstücken von allerlei socialistischen
Theorien phantastisch herausgeputzt, hatte ich noch nie vernommen. Ein verdor¬
bener Mischmasch war der Inhalt dieses schönen Gefäßes. Alles was ich von
politischem Unsinn im Quartier Ladin, in den Chartisten Meetings gehört hatte,
war goldene Vernunft gegen sein Geschwätz. Und doch stehe ich bei meinen
Freunden selbst in Verdacht, ein socialistischer Schwärmer zu sein; hier aber kam
ich nicht zur Geltung und war ernstlich bestürzt und verlegen. Glücklicherweise
begegnete uns ein altes Weib, welches aus Versehen mit ihrem Holzbündel eine
Beule in deu weißen Hut meines Begleiters stieß. Augenblicklich vergaß er
seine Theorien von Gleichheit der Menschen und Bruderliebe der Völker und
schlug mit seinem Reitstock so übermüthig auf die arme Frau, daß ich ihm em¬
pört den Arm hielt. "Ah, Sie machen bei Ihrer leidenschaftlichen Liebe für daS
Volk eine Ausnahme zum Nachtheil alter Frauen." Er zuckte die Achseln, lachte


Genossen ihrer Scherze, Reiterkiwste und Schießübungen auf. Es war ein Leben
sehr einfach und doch voll kleiner Aufregungen, welche thuen Bedürfniß zu sein
schienen. Rohe Pferde zureiten, um die Wette rennen, gegen Einsatz nach der
Scheibe schießen, den ganzen Tag in müßiger Geschäftigkeit hin und her laufen
und dann bis spät nach Mitternacht mit kleinen und großen Damen des Hauses
bei einigen 20 Grad Neaumur tanzen, das war ihre Thätigkeit, bei welcher sie
eine erstaunliche Elasticität des Körpers und eine nervöse Unruhe zeigten, die ihnen
natürlich war, mich aber häufig ermüdete. Was die sächWe Race Arbeit nennt,
das thaten sie nie, und ich merkte, daß die Bauern des Dorfes dieselbe zweifel¬
hafte Tugend hatten. Diese waren stets bereit für die geringste Kleinigkeit in eine
i Entfernung von Z — 4 Meilen Bote zu laufen, aber nie habe ich sie bei der
/Feld- und Hausarbeit auch nur auf eine Stunde in der ruhigen Energie eines
I emsigen Fleißes gesehen. Unter den jungen Männern, welche bei meinem Wirth
in Herberge lagen, zeigte der eine Neigung, sich an mich anzuschließen, vielleicht
weil er gehört hatte, daß ich jenseit des Meeres geboren sei. Er war der Füh¬
rer der gesammten Jugend und gelegentliche kurze Aeußerungen zu seinen Freun¬
den, welche wie Befehle klangen, verriethen, daß er sein Ansehn einer geheimen
politischen Organisation verdankte. Er hatte einen Körper wie Antinous und sei¬
nem runden Gesicht mit weichen Conturen standen die tiefen schwermüthigen Au¬
gen und ein rabenschwarzes Bärtchen ans der Lippe sehr wohl an. Er war seit
einem halben Jahr aus Paris gekommen und sein Name war sicher ein angenom¬
mener. Meine Unterhaltung mit ihm, wie mit seinen Gesellen, war lange Zeit
nichts als ein übermüthiges Plaudern über allerliebste Nichtswürdigkeiten, wie sich
daS in der französischen Sprache von selbst macht, und er war darin so sehr Meister,
daß er, der Einzige, mir den Eindruck eines reichen Geistes gemacht hatte. Aus
einem Spaziergange, wo ich längere Zeit mit ihm allein war, kam er ans das,
was seine Seele füllte, auf seine politischen Ansichten. Ich erschrak. Eine so
wüste Unklarheit, so naive Unwissenheit mit Bruchstücken von allerlei socialistischen
Theorien phantastisch herausgeputzt, hatte ich noch nie vernommen. Ein verdor¬
bener Mischmasch war der Inhalt dieses schönen Gefäßes. Alles was ich von
politischem Unsinn im Quartier Ladin, in den Chartisten Meetings gehört hatte,
war goldene Vernunft gegen sein Geschwätz. Und doch stehe ich bei meinen
Freunden selbst in Verdacht, ein socialistischer Schwärmer zu sein; hier aber kam
ich nicht zur Geltung und war ernstlich bestürzt und verlegen. Glücklicherweise
begegnete uns ein altes Weib, welches aus Versehen mit ihrem Holzbündel eine
Beule in deu weißen Hut meines Begleiters stieß. Augenblicklich vergaß er
seine Theorien von Gleichheit der Menschen und Bruderliebe der Völker und
schlug mit seinem Reitstock so übermüthig auf die arme Frau, daß ich ihm em¬
pört den Arm hielt. »Ah, Sie machen bei Ihrer leidenschaftlichen Liebe für daS
Volk eine Ausnahme zum Nachtheil alter Frauen." Er zuckte die Achseln, lachte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/46>, abgerufen am 26.06.2024.